Bundeskanzler Olaf Scholz begibt sich heute in Begleitung einer Wirtschaftsdelegation auf eine viertägige Lateinamerika-Reise. Es geht nach Argentinien, Brasilien und Chile, um schwerpunktmäßig wirtschaftliche Fragen der Zusammenarbeit zu besprechen. Da aber auch ein Besuch des „Museo de la Memoria y los Derechos Humanos“ in Santiago de Chile geplant ist, werden Hoffnungen laut, dass Olaf Scholz sich auch für die Aufarbeitung der Colonia Dignidad einsetzen wird. Denn die deutsche Siedlungsgemeinschaft am Fuße der chilenischen Anden war auch zentraler Ort der Verbrechen während der chilenischen Militärdiktatur unter Augusto Pinochet (1973-1990).
In der ehemaligen Colonia Dignidad in Chile leben unter dem Namen Villa Baviera bis heute viele ehemalige Mitglieder der Siedlungsgemeinschaft. Unter ihnen sowohl Opfer als auch Täter:innen. Viele Menschen waren auch beides. Dass sie bis heute an dem Ort einstiger Verbrechen einen Hotelbetrieb führen, stößt angesichts zahlreicher unaufgeklärter Verbrechen immer wieder auf Unverständnis und Kritik.
Im Jahr 2017 hatte der Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, einen Gedenk-, Dokumentations- und Lernort auf dem historischen Gelände der ehemaligen Colonia Dignidad auf den Weg zu bringen. Ein deutsch-chilenisches Expert:innenteam wurde berufen und mit der Erstellung eines Konzeptes beauftragt. Seit 2014 finden bereits regelmäßige Dialogveranstaltungen mit verschiedenen Betroffenengruppen unter der Leitung von Dr. Elke Gryglewski (Leiterin Niedersächsische Gedenkstätten) statt. Das Konzept für eine Gedenkstätte liegt seit fast zwei Jahren vor. Auch die beteiligten Expert:innen warten auf die Umsetzung.
Viele der Betroffenen auf deutscher und chilenischer Seite warten schon lange auf Fortschritte in dem zähen Aufarbeitungsprozess. Der Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz macht nun Hoffnung, dass es endlich weitergeht.
Weitere Informationen zum Nachlesen:
Der Politikwissenschaftler Jan Stehle und die Psychologin Evelyn Hevia haben kürzlich die einzelnen Schritte und Inhalte der Workshops aus den vergangenen Jahren in einem Aufsatz chronologisch zum Nachlesen aufgeführt.
„Die Colonia Dignidad zwischen Erinnern und Vergessen
Zur Erinnerungskultur in der ehemaligen Siedlungsgemeinschaft“
von Meike Dreckmann-Nielen im Transcript-Verlag erschienen.
Aus dem Klappentext:
Die Colonia Dignidad erlangte wegen zahlreicher bis heute unaufgeklärter Menschenrechtsverbrechen internationale Bekanntheit. Dass einstige Mitglieder der deutschen Gruppe das historische Siedlungsgelände in Chile unter dem Namen »Villa Baviera« (deutsch: bayerisches Dorf) schrittweise zu einem touristischen Freizeitort umfunktioniert haben, sorgt angesichts der mangelnden Aufarbeitung für anhaltende Kritik. Meike Dreckmann-Nielen untersucht, wie sich einstige Mitglieder der Gruppe heute an ihre eigene Vergangenheit erinnern. In ihrer Studie ermöglicht sie einen intimen Einblick in komplexe erinnerungskulturelle Dynamiken im Mikrokosmos der ehemaligen Siedlungsgemeinschaft.
Interview des Transcript-Verlags mit der Autorin:
1. Warum ein Buch zu diesem Thema?
Die Zeit der Colonia Dignidad zählt zu den dunkelsten Kapiteln deutsch-chilenischer Geschichte. Da die Aufarbeitung der dort begangenen Verbrechen bis heute nur schleppend vorangeht, ist sie allerdings längst nicht nur ein historisches Kapitel, sondern für viele Opfer bittere Gegenwart. Dieses Buch möchte nun einen Beitrag zur Aufarbeitung leisten, indem es aufzeigt, wie die eigene Vergangenheit im Mikrokosmos der ehemaligen Colonia Dignidad heute verhandelt wird und welche Konsequenzen dies hat.
2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?
Das Buch blickt erstmals dezidiert mit einer erinnerungskulturellen Fragestellung auf die Colonia Dignidad. Es untersucht den Umgang der einstigen Mitglieder der Colonia Dignidad mit ihrer eigenen Vergangenheit an dem Ort der historischen Menschenrechtsverbrechen, dem heutigen Tourismusort ›Villa Baviera‹. Das Buch spürt gruppeninternen Narrativen und Geschichtsbildern nach, um schließlich Wirkmechanismen erinnerungskultureller Dynamiken aufzuzeigen.
3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in den aktuellen Forschungsdebatten zu?
Der Forschungsstand zum Thema Colonia Dignidad ist bisher sehr dünn. Eine ganze Monographie zum erinnerungskulturellen Erbe der Siedlungsgemeinschaft hat es bisher noch nicht gegeben. Das Buch knüpft damit vor allem an bisherige Grundlagenstudien zur Verbrechensgeschichte an und spannt einen Bogen in die Gegenwart, indem es die Bedeutung komplexer Aushandlungsprozesse von Vergangenem in der Gegenwart einer spezifischen Siedlungsgemeinschaft analysiert.
4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten diskutieren?
Ich wünsche mir noch einmal die Gelegenheit, persönlich mit den Betroffenen über meine Erkenntnisse aus der Forschungsarbeit zu sprechen. Leider kam die Pandemie dazwischen, sodass noch kein neues Treffen stattfinden konnte. Aktuell freue ich mich darauf, bei der Buchpräsentation im März 2022 mit Renate Künast und Elke Gryglewski über meine Ergebnisse zu diskutieren und ihre spezifischen Sichtweisen dazu zu hören.
5. Ihr Buch in einem Satz:
Das Buch beleuchtet, wie die ehemaligen Mitglieder der Colonia Dignidad heute am historischen Ort der Siedlung mit der eigenen Geschichte umgehen.
Foto von dem bisherigen Museum der Villa Baviera, Bildrechte: MDN
Veranstaltungshinweis:
Am 22.3.2022 wird am Arbeitsbereich „Didaktik der Geschichte“ der Freien Universität Berlin das Buch
Die Colonia Dignidad zwischen Erinnern und Vergessen Zur Erinnerungskultur in der ehemaligen Siedlungsgemeinschaft
von Meike Dreckmann-Nielen vorgestellt. Das Werk erscheint als OpenAccess-Version im März 2022 im Transcript-Verlag.
Aus dem Klappentext: Die Colonia Dignidad erlangte wegen zahlreicher bis heute unaufgeklärter Menschenrechtsverbrechen internationale Bekanntheit. Dass einstige Mitglieder der deutschen Gruppe das historische Siedlungsgelände in Chile unter dem Namen »Villa Baviera« (deutsch: bayerisches Dorf) schrittweise zu einem touristischen Freizeitort umfunktioniert haben, sorgt angesichts der mangelnden Aufarbeitung für anhaltende Kritik. Meike Dreckmann-Nielen untersucht, wie sich einstige Mitglieder der Gruppe heute an ihre eigene Vergangenheit erinnern. In ihrer Studie ermöglicht sie einen intimen Einblick in komplexe erinnerungskulturelle Dynamiken im Mikrokosmos der ehemaligen Siedlungsgemeinschaft.
Flyer zur Buchvorstellung von Meike Dreckmann-Nielen
Zum Ablauf der Buchpräsentation: 19:00 – 19:05 Uhr Begrüßung durch Prof. Dr. Martin Lücke (Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin) 19:05 – 19:20 Uhr Vorstellung des Buches durch die Autorin Meike Dreckmann-Nielen 19:20 – 19:30 Uhr Buch-Kommentar von Renate Künast MdB 19:30 – 19:40 Uhr Buch-Kommentar von Dr. Elke Gryglewski 19:40 – 20:00 Uhr Fragen und Diskussion
Hinweis: Die Veranstaltung findet online über Webex statt und die Zugangsdaten werden nach einer Anmeldung per Mail an clemens.bertram@fu-berlin.de verschickt. Die Teilnahme ist auch ohne Webex-Konto möglich.
Eröffnung des Colonia Dignidad Oral History Archivs (CDOH)
Am 17. März 2022 wird die Interviewplattform „Colonia Dignidad. Ein chilenisch-deutsches Oral History-Archiv“ (CDOH) veröffentlicht. Die Eröffnungsveranstaltung findet vor Ort im Berliner Humboldt Forum statt und wird online per Live-Stream übertragen.
Das Team des CDOH lädt Sie herzlich ein zur Veröffentlichung der Interviewplattform „Colonia Dignidad. Ein chilenisch-deutsches Oral History-Archiv“.
Wenn Sie nicht persönlich an der Veranstaltung in Berlin teilnehmen können, wird es die Möglichkeit geben, die Eröffnungsveranstaltung über einen Live-Stream zu verfolgen. Sowohl vor Ort im Humboldt Forum als auch für den Live-Stream wird eine Simultan-Übersetzung angeboten.
Am folgenden Vormittag werden auf einem Symposium in Berlin die Entwicklung des Interviewarchivs und die Möglichkeiten, die es für die weitere Auseinandersetzung mit der Thematik bietet, vorgestellt und diskutiert.
Die Veranstaltung wird in Kooperation mit dem Humboldt Labor im Humboldt Forum durchgeführt.
Für beide Veranstaltungen ist eine Anmeldung zwingend erforderlich, egal ob Sie vor Ort oder online teilnehmen.
Entrevista con Evelyn Hevia Jordán sobre su investigación de la historia del hospital de Colonia Dignidad
(Die deutsche Übersetzung ist weiter unten zu finden.)
Evelyn Hevia Jordán es psicóloga social e historiadora. Nacida en Chile, estudia la historia del hospital Colonia Dignidad como parte de su proyecto de tesis. En la siguiente entrevista, nos habla de su apasionante proyecto de investigación, en el que trabaja en el Instituto de América Latina de la Universidad Libre de Berlín.
Meike Dreckmann-Nielen: ¿Cómo llegaste a investigar sobre la Colonia Dignidad?
Evelyn Hevia Jordán: Desde mis años de adolescencia el tema de la Colonia Dignidad estuvo presente en mi imaginario y conocimiento general como una secta alemana con un líder pederasta a la cabeza. Tenía 16 años en 1997, cuando se produjo la fuga de Tobías Müller y Salo Luna, que tuvo una amplia cobertura de prensa, impactándome enormemente, pues éramos casi de la misma edad y nos tocaba enfrentar una vida tan diferente.
Años más tarde, como estudiante de psicología, tuve como profesor del ramo de psicopatología al Dr. Luis Enrique Peebles, quien como parte de su curriculum se presentó ante el curso como un “superviviente de la Colonia Dignidad” y “testigo clave contra Paul Schäfer y la Colonia”. En ese entonces, año 2003 ó 2004, Schäfer seguía prófugo de la justiciar chilena.
Desde mis años de estudiante universitaria me dediqué a trabajar como ayudante en asignaturas e investigaciones que tenían que ver con los procesos de elaboración del pasado reciente de la dictadura cívico-militar chilena, entonces la Colonia Dignidad era un tema que rondaba, pero no era mi foco. Fue acercándose a través de mi experiencia de trabajo como entrevistadora en el Archivo Oral de Villa Grimaldi, donde varios testigos se referían a la Colonia como un Centro de prisión política y tortura y como parte de la red de recintos secretos de la DINA. Sin embargo, solo, en 2013 fui invitada a participar en la elaboración de un primer proyecto de Archivo Oral cuyo foco era el caso Colonia Dignidad. Sin embargo, ese proyecto no se materializó, pero ese fue mi primer contacto investigando el caso. Ahí pude constatar por primera vez la magnitud y complejidad de este caso y de algún modo me sentí fuertemente llamada a intentar entender ¿cómo esto fue posible? Desde entonces, el tema Colonia Dignidad, su pasado, pero, sobre todo, sus desafíos en el presente, sus actores y actrices se han vuelto el foco central de mi trabajo.
MDN: Eres psicóloga e historiadora, ¿cómo te ayuda esta combinación en tu trabajo sobre Colonia Dignidad?
EHJ: La interdisciplinariedad es necesaria e indispensable, siempre a mis estudiantes de metodologías de la investigación cualitativa les decía: “a problemas complejos, abordajes disciplinares y metodológicos complejos”. De este modo, creo que una disciplina no puede ponerse como un traje que nos restrinja las posibilidades de comprender e intervenir en un fenómeno social. Así que me he formado en dos disciplinas que de algún modo se ocupan por el pasado, en la versión de la psicología más clásica centrada en el individuo, el foco está puesto en cómo ese pasado, las relaciones primarias, familiares y la socialización afecta la vida y relaciones en el presente para una persona. Por otro lado, la historia, nos ofrece una comprensión desde procesos sociales, políticos, culturales del pasado, para comprender nuestras problemáticas en el presente. Esto dicho de modo muy general, porque sabemos que para ambas disciplinas hay debates y corrientes que marcan diferencias.
De ambas, rescato su precisión y aportes metodológicos. La psicología me ha entregado valiosas herramientas en el trabajo directo con las personas, que hacen posible construir confianzas, cuidar el vínculo y respetar a todas las personas en su condición de seres humanos que han sufrido de diversos modos, en diversas circunstancias y por la acción u omisión de diversos actores. La reflexión ética, la capacidad de escucha, la confidencialidad y un análisis puesto en las relaciones, juegan un rol clave en ello. Por otro lado, está la historia, que me ha entregado una comprensión del contexto social, político, judicial y cultural de una determinada época. El trabajo con archivos, fuentes, es una disciplina que invita a buscar la multiperspectiva y a cuestionar también la noción de verdad, con mayúsculas, me enseña a cultivar la cautela antes de dar algo por hecho, pues la historia también es el resultado del tiempo en que se escribe y de las condiciones de posibilidad o limitaciones que tiene quien la escribe. La historia, exige un examen constante de las fuentes y de los modos de interpretarlas. Por ejemplo, en el caso Colonia Dignidad, existen numerosas declaraciones judiciales, pero hoy sabemos que muchas de ellas fueron hechas bajo presión de sus testigos en los tiempos de Schäfer, entonces es importante cuestionar el valor de verdad, lo que no significa que no sirvan para el trabajo histórico, pero hay que contrastar y analizarlas en ese marco temporal.
MDN: ¿Por qué has elegido el tema del hospital?
EHJ: En mi hipótesis central de investigación el hospital representa el centro del complejo funcionamiento de Colonia Dignidad y de algún modo, fue el que aseguró la institucionalización legal de la Sociedad Benefactora y Educacional Dignidad (SBED) en Chile, permitiendo su posterior consolidación y su funcionamiento por tanto tiempo a pesar de las denuncias ya existentes. Por otra parte, en torno al hospital se construyen y refuerzan una serie de discursos sobre el saber médico-científico y sobre las ideas germanófilas tan difundidas desde mucho antes en Chile: orden, limpieza, trabajo, esfuerzo, puntualidad, etc. También, elegí el hospital porque es un caso desafiante en términos éticos y políticos, quizás esto es lo más sensible y complejo, porque implica hablar de las zonas grises, como lo planteara Primo Levi. El hospital cumplió un rol donde el Estado chileno se vio superado y se practicaron atenciones médicas efectivas que lo diferenciaban de un sistema de salud público deficitario, pero, por otro lado, el hospital contribuyó a esconder prácticas criminales y eso es un hecho que no lo digo yo, sino también lo han señalado ante la justicia quienes participaron y fueron víctimas de esos crímenes.
MDN: ¿Cuál es tu objetivo de investigación?
EHJ: Mi objetivo es reconstruir la historia del hospital, desde su instalación como hospital “El Lavadero”, hasta el cierre, como hospital “Villa Baviera”. Para lo cual he determinado hasta ahora tres periodos históricos: Instalación e institucionalización; consolidación y cierre. Por cierto, mi tesis doctoral es el primer trabajo con el foco puesto en el hospital y espero que luego vengan otros que profundicen, expliquen, amplíen o cuestionen mis hallazgos.
MDN: ¿Cuáles son tus fuentes?
EHJ: He trabajado y sigo trabajando con fuentes documentales escritas, prensa y entrevistas.
MDN: ¿Puedes compartir ya con nosotros algunos hallazgos? ¿O es demasiado pronto para eso?
EHJ: Todavía es pronto. Sin embargo, ha sido interesante en el contexto de mi primer capítulo donde pongo en contexto la instalación e institucionalización del hospital, observar la problemática histórica (de larga duración) que ha tenido (y tiene todavía) Chile para dar cobertura de salud pública a su población. La existencia de sociedades de beneficencia que llevaban (y llevan) a cabo tareas sanitarias no empieza ni termina con el hospital de la Colonia. Eso me llevó bastante tiempo estudiarlo y creo que queda asentado el contexto que hace posible la creación de este hospital, a pesar de que no contaba con los permisos legales de la autoridad sanitaria desde sus inicios, sino que estas autorizaciones se logran en el contexto de la comisión investigadora del parlamento en 1968. Hay que recordar que la personalidad jurídica era para beneficencia centrada en la educación.
Por otro lado, he observado cómo las conexiones germano-chilenas de larga data contribuyeron a cimentar un camino que facilitó ese proceso de institucionalización, donde participaron varios funcionarios y autoridades que tenían conexiones familiares o personales con Alemania y que tenían una muy buena opinión sobre lo que podría ofrecer una sociedad benefactora alemana en Chile.
Un tercer hallazgo preliminar, es que desde los orígenes la Colonia va a probar algunas estrategias para enfrentar sus acusaciones públicas y esto se observa en los orígenes del hospital. Por un lado, está la que he denominado “estrategia de los hechos consumados” y que en el caso del hospital va a permitir su legalización cuando ya llevaba varios años funcionando, pues hubiera sido “imposible” para las autoridades chilenas cerrar un hospital cuando el país en la década de los 60 tenía tantas necesidades sanitarias. Esta es una argumentación que queda incluso expresada en las intervenciones de Patricio Aylwin en 1968. Por otro lado, está la “estrategia de los favores”, que en el caso del hospital se observa con el apoyo que el personal del hospital El Lavadero prestó ante la huelga nacional del sector salud en 1966. El apoyo al sector público de salud, le valió el reconocimiento por escrito de autoridades sanitarias y el ofrecimiento de apoyo incondicional que quedó por escrito y que fue utilizado en defensa de la SBED en el marco de las acusaciones tras la fuga de Wolfgang Müller y Wilhelmine Lindemann en 1966 y en el marco de las investigaciones y discusiones parlamentarias de 1968.
MDN: ¿Cuál crees que es el mayor desafío de la investigación de Colonia Dignidad?
EHJ: Hay un desafío ético. Como dijo en cierta ocasión Horst Schaffrik, esto no es un tema del pasado, no es historia. Y tiene razón. No es un tema del pasado del que se pueda hacer historia como si las personas afectadas no siguieran vivas sufriendo las consecuencias de las acciones del pasado, pero también de las inacciones o falta de voluntad política del presente, que tan nítidamente vemos en el caso de familiares de detenidos desparecidos, quienes a casi 50 años siguen exigiendo saber dónde están y qué pasó con sus familiares, o de los jóvenes chilenos abusados sexualmente que llevan años esperando el pago de sus indemnizaciones. El desafío ético tiene que ver con el tratamiento que le damos al caso y a las personas que muchas veces nos cooperan, por ejemplo, con entrevistas. Hay que evitar caer en el “extractivismo académico”, donde vamos, entrevistamos y luego publicamos nuestros trabajos y nunca las personas entrevistadas supieron en qué y cómo usamos sus relatos.
Por otra parte, hay que desarrollar investigaciones que no solo contribuyan al conocimiento especializado de este tema, sino también al conocimiento público, el tema de la Colonia y de las violaciones a los DDHH son temas de interés público actual y también para las generaciones que vienen.
Un reto metodológico y analítico, tiene que ver con cómo se interpretan o analizan las fuentes, hay que desarrollar fórmulas que permitan contrastar fuentes. También, un reto es cómo acotar nuestros temas de investigación, creo que a todos quienes nos hemos aproximado al caos de la Colonia desde la investigación, nos ha pasado sentir la necesidad de explicarlo todo (lo que es imposible) para entrar en un foco específico. Hoy se necesitan investigaciones que aborden tantas dimensiones particulares que nunca nadie ha pensado ni trabajado y desde diferentes enfoques científicos e incluso artísticos, creativos.
También hay un desafío idiomático, este es un caso que involucra dos idiomas y tenemos que hacer esfuerzos notables quienes nos interesamos por estos temas para aprender la otra lengua.
MDN: ¿Por qué te fascina el tema de la Colonia Dignidad?
EHJ: Es un tema que necesita un compromiso de larga data. En mi caso, me he acercado en mi rol como psicóloga social y luego como investigadora en historia. He conocido a los diferentes grupos de víctimas y el contacto con ellos y ellas me ha tocado en una dimensión de compromiso humano y profesional. Una no puede simplemente irse a la casa cuando hay tanto por hacer en el ámbito de la investigación, del acompañamiento, de la escucha, de la justicia, del conocimiento histórico, de la memoria y de la transmisión a las nuevas generaciones. Entonces, me compromete el trabajo en diferentes áreas que hay por hacer, las relaciones humanas que he ido construyendo y la confianza que muchos y muchas han puesto en mi persona, entonces todas son razones muy poderosas para seguir e intentar contribuir con un granito de arena a todo esto.
MDN: ¿Hay algún tema que, en tu opinión, debería recibir más atención en la investigación científica?
EHJ: Hay muchos temas, pues la investigación científica es muy reciente. Entonces, solo puedo alentar a investigadores jóvenes (y no tan jóvenes) a interesarse por este tema desde sus diferentes áreas de trabajo. También a los artistas y creadores, sabemos cuánto han aportado al debate y conocimiento público, las producciones audiovisuales, teatrales, novelas.
Eso sí, mi invitación es siempre considerando la dimensión ética en el trabajo. Estos son temas sensibles y que no pueden convertirse simplemente en objetos de estudio o creación, descuidando que nuestros principales interlocutores o público interesado son precisamente quienes fueron afectados por la Colonia.
MDN: ¿Qué consejo darías a las jóvenes becarias que quisieran iniciar un proyecto de investigación sobre el tema de la Colonia Dignidad?
EHJ: El primero y más fundamental, es el cuidado y respeto por el tratamiento de este tema, no olvidar que es un tema que interesa no solo en la academia sino a las personas que vivieron estos hechos, entonces ellos serán sus principales críticos. El segundo, es cuidarse y cuidar las relaciones que se establecen con las personas, hay que evitar caer en “alianzas” o “secretismos” que refuercen esquemas del pasado. Mantener durante el trabajo de investigación una actitud crítica y autocrítica respecto de las decisiones teóricas, metodológicas y éticas que se toman, ponderando sus efectos en los resultados. Mirar la multiperspectiva como algo que juega a favor de nuestro trabajo y no como una barrera. Y, por último, construir redes de trabajo, colaborar, intercambiarse con colegas, eso siempre ayuda a mantener esa reflexividad en el proceso de investigación.
——————————————————————————————————————————————
Evelyn Hevia Jordán vor dem Krankenhaus der Colonia Dignidad (Copyright: Evelyn Hevia Jordán)
Evelyn Hevia Jordán über ihre Forschungen zum Krankenhaus der Colonia Dignidad
Evelyn Hevia Jordán ist Sozialpsychologin und Historikerin. Die gebürtige Chilenin befasst sich im Rahmen ihres Dissertationsprojekts mit der Geschichte des Krankenhauses der Colonia Dignidad. Im Folgenden Interview gibt sie einen Einblick in ihr spannendes Forschungsprojekt, welches sie am Lateinamerikainstitut der Freien Universität Berlin erarbeitet.
Meike Dreckmann-Nielen: Wie kamst du dazu, zur Colonia Dignidad zu forschen?
Evelyn Hevia Jordán: Seit meiner Teenagerzeit war das Thema der Colonia Dignidad als eine deutsche Sekte mit einem pädokriminellen Anführer an der Spitze präsent. Ich war im Jahr 1997 gerade 16 Jahre alt, als die Flucht der Colonia-Mitglieder Tobias Müller und Salo Luna Schlagzeilen in der Presse machte. Die Geschichte hatte einen großen Einfluss auf mich, da wir fast gleich alt waren und doch ein so unterschiedliches Leben vor uns hatten. Erst Jahre später, als Psychologiestudentin, wurde ich in Psychopathologie von Dr. Luis Enrique Peebles unterrichtet, der sich im Rahmen seines Lehrplans als „Überlebender der Colonia Dignidad“ und „Kronzeuge im Fall Paul Schäfer“ vorstellte. Zu diesem Zeitpunkt, etwa 2003 oder 2004, war Paul Schäfer noch auf der Flucht vor der chilenischen Justiz.
Während des Studiums hatte ich dann als studentische Mitarbeiterin in Projekten mitgearbeitet, die sich den Prozessen der Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit der chilenischen zivil-militärischen Diktatur widmeten. In diesem Kontext war die Colonia Dignidad zwar Thema, sie war aber nicht mein Schwerpunkt.
Das Thema Colonia Dignidad begegnete mir zunehmend im Kontext meiner Arbeitserfahrung als Interviewerin im Oral History Archiv der Villa Grimaldi. Dort hatten mehrere Zeitzeug:innen die Colonia als politisches Gefängnis und Folterzentrum, sowie als Teil des Netzwerks der DINA bezeichnetet. Im Jahr 2013 wurde ich schließlich eingeladen, an der Ausarbeitung eines der ersten Mündlichen Archive mitzuwirken, das sich mit dem Fall Colonia Dignidad befassen sollte. Dieses damalige Projekt kam zwar nie zustande, aber es war eben mein erster Kontakt mit diesem Fall. Dort konnte ich zum ersten Mal das Ausmaß und die Komplexität der Colonia Dignidad sehen. Jenes wollte ich immer besser zu verstehen lernen. Seitdem ist das Thema Colonia Dignidad, seine Vergangenheit, aber vor allem seine gegenwärtigen Herausforderungen, seine Akteure und Akteurinnen in den Mittelpunkt meiner Arbeit gerückt.
MDN: Du bist Psychologin und Historikern; wie hilft dir diese Kombination in deiner Arbeit zur Colonia Dignidad?
EHJ: Interdisziplinarität ist notwendig und unverzichtbar. Ich habe meinen Student:innen der qualitativen Forschungsmethodik immer gesagt: „Komplexe Probleme erfordern komplexe disziplinäre und methodische Ansätze“. Ich bin in zwei Disziplinen ausgebildet worden, die sich in irgendeiner Weise mit der Vergangenheit befassen. Die klassischere Version der Psychologie, die sich auf das Individuum konzentriert, legt den Fokus darauf, wie die Vergangenheit, also die frühen Beziehungen, die Familie und ihre Sozialisation das Leben in der Gegenwart beeinflusst. Auf der anderen Seite bietet uns die Geschichte ein Verständnis von sozialen, politischen, kulturellen Prozessen der Vergangenheit, um unsere sozialen, politischen und kulturellen Probleme in der Gegenwart zu verstehen. Das ist sehr allgemein gesagt, denn wir wissen, dass es für beide Disziplinen Debatten und Strömungen gibt, die unterschiedlich geprägt sind.
An beiden schätze ich ihre Präzision und ihre methodischen Ansätze. Die Psychologie hat mir in der direkten Arbeit mit Menschen wertvolle Werkzeuge an die Hand gegeben, um Vertrauen aufzubauen, die zwischenmenschliche Bindung zu pflegen und alle Menschen in ihrem Zustand als menschliche Wesen zu respektieren. Sie haben alle auf unterschiedliche Weise, unter unterschiedlichen Umständen und durch das Handeln oder Unterlassen verschiedener Akteur:innen gelitten. Ethische Reflexion, die Fähigkeit zuzuhören, Vertraulichkeit und Beziehungsanalyse spielen dabei eine zentrale Rolle.
Auf der anderen Seite gibt es die Geschichte, die mir ein Verständnis für den sozialen, politischen, rechtlichen und kulturellen Kontext einer bestimmten Zeit vermittelt hat. Die Arbeit mit Archiven und Quellen ist eine Disziplin, die mich dazu einlädt, eine Multiperspektive zu suchen und den Begriff der Wahrheit in Frage zu stellen. Sie lehrt mich, Vorsicht zu kultivieren, bevor ich etwas als selbstverständlich annehme, denn Geschichte ist auch das Ergebnis der Zeit, in der sie geschrieben wird, und der Bedingungen des Möglichen oder der Einschränkungen, die der*die Autor:in hat. Sie erfordert eine ständige Auseinandersetzung mit den Quellen und den Möglichkeiten, sie zu interpretieren. Zum Beispiel gibt es im Fall Colonia Dignidad zahlreiche gerichtliche Aussagen. Heute wissen wir allerdings, dass viele von ihnen unter dem Druck auf Zeug:innen während der Zeit Schäfers gemacht wurden, so dass es wichtig ist, ihren Wahrheitswert zu hinterfragen. Dies bedeutet nicht, dass sie für die historische Arbeit nicht nützlich sind, aber sie müssen in diesem Zeitrahmen kontrastiert und analysiert werden.
MDN: Warum hast du dir das Thema des Krankenhauses ausgesucht?
EHJ: In meiner zentralen Hypothese stellt das Krankenhaus das Zentrum des komplexen Funktionierens der Colonia Dignidad dar. In gewisser Weise war es dasjenige, das die legale Institutionalisierung der Sociedad Benefactora y Educacional Dignidad in Chile sicherstellte, was dann ihre Konsolidierung und ihr Funktionieren für so lange Zeit trotz der Denunziationen ermöglichte. Andererseits werden um das Krankenhaus herum eine Reihe von Diskursen über medizinisch-wissenschaftliches Wissen und über die in Chile schon lange vorher verbreiteten germanophilen Vorstellungen konstruiert und verstärkt: Ordnung, Sauberkeit, Arbeit, Anstrengung etc. Ich habe das Krankenhaus auch deshalb gewählt, weil es in ethischer und politischer Hinsicht ein herausfordernder Fall ist. Vielleicht ist es der sensibelste und komplexeste Fall, weil er impliziert, über Grauzonen zu sprechen, wie Primo Levi es ausdrückte. Das Krankenhaus erfüllte eine Rolle, in der es den chilenischen Staat übertraf und eine effektive medizinische Versorgung bot, die sich von einem mangelhaften öffentlichen Gesundheitssystem abhob. Auf der anderen Seite trug das Krankenhaus dazu bei, kriminelle Praktiken zu verbergen. Das ist eine Tatsache, die ich nicht selbst behaupte, sondern auf die auch vor Gericht von denjenigen hingewiesen wurde, die an diesen Verbrechen beteiligt waren und Opfer davon wurden.
MDN: Was ist deine Forschungsabsicht?
EHJ: Mein Ziel ist es, die Geschichte des Krankenhauses zu rekonstruieren, von seiner Gründung als Krankenhaus El Lavadero bis zu seiner Schließung als Krankenhaus Villa Baviera. Zu diesem Zweck habe ich bisher drei historische Perioden bestimmt: Installation und Institutionalisierung, Konsolidierung und Schließung.
MDN: Was sind deine Quellen?
EHJ: Ich habe mit schriftlichen dokumentarischen Quellen, Presseveröffentlichungen und Interviews gearbeitet und werde dies auch weiterhin tun.
MDN: Kannst du schon ein paar Erkenntnisse mit uns teilen? Oder ist es dafür noch zu früh?
EHJ: Noch ist es etwas früh. Im Zusammenhang mit meinem ersten Kapitel, in dem ich die Einrichtung und Institutionalisierung des Krankenhauses in einen Kontext gestellt habe, war es jedoch interessant, die (seit langem bestehenden) historischen Probleme zu beobachten, die Chile bei der Versorgung seiner Bevölkerung mit öffentlichen Gesundheitsdiensten hatte (und immer noch hat). Die Existenz von Wohltätigkeitsvereinen, die Gesundheitsaufgaben wahrnahmen (und noch immer wahrnehmen), beginnt und endet nicht mit dem Krankenhaus der Colonia Dignidad. Es hat mich viel Zeit gekostet, dies zu studieren, und ich glaube, dass der Kontext, der die Gründung dieses Krankenhauses ermöglichte, feststeht, auch wenn es nicht von Anfang an über die gesetzlichen Genehmigungen der Gesundheitsbehörde verfügte, sondern diese Genehmigungen erst im Rahmen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses von 1968 eingeholt wurden. Es sei daran erinnert, dass der Rechtsstatus gemeinnützigen Zwecken diente und der Schwerpunkt auf der Bildung lag.
Andererseits habe ich beobachtet, wie langjährige deutsch-chilenische Verbindungen dazu beigetragen haben, einen Weg zu ebnen, der diesen Institutionalisierungsprozess erleichterte, an dem mehrere Beamte und Behörden beteiligt waren, die familiäre oder persönliche Verbindungen zu Deutschland hatten und die eine sehr gute Meinung davon hatten, was eine deutsche Wohlfahrtsgesellschaft in Chile bieten könnte.
Ein drittes vorläufiges Ergebnis ist, dass die Colonia von Anfang an einige Strategien versuchte, um sich den öffentlichen Anschuldigungen zu stellen, was sich in den Ursprüngen des Krankenhauses zeigt. Einerseits gibt es das, was ich die „Strategie der vollendeten Tatsachen“ genannt habe, die im Fall des Krankenhauses dessen Legalisierung ermöglichte, als es bereits seit mehreren Jahren in Betrieb war. Es wäre für die chilenischen Behörden „unmöglich“ gewesen wäre, ein Krankenhaus zu schließen, als das Land in den 1960er Jahren so viele gesundheitliche Bedürfnisse hatte. Dieses Argument kommt sogar in den Reden von Patricio Aylwin im Jahr 1968 zum Ausdruck. Andererseits gibt es die „Strategie der Gefälligkeiten“, die sich im Falle des Krankenhauses in der Unterstützung des nationalen Streiks im Gesundheitssektor im Jahr 1966 durch das Personal des Krankenhauses El Lavadero zeigt. Diese Unterstützung des öffentlichen Gesundheitswesens wurde von den Gesundheitsbehörden schriftlich anerkannt und zur Verteidigung der SBED im Zusammenhang mit den Anschuldigungen nach der Flucht von Wolfgang Müller und Wilhelmine Lindemann im Jahr 1966 sowie im Rahmen der parlamentarischen Untersuchungen und Diskussionen im Jahr 1968 herangezogen.
MDN: Was ist deiner Meinung nach die größte Herausforderung an der Forschung zur Colonia Dignidad?
EHJ: Es gibt eine ethische Herausforderung. Wie der Colonia-Zeitzeuge Horst Schaffrik einmal sagte: Das ist keine Sache der Vergangenheit, das ist keine Geschichte. Und er hat Recht. Es handelt sich nicht um ein Thema der Vergangenheit, das man zur Geschichte machen kann, als ob die Betroffenen nicht noch am Leben wären und unter den Folgen vergangener Handlungen leiden würden, sondern auch um die Untätigkeit oder den mangelnden politischen Willen der Gegenwart, was wir so deutlich im Fall der Angehörigen von verschwundenen Häftlingen sehen, die fast 50 Jahre später immer noch verlangen, zu erfahren, wo sie sind und was mit ihren Angehörigen passiert ist. Oder der sexuell missbrauchten jungen Chilenen, die seit Jahren auf ihre Entschädigung warten. Die ethische Herausforderung hat mit der Behandlung zu tun, die wir dem Fall und den Menschen geben, die oft mit uns kooperieren, zum Beispiel bei Interviews. Wir müssen vermeiden, in die Falle des „akademischen Extraktivismus“ zu tappen, wo wir hingehen, Interviews führen und dann unsere Arbeit veröffentlichen und die Menschen, die wir interviewt haben, nie erfahren, wie wir ihre Geschichten verwendet haben.
Andererseits müssen wir Forschungen entwickeln, die nicht nur zum Fachwissen über dieses Thema beitragen, sondern auch zum öffentlichen Wissen. Das Thema der Kolonie und der Menschenrechtsverletzungen ist ein Thema von aktuellem öffentlichen Interesse und auch für die kommenden Generationen wichtig.
Eine methodische und analytische Herausforderung hat damit zu tun, wie die Quellen interpretiert oder analysiert werden. Es ist notwendig, Formeln zu entwickeln, die es uns erlauben, Quellen zu kontrastieren. Ich glaube, dass alle von uns, die sich dem Chaos der Colonia durch Forschung genähert haben, das Bedürfnis hatten, alles zu erklären (was unmöglich ist), um in einen bestimmten Fokus zu gelangen. Wir brauchen heute eine Forschung, die sich mit so vielen besonderen Dimensionen befasst, an die noch niemand gedacht oder gearbeitet hat, und zwar mit unterschiedlichen wissenschaftlichen und sogar künstlerischen, kreativen Ansätzen.
Es gibt auch eine sprachliche Herausforderung, denn es handelt sich um einen Fall, der zwei Sprachen betrifft, und diejenigen von uns, die sich für diese Themen interessieren, müssen bemerkenswerte Anstrengungen unternehmen, um die andere Sprache zu lernen.
MDN: Warum fasziniert dich das Thema Colonia Dignidad?
EHJ: Es ist ein Thema, das ein langjähriges Engagement erfordert. In meinem Fall habe ich mich ihr in meiner Rolle als Sozialpsychologin und dann als Forscherin in der Geschichte genähert. Ich habe verschiedene Gruppen von Opfern getroffen und der Kontakt mit ihnen hat mich in einer Dimension des menschlichen und beruflichen Engagements berührt. Man kann nicht einfach nach Hause gehen, wenn es so viel zu tun gibt auf dem Gebiet der Forschung, der Begleitung, des Zuhörens, der Gerechtigkeit, des historischen Wissens, der Erinnerung und der Weitergabe an neue Generationen. Ich engagiere mich also für die Arbeit, die in verschiedenen Bereichen getan werden muss, für die menschlichen Beziehungen, die ich aufgebaut habe, und für das Vertrauen, das viele in mich gesetzt haben. Das sind alles sehr starke Gründe, weiterzumachen und zu versuchen, ein Körnchen Sand zu all dem beizutragen.
MDN: Gibt es ein Thema, das deiner Meinung nach, mehr Aufmerksamkeit bekommen sollte?
EH: Es gibt viele Themen, da die wissenschaftliche Forschung sehr aktuell ist. Ich kann also junge (und nicht mehr ganz so junge) Forscher:innen nur ermutigen, sich in ihren verschiedenen Arbeitsbereichen mit diesem Thema zu beschäftigen. Auch Kunstschaffende und Künstler, von denen wir wissen, wie viel sie zur Debatte und zum öffentlichen Wissen beigetragen haben, audiovisuelle Produktionen, Theaterstücke, Romane.
Natürlich ist meine Aufforderung immer, die ethische Dimension der Arbeit zu berücksichtigen. Das sind heikle Themen, die nicht einfach zu Studien- oder Gestaltungsobjekten werden können, wobei wir die Tatsache vernachlässigen, dass unsere Hauptgesprächspartner:innen oder die interessierte Öffentlichkeit genau diejenigen sind, die von der Kolonie betroffen waren.
MDN: Was würdest du Nachwuchswissenschaftle:rinnen raten, die eine Forschungsarbeit zum Thema Colonia Dignidad aufnehmen möchten?
EHJ: Die erste und grundlegendste ist die Sorgfalt und der Respekt im Umgang mit diesem Thema. Vergessen Sie nicht, dass es sich um ein Thema handelt, das nicht nur für Akademiker von Interesse ist, sondern auch für die Menschen, die diese Ereignisse miterlebt haben. Also werden sie die Hauptkritiker:innen sein. Zweitens ist es wichtig, auf sich selbst und die Beziehungen zu den Menschen zu achten, um nicht in „Allianzen“ oder „Heimlichkeiten“ zu verfallen, die die Muster der Vergangenheit verstärken. Während der Forschungsarbeit eine kritische und selbstkritische Haltung im Hinblick auf die getroffenen theoretischen, methodischen und ethischen Entscheidungen bewahren und deren Auswirkungen auf die Ergebnisse abwägen. Betrachten Sie die Multiperspektive als etwas, das für unsere Arbeit förderlich ist und nicht als Hindernis. Und schließlich hilft der Aufbau von Netzwerken, die Zusammenarbeit, der Austausch mit Kolleg:innen immer, diese Reflexivität im Forschungsprozess zu erhalten.
Hier gehts zu einem Zeitzeugen-Bericht über das Krankenhaus der Colonia Dignidad.
Foto von dem bisherigen Museum der Villa Baviera, Bildrechte: MDN
Vorstellung eines Konzepts für eine Gedenkstätte in der ehemaligen Colonia Dignidad durch die vier von den Regierungen Chiles und Deutschlands ernannten unabhängigen Expert:innen
Online Veranstaltung am Donnerstag, den 24. Juni 2021, 18-20 Uhr (Chile: 12-14 Uhr).
Am kommenden Donnerstag findet eine Online-Veranstaltung statt, in der die zuständige Expert:innenkommission das erarbeitete Konzept für eine Gedenkstätte in der ehemaligen Colonia Dignidad vorstellt.
Seit 2014 arbeitet ein interdisziplinäres Team mit den verschiedenen Betroffenengruppen und bringt sie bei Dialogseminaren miteinander ins Gespräch. Dabei geht es insbesondere um die Frage, wie die Vergangenheit am historischen Ort thematisiert werden sollte. 2016 stellte die chilenische Regierung einen Teil der Siedlung unter Denkmalschutz. Im Jahr darauf gründete sich eine Gemischte Kommission aus Vertreter:innen der chilenischen und der deutschen Regierung. Sie beauftragte zwei chilenische und zwei deutsche Expert:innen mit der Entwicklung eines Gedenkstättenkonzepts. Dieses Konzept soll bei der Online-Veranstaltung vorgestellt und diskutiert werden.
mit:
Elke Gryglewski, Politologin, Geschäftsführerin der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten und Leiterin der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Bis 2020 war sie stellvertretende Direktorin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz.
Elizabeth Lira, Psychologin, Dekanin der Fakultät für Psychologie der Universidad Alberto Hurtado in Santiago de Chile. Sie hat an verschiedenen Kommissionen zur Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen der Pinochet-Diktatur mitgewirkt. 2017 wurde sie mit dem chilenischen Preis für Geistes- und Sozialwissenschaften ausgezeichnet.
Diego Matte, Rechtsanwalt, Leiter des Zentrums für Kunst- und Kultur der Universidad de Chile.
Jens-Christian Wagner, Historiker, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und Professor für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit an der Universität Jena.
Moderation: Jenny Pérez, Journalistin.
Die Veranstaltung findet in spanischer Sprache mit Simultanverdolmetschung ins Deutsche über die Plattform Zoom statt. Um Anmeldung wird gebeten an: event@bergen-belsen.de
_______________________________________________
Desde 2014 un equipo interdisciplinario trabaja con los diferentes grupos de afectados realizando talleres y seminarios de diálogo. Estas actividades giran en torno a la pregunta cómo debería ser representado el pasado de la Colonia Dignidad en el lugar histórico.
En 2016 el gobierno chileno declaró Monumento Nacional a una parte del predio. Durante el año siguiente se conformó una Comisión Mixta con representantes de los gobiernos de Chile y de Alemania. Esta Comisión nombró a dos expertos/-as chilenos y dos expertos/-as alemanas, encargándoles la elaboración de un concepto para un Sitio de Memoria. Es este concepto que se presentará y se discutirá en esta actividad online.
Conversatorio online con
Elke Gryglewski, politóloga, directora de la Fundación Memoriales de Baja Sajonia y del Sitio de Memoria ex campo de concentración Bergen Belsen. Hasta 2020 fue vicedirectora del Sitio de Memoria Casa de la Conferencia de Wannsee en Berlín.
Elizabeth Lira, psicóloga, es decana de la Escuela de Psicología de la Universidad Alberto Hurtado en Santiago de Chile. Ha trabajado en diversas comisiones relacionadas con las violaciones a los derechos humanos de la dictadura cívico militar chilena. Fue reconocida con el Premio Nacional de Humanidades y Ciencias Sociales de Chile en el año 2017.
Diego Matte, abogado, dirige el Centro de Extensión Artística y Cultural de la Universidad de Chile.
Jens-Christian Wagner, historiador, director de la Fundación Sitios de Memoria Buchenwald y Mittelbau-Dora y catedrático de historia en los medios y en el espacio público en la Universidad de Jena.
Modera: Jenny Pérez, Periodista
La actividad se realizará en la plataforma Zoom en español con traducción simultánea al alemán. Inscripciones a: event@bergen-belsen.de
Foto von dem bisherigen Museum der Villa Baviera, Bildrechte: MDN
Kommentar zur Veröffentlichung des Zeitzeugenberichts von Friedhelm Bensch auf diesem Blog
ein Gastbeitrag von Dieter Maier
Täter*in oder Opfer?
Viele Ich-Berichte ehemaliger Bewohner*innen der Colonia Dignidad enthalten bezeichnende Lücken. Sie verweisen auf das kaum zu lösende Problem, wer Opfer und wer Täter*in war. Schäfer hatte dafür gesorgt, dass nahezu jede*r schlug und jede*r geschlagen wurde. Ehemalige Bewohner*innen, die ausschließlich Opfer waren, gab es kaum. Ein früherer Bewohner, der wie kaum ein Anderer zum Opfer der Colonia Dignidad geworden war, ist sich heute sicher, dass die „Colonos“ nicht nur Opfer sondern auch Täter*innen waren. Er selbst, und nicht nur er, bezeichnet sich als beides. Es gab in Schäfers System kaum eine Alternative. Bisher wurden nur wenige Geschichten gesammelt, in denen einstige Colonia-Mitglieder von Momenten des Widerstands berichten, in denen sie sich der Willkür Paul Schäfers widersetzen konnten.
Auch von Zeitzeug*innen verfasste Texte auf diesem Blog enthalten dieses Täter-Opfer-Syndrom. Edeltraud Bohnau berichtet beispielsweise, wie ihr Mann Willi Malessa auf Befehl Schäfers Leichen von ermordeten chilenischen politischen Gefangenen ausgrub. Machte ihn das zum Mittäter? Friedhelm Bensch schreibt in seinem Bericht: „Diese Prügelstrafen konnten jeden treffen. Das nächste Mal wurde Manfred verschlagen… ich war auch bei denen, die zuschlugen. Erst als ich erwachsen, reifer wurde, stellte ich mich nicht mehr in die Reihe der Schläger. Ich fühlte mich bei solchen Auseinandersetzungen so, als würde ich die Strafe selber erleiden.“ Was Bensch schildert, weist ihn ohne Frage als Opfer aus, aber in einer Publikation, die Abgeordneten des Deutschen Bundestags übergeben wurde, wird Bensch ohne weitere Angabe von Gründen als einer der Täter genannt, „die unser Leben zerstörten und unheilbare Wunden in unserer Seele hinterließen“ (Die Opfer fordern Gerechtigkeit (ohne Autor), 3. Aufl. Lindenberg (Druckort) 2017).
Die früheren Bewohner*innen sehen sich heute fast alle als Opfer. Täter waren Schäfer, der schon tot war, und einige wenige enge Gefolgsleute. Dieser Blog möchte dazu beitragen, den dauernden Opfer-Diskurs zu durchbrechen, um differenzierter auf das System der Colonia Dignidad zu blicken. Denn jenes System beruhte auf ebendieser Beteiligung seiner Mitglieder an den Verbrechen. Fast in jedem Fall gibt es einen Opfer- und einen Täteranteil, und es wäre in einer gemeinsamen interdisziplinären Diskussion zu klären, wie und wozu diese zu gewichten wären.
Rückmeldungen zum Bericht von Friedhelm Bensch
Ich habe mich umgehört, um einen Eindruck zu gewinnen, wie der zuletzt auf diesem Blog veröffentlichte Text von Friedhelm Bensch im historischen Bezugsrahmen der Colonia Dignidad zu verstehen sein könnte. Bisher stehen leider erst wenige Zeitzeugenberichte zur öffentlichen Verfügung, um etwas über die Geschichte der Colonia Dignidad zu erfahren. Um in Zukunft einen angemessenen multiperspektivischen Blick auf einzelne Berichte zu ermöglichen, macht das Oral History Projekt der Freien Universität Berlin Hoffnung.
Erste Kommentare zu Benschs Text waren etwa:
Friedhelm Bensch hat Schäfer früh durchschaut. Er wurde deshalb von Schäfer auch immer schlecht angesehen.
Eine frühe Bewohnerin der Colonia Dignidad schrieb:
Jeder hat sich auf seine Weise und mit seinen Mitteln durchgekämpft.
Andere Personen wünschen sich, dass die Äußerungen einzelner ehemaliger Colonia-Bewohner*innen weitere zum Aufschreiben ihrer Erinnerungen motivieren kann. So schrieb mir einer:
Halte es für äußerst wichtig, diesen Link überall hin zu verteilen, besonders an ehemalige Colonos, damit auch seine Niederschrift als Beispiel wirkt und sich andere motivieren lassen gleiches zu tun.
Das Kontrollsystem „Bimmel und Bammel“
Ein Blick auf das perfide System der „Bimmel und Bammel“ innerhalb der Colonia Dignidad eignet sich, um den schmalen Grat des Opfer- und Täterseins zu verdeutlichen. Deshalb möchte ich abschließend noch einmal darauf eingehen. Die kleinen Jungen wurden durch ein System mit dem unscheinbaren Namen „Bimmel und Bammel“ in die Hierarchie der Colonia Dignidad eingebunden. Die Bammel waren ältere Jugendliche oder junge Männer, die den ganzen Tag die jüngeren Bimmel überwachten. Schäfer organisierte sein „Teile-und-Herrsche“, indem er jeweils einen Bammel einem Bimmel zuwies.
Einen Bammel zu haben, war eine Erziehungs- und Strafmaßnahme. Die Bammel durften die Bimmel schlagen, erniedrigen und beschuldigen. Bimmel und Bammel mussten Distanz halten. Wenn sich ein Bimmel dem anderen näher als einen Meter näherte oder sich mehr als zwei Meter entfernte, gab es sofort Schläge. Der Bammel wiederum war an den Bimmel gebunden, denn er durfte sich nur wenige Meter von ihm entfernen. Die Bimmel durften nicht miteinander sprechen, spielen oder gar sich berühren. Es war ein unerträglicher Dauerkonflikt zwischen Nähe und Distanz, der sich regelmäßig in Aggressionen der Bammel gegen die durch unsichtbare Ketten an sie gebundenen Bimmel entlud. Die Bammel gaben die Gewalt weiter, die sie selbst zuvor erlitten hatten. Für Schäfer lag der praktische Sinn dieses Systems darin, dass er tagsüber die Jungen, denen er sexualisierte Gewalt antat, von den anderen isolieren konnte. Sie konnten mit niemanden über ihre sexualisierte Gewalterfahrungen sprechen.
[Hinweis: Der CDPHB macht sich die Beiträge seiner Gastautor*innen nicht zu eigen.]
Friedhelm Bensch wurde 1953 in Deutschland geboren. Als er acht Jahre alt war, wanderte er mit 29 anderen Kindern und 8 Erwachsenen nach Chile aus. Seine eigene Mutter kam erst ein Jahr später nach. In seinem Bericht erzählt Friedhelm Bensch von dem Alltag in der Colonia Dignidad, von der Willkür Paul Schäfers und seinen Unterstützern, sowie den unsäglichen Prügelstrafen und einem Druck, dem er gegen Ende kaum standhalten konnte.
Seit 2007 lebt Friedhelm Bensch mit seiner Frau und seinem Sohn in Nordrhein-Westfalen. Dort beschloss er im Jahr 2012 seine Erinnerungen an das Leben in der Colonia Dignidad aufzuschreiben. Mit dem Wunsch, seine Erinnerungen frei zugänglich zu veröffentlichen, wandte er sich schließlich an Dieter Maier. Dieser schlug diesen Blog als Plattform vor. Der Bericht wird im Wortlaut veröffentlicht und er wurde lediglich geringfügig redigiert.
Die Erinnerungen an vergangene Zeiten sind immer höchst subjektiv und sollten nie alleinstehend als ausschließliche faktenbasierte Quelle gelesen werden. Bei dem Bericht von Friedhelm Bensch handelt sich demnach um ein Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Geschichte der Colonia Dignidad. Eine Geschichte, die viele Menschen unterschiedlich erlebt haben.
Klicken Sie einfach auf dieses Bild, um zu dem PDF-Dokument zu gelangen:
(Hinweis: Der CDPHB versteht sich ausschließlich als Plattform; er macht sich den Bericht des Autors weder zu Eigen, noch übernimmt er Verantwortung für die geschilderten Erzählungen.)
Veranstaltungsreihe des AStA Hannover: „Colonia Dignidad – Aufarbeitung eines deutschen Verbrechens in Chile“
Die Arbeitsgruppe Kritische Bildung des AStA der Universität Hannover beschäftigt sich Ende November 2020 erneut mit dem Thema Colonia Dignidad. Dieses Mal steht das Thema Aufarbeitung im Fokus der Veranstaltungsreihe. Aufgrund der COVID19-Pandemie wurde das Veranstaltungsformat dahingehend angepasst, dass alle Veranstaltungen Online stattfinden können. Interessierte finden die Veranstaltungsreihe zur Aufarbeitung der Colonia Dignidad auf der Facebook-Seite des AStA Hannover unter diesem Link.
DIENSTAG, 24. NOVEMBER 2020 UM 19:00 UTC+01
Colonia Dignidad – zum strukturellen Versagen politischer und juristischer Aufarbeitung
Die Geschichte der Colonia Dignidad von ihren Vorläufern in den 1950er Jahren bis heute ist auch eine Geschichte von unterlassenen staatlichen Verpflichtungen, die dort begangenen Verbrechen zu verhindern und aufzuarbeiten: auf juristischer und politischer Ebene, in Deutschland und in Chile.
Manche Akteur*innen unterstützten die Colonia Dignidad willentlich. Andere ließen sich von ihrer unermüdlichen Lobbyarbeit beeindrucken und schenkten Opferschilderungen keinen Glauben. Oft schoben Behörden die Verantwortung jeweils anderen zu, so dass sich in Chile der Spruch durchsetzte „La Colonia siempre gana“, auf deutsch: „Die Kolonie gewinnt immer“. Nur in wenigen historischen Phasen gelang es ein Stück weit, gegen die Sekte vorzugehen. Bis zur Festnahme von Paul Schäfer 2005 wurden jedoch weiter Verbrechen begangen.
Die Aufklärung und Aufarbeitung verlaufen seitdem prekär: Täter*innen der Colonia Dignidad wurden kaum bestraft. Deutschland ist zum „sicheren Hafen“ für ehemalige Mitglieder der Führungsriege geworden, die von der chilenischen Justiz gesucht oder wie im Fall des leitenden Sektenarztes Hartmut Hopp bereits verurteilt wurden. Hierzulande fehlt gegen sie, laut NRW-Justiz, ein „hinreichender Tatverdacht“.
Viele Taten, wie das „Verschwindenlassen“ von dutzenden politischen Aktivist*innen während der Pinochet-Diktatur sind weiterhin unaufgeklärt. Das von der Führung der Colonia Dignidad Ende der 1980er Jahre entworfene Firmengeflecht besteht noch immer und das jahrzehntelang durch Verbrechen angehäufte Vermögen ist nicht aufgeklärt. Auf dem Gelände der ehemaligen Colonia Dignidad wird die Vergangenheit bislang kaum thematisiert. Bemühungen um Errichtung einer von der deutschen und der chilenischen Regierung getragenen Gedenkstätte verlaufen seit Jahren zäh. Warum tragen beide Staaten so wenig zu einer umfassenden Aufarbeitung bei? Welches sind heute die entscheidenden Auseinandersetzungen? Wo gibt es Chancen auf Aufklärung?
Jan Stehle ist Mitarbeiter des Forschungs- und Dokumentationszentrums Chile-Lateinamerika in Berlin. Er hat an der FU Berlin zum Umgang bundesdeutscher Justiz und Außenpolitik mit dem Fall Colonia Dignidad promoviert und engagiert sich seit Jahren für die juristische und politische Aufarbeitung der CD-Verbrechen.
Ute Löhning ist Print- und Hörfunk-Journalistin und regelmäßig in Lateinamerika, vor allem in Chile unterwegs. Sie berichtet unter anderem zu sozialen Bewegungen, Erinnerungspolitik und Straflosigkeit.
Colonia Dignidad – zur Errichtung einer Gedenkstätte in einem erinnerungskulturell umkämpften Feld
Vortrag und Diskussion mit Dr. Elke Gryglewski und Meike Dreckmann-Nielen
Die Geschichte der Colonia Dignidad gilt als erinnerungskulturell umkämpftes Feld, denn der einstige Ort zahlreicher Verbrechen wurde von seinen Bewohner*innen über die Jahre in ein touristisch gestaltetes Freizeitdorf mit Hotellerie und Gastronomie umgebaut. Während die einen dies als Neuerfindung an einem schrecklichen Ort erleben, kritisieren andere diese Nutzung als Opferverhöhnung. Dies ist nur eines von vielen konfliktbehafteten Themen in der Geschichte der Colonia Dignidad.
Meike Dreckmann-Nielen wird in ihrem Vortrag einen Einblick in diesen Konflikt um Deutungshoheit und damit in ihr laufendes Forschungsprojekt geben. Sie promoviert am Arbeitsbereich Public History der Freien Universität Berlin zu erinnerungskulturellen Dynamiken in der ehemaligen Colonia Dignidad.
Mit den praktischen Planungen rund um den Prozess der Errichtung des Dokumentationszentrums und einer Gedenkstätte befasst sich Dr. Elke Gryglewski als Mitglied einer bilateralen Expertenkommission, die von den Regierungen Chiles und Deutschland eingesetzt wurde.
Dr. Elke Gryglewski ist kommissarische Direktorin der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin und seit 2014 mit dem Prozess der Planung von Dokumentationszentrum und Gedenkstätte auf dem Gelände der ehemaligen Colonia Dignidad betraut. In ihrem Vortrag wird sie aus ihrer konkreten Arbeit in diesem Planungsprozess berichten und damit ganz praktisch Einblick in einen in hohem Maße komplexen Prozess geben.
Colonia Dignidad und die Pinochet-Diktatur: eine Repressionsallianz offenbart ihr Innenleben
Der harte Kern einer Diktatur kann noch lange nachwirken, wenn diese selbst formal abgetreten ist. In Chile wirken sich die Machtkonstellationen, die Wirtschaftsstrukturen und Denkweisen der 1990 abgetretenen Pinochetdiktatur bis heute aus. Auch die repressiven Methoden erstarken wieder, wenn die Bevölkerung mit der alten, von der Diktatur übernommenen Politik bricht. Die von der Pandemie unterbrochenen emanzipatorischen Kämpfe im heutigen Chile haben eine autoritäre Reaktion des Staates hervorgerufen.
2005 fand die Polizei auf dem Gelände der deutschen Siedlung Colonia Dignidad ein Archiv, das die Methoden und Denkweisen der Geheimdienste und ihrer zivilgesellschaftlichen HelferInnen dokumentiert. Unsere Referenten Luis Narváez und Dieter Maier haben einen großen Teil davon in einer zweisprachigen Datenbank erschlossen (www.fichas-chile.com, User: visita. Password/codigo: fulano) und ein noch unveröffentlichtes Buch darüber geschrieben. Im Rahmen dieses Vortrags werden sie die wichtigsten Ergebnisse vorstellen. Der Chilene Erick Zott, ein ehemaliger politischer Gefangener in der Colonia Dignidad, wird von seinen Erfahrungen mit dem Repressionsapparat berichten.
Dr. Dieter Maier (Frankfurt am Main) ist Autor mehrerer Bücher über die Colonia Dignidad.
Luis Narváez (Buenos Aires) ist chilenischer Journalist.
Erick Zott (Wien) war politischer Gefangener in Chile.
Die Strafverfolgung von in der Colonia Dignidad begangenen Menschenrechtsverbrechen zeigte sich in den vergangenen Jahrzehnten als zäher und mühseliger Prozess. Immer wieder wird seitens Opferverbänden eine andauernde Straflosigkeit von einstigen Täter*innen beklagt. Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) nimmt die juristische Aufarbeitung der durch die Colonia Dignidad begangenen Menschenrechtsverbrechen bereits seit seiner Gründung 2008 in den Blick. Im Interview erzählt der Jurist Andreas Schüller von den Schwierigkeiten, welche die juristische Verfolgung der zahlreichen Verbrechen heute mit sich bringt. Er geht dabei auch auf den komplizierten Fall des ehemaligen Colonia-Arztes Hartmut Hopp ein.
Interview von Meike Dreckmann-Nielen mit Andreas Schüller vom ECCHR
Meike Dreckmann-Nielen: Wer sich mit der juristischen Aufarbeitung der Colonia Dignidad beschäftigt, kommt an der Arbeit des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) nicht vorbei. Können Sie unseren Leser*innen erklären, was das ECCHR genau ist und wie es arbeitet?
Andreas Schüller: Das ECCHR ist eine Menschenrechtsorganisation aus Berlin, die sich vor allem mit rechtlichen Mitteln für eine Durchsetzung der Menschenrechte einsetzt. Wir reichen dort Klagen, Anzeigen oder Schriftsätze ein oder fertigen Rechtsgutachten an, wo wir eine Chance sehen, etwas verändern zu können. Dies betrifft zum Beispiel unser Vorgehen gegen europäische Unternehmen, wenn diese Menschenrechte im Ausland verletzen und wir über unsere Netzwerke gemeinsam mit Betroffenen überlegen, wie wir die Rechtsverletzungen adressieren und vor Gerichte bringen können. Gleiches gilt für Folter, Kriegsverbrechen und sexualisierte Gewalt. Oftmals können diese Fälle nicht vor Gerichte in dem Land gebracht werden, in dem sie begangen werden, da staatliche Sicherheitskräfte die Täterinnen sind.
Meike Dreckmann-Nielen: Und was können Sie dann tun?
Andreas Schüller: Wir suchen dann nach Wegen in anderen Ländern oder vor internationalen Gerichten, die Völkerstraftaten verfolgen zu lassen. Unsere Organisation arbeitet in vielen Netzwerken mit anderen Jurist*innen, Researcher*innen, NGOs, Betroffenen und vielen anderen, um Fälle aufzuarbeiten, einzureichen und zu unterstützen. Auch wenn unser Sitz in Berlin ist, arbeiten wir sehr transnational und verbunden mit vielen anderen, die dieselben Ziele wie wir verfolgen. Rechtliche Prozesse und Entscheidungen haben eine große Tragkraft, die wiederum andere politische Prozesse beeinflussen oder umleiten kann. Staatliche Akteur*innen oder Unternehmen werden gezwungen, ihr Verhalten zu verändern. Wichtig ist vor allem, die einzelnen Fälle zu kontextualisieren und politisch zu begleiten, um eine größtmögliche Wirkung zu entfalten und Veränderung zu bewirken.
Meike Dreckmann-Nielen: Wie sind Sie denn persönlich zum ECCHR gekommen und welche der Themen gehören schwerpunktmäßig zu Ihrem Aufgabenbereich?
Andreas Schüller: Ich habe in drei Ländern Jura studiert und mich auf Völkerrecht und Völkerstrafrecht spezialisiert. Beim ECCHR arbeite ich seit 2009, was sehr lange klingt, aber viele Fälle und Themen begleiten unsere Arbeit über viele Jahre und erst durch die langjährige Befassung mit bestimmten Fällen schafft man auch Veränderungen. Mein Fokus liegt auf Völkerstraftaten und rechtlicher Verantwortung. Das reicht von Folter in Guantanamo und Drohnenangriffe über Völkerstraftaten in Syrien bis hin zu lateinamerikanischen Diktaturverbrechen.
Meike Dreckmann-Nielen: Wie kam es dazu, dass sich das ECCHR des Themas Colonia Dignidad angenommen hat und welchem Teil dieses komplexen Themas widmet sich das ECCHR schwerpunktmäßig?
Andreas Schüller: Das Thema Colonia Dignidad hat das ECCHR seit seiner Gründung 2008 verfolgt, da es um schwerste Menschenrechtsverletzungen geht, die immer noch nicht hinreichend aufgearbeitet wurden und in denen es einen engen Bezug zu Deutschland gibt. Die Unterstützung einer verbrecherischen Diktatur durch eine deutsche Siedlung ist an sich schon ungewöhnlich. Umso skandalöser ist es, dass der deutsche Staat und die Justiz bis heute ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden ist, die begangenen Straftaten aufzuarbeiten und zu verfolgen. Aus diesem Grund haben wir Strafanzeigen gegen in Deutschland lebende ehemalige Führungsmitglieder der Colonia Dignidad eingereicht und fordern seit mehreren Jahren, dass die deutsche Justiz die Verbrechen umfassend ermittelt und strafrechtlich verfolgt.
Meike Dreckmann-Nielen: Haben Sie im Kontext Ihrer Arbeit über die Jahre einen Fall bearbeitet oder kennengelernt, der mit dem der Colonia Dignidad vergleichbar wäre?
Andreas Schüller: Wirklich vergleichbar sind die meisten Fälle nicht. Was im Fall der Colonia Dignidad auffällt, ist das totale Versagen auf deutscher Seite, das Geschehene rechtlich aufzuarbeiten, trotz der vielen Bezüge nach Deutschland und des langen Zeitraums, in dem bekannt ist, was in der Siedlung geschah. Vergleichbar zu anderen Fällen ist, dass es gut organisierte kleine Täterkreise gibt, die über Jahre ein perfides Verbrechenssystem aufbauen und betreiben konnten. Vergleichbar ist auch, dass sie es mehrheitlich geschafft haben, davonzukommen – mit Ausnahme derer, die in hohem Alter letztlich von der chilenischen Justiz verurteilt wurden.
Meike Dreckmann-Nielen: Wann würden Sie davon sprechen, dass die Verbrechen der Colonia Dignidad juristisch aufgearbeitet wurden?
Andreas Schüller: Es muss umfangreich ermittelt werden. Das heißt, dass vor allem diejenigen Zeug*innen, die in Deutschland leben, vernommen werden müssen. Und zwar von erfahrenen Ermittler*innen, die sich mit der Colonia Dignidad auskennen. Jetzt ist die Zeit dafür, denn der Druck auf Zeug*innen ist nicht mehr so hoch wie früher und es gibt mehr Kenntnis darüber, was geschah. Einige sind dabei, sich mehr und mehr zu öffnen. Es geht uns nicht primär um Verurteilungen, sondern darum, dass die Vorwürfe und Beweise vor Gericht verhandelt werden. Nur so ist eine juristische Aufarbeitung möglich.
Meike Dreckmann-Nielen: Hartmut Hopp wurde in Chile verurteilt, weil er Beihilfe zu der sexualisierten Gewalt an Kindern durch Paul Schäfer geleistet haben soll. Wie genau kam es zu der Verurteilung?
Andreas Schüller:Hartmut Hopps Rolle und Funktion innerhalb der Führungsriege wurden in Chile aufgearbeitet. Er hat sich an dem Verfahren beteiligt und dagegen verteidigt. Am Ende waren die Richter aber von seiner Mitverantwortlichkeit aufgrund seiner Stellung und Nähe zu Paul Schäfer überzeugt, weshalb er verurteilt wurde.
Meike Dreckmann-Nielen: Hartmut Hopp entzog sich dieser Strafe ja schließlich, indem er 2013 nach Deutschland ausreiste. Das ist möglich, weil Deutschland und Chile kein Auslieferungsabkommen vereinbart haben. Im Jahr 2014 beantragte die chilenische Justiz schließlich, die Haft in Deutschland zu vollstrecken. Warum ist das bis heute nicht geschehen?
Andreas Schüller: Das ist wahr. Deutschland liefert keine eigenen Staatsbürger aus, das ist im Grundgesetz garantiert. Aber es ist möglich, ausländische Verurteilungen in Deutschland anerkennen zu lassen, so dass eine Freiheitsstrafe hier vollstreckt wird. Im Fall von Hartmut Hopp hat das Oberlandesgericht Düsseldorf jedoch sehr hohe, aus unserer Sicht zu hohe, Maßstäbe an das Urteil der chilenischen Justiz angelegt. Zudem fehlte das Verständnis dafür, wie die Colonia Dignidad funktionierte. Andererseits haben es die Staatsanwaltschaften in Deutschland unterlassen, selbst die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. So entsteht Straflosigkeit für schwerste systematische Verbrechen.
Meike Dreckmann-Nielen: Es klingt förmlich so, als gäbe es handfeste Beweise, die einfach nicht gesehen werden (wollen). Was macht den Fall Hartmut Hopp denn so kompliziert?
Andreas Schüller: Das lange Abwarten der deutschen Justiz hat zum einen dazu geführt, dass viele Taten schon verjährt sind. Außerdem geht es um Hartmut Hopps Verantwortlichkeit aufgrund seiner Stellung und Position in einer Organisationsstruktur, die Verbrechen begangen und ermöglicht hat. Die chilenischen Ermittlungen sind logischerweise im Hinblick darauf geführt worden, was vor chilenischen Gerichten Standard ist, um zu einer Verurteilung zu gelangen. Da sich das deutsche Strafrecht schon unterscheidet, können die Zeugenbefragungen aus Chile hier nur Anhaltspunkte geben. Für ein deutsches Verfahren müssten im Grunde genommen alle Zeug*innen erneut befragt werden. Das ist aufwendig und bedarf des entsprechenden politischen Willens, dies zu priorisieren und die erforderlichen Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
Meike Dreckmann-Nielen: Es gibt einige ehemalige Anhänger*innen der Colonia Dignidad, die Hartmut Hopp bis heute als Opfer Paul Schäfers verteidigen. Wie gehen Sie beim ECCHR mit den Kategorien Opfer und Täter*in um?
Andreas Schüller: Das ist ein wichtiger Punkt, der in einem Strafverfahren auch Berücksichtigung finden würde. Dennoch entschuldigt erlittenes Unrecht nicht, selbst anderen Menschen Leid zuzufügen oder andere dabei zu unterstützen, dies tun zu können. Dies betrifft vor allem auch die Kollaboration mit der Pinochet-Diktatur.
Meike Dreckmann-Nielen: Viele Leser*innen kontaktieren mich und fragen, was sie tun können für die Unterstützung von Opfergruppen und die Aufarbeitung. Haben Sie konkrete Anknüpfungsstellen, an denen eine engagierte Öffentlichkeit Sie und Ihre Arbeit unterstützen kann?
Andreas Schüller: Wichtig ist, dass das Thema präsent bleibt. Es muss allen Verantwortlichen in Justiz und Politik klar sein, dass dies die letzten Jahre sind, noch etwas zu ändern. Ansonsten wird ein historisches Versagen der deutschen Justiz, die seit 1965 Hinweise auf von deutschen Staatsbürger*innen im Ausland begangene Straftaten hat, in die Geschichtsbücher eingehen. Hilfe ist vor allem für die Betroffenen dringend erforderlich, hier und in Chile, die oftmals in sehr prekären Verhältnissen leben müssen. Sie verdienen jede Art der Unterstützung.
Meike Dreckmann-Nielen: Vielen Dank für den Einblick in Ihre Arbeit.
Weiterführende Links zu dem Thema Colonia Dignidad vom ECCHR (Auswahl):
„Rechtliche Stellungnahme des ECCHR zum Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf in Sachen Hartmut Hopp/ Colonia Dignidad“ – Hier entlang!
„ECCHR-Stellungnahme zu der Rolle von Hartmut W. Hopp innerhalb der Colonia Dignidad“ – Hier entlang!