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Akteur*innen & Projekte/Forschungseinblicke

Buch über die Erinnerungskultur in der Colonia Dignidad im März erschienen

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Buch über die Erinnerungskultur in der Colonia Dignidad im März erschienen

Im März 2022 ist das Buch

„Die Colonia Dignidad zwischen Erinnern und Vergessen

Zur Erinnerungskultur in der ehemaligen Siedlungsgemeinschaft“

von Meike Dreckmann-Nielen im Transcript-Verlag erschienen.

Aus dem Klappentext:

Die Colonia Dignidad erlangte wegen zahlreicher bis heute unaufgeklärter Menschenrechtsverbrechen internationale Bekanntheit. Dass einstige Mitglieder der deutschen Gruppe das historische Siedlungsgelände in Chile unter dem Namen »Villa Baviera« (deutsch: bayerisches Dorf) schrittweise zu einem touristischen Freizeitort umfunktioniert haben, sorgt angesichts der mangelnden Aufarbeitung für anhaltende Kritik. Meike Dreckmann-Nielen untersucht, wie sich einstige Mitglieder der Gruppe heute an ihre eigene Vergangenheit erinnern. In ihrer Studie ermöglicht sie einen intimen Einblick in komplexe erinnerungskulturelle Dynamiken im Mikrokosmos der ehemaligen Siedlungsgemeinschaft.

 

 

Interview des Transcript-Verlags mit der Autorin:

1. Warum ein Buch zu diesem Thema?

Die Zeit der Colonia Dignidad zählt zu den dunkelsten Kapiteln deutsch-chilenischer Geschichte. Da die Aufarbeitung der dort begangenen Verbrechen bis heute nur schleppend vorangeht, ist sie allerdings längst nicht nur ein historisches Kapitel, sondern für viele Opfer bittere Gegenwart. Dieses Buch möchte nun einen Beitrag zur Aufarbeitung leisten, indem es aufzeigt, wie die eigene Vergangenheit im Mikrokosmos der ehemaligen Colonia Dignidad heute verhandelt wird und welche Konsequenzen dies hat.

2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?

Das Buch blickt erstmals dezidiert mit einer erinnerungskulturellen Fragestellung auf die Colonia Dignidad. Es untersucht den Umgang der einstigen Mitglieder der Colonia Dignidad mit ihrer eigenen Vergangenheit an dem Ort der historischen Menschenrechtsverbrechen, dem heutigen Tourismusort ›Villa Baviera‹. Das Buch spürt gruppeninternen Narrativen und Geschichtsbildern nach, um schließlich Wirkmechanismen erinnerungskultureller Dynamiken aufzuzeigen.

3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in den aktuellen Forschungsdebatten zu?

Der Forschungsstand zum Thema Colonia Dignidad ist bisher sehr dünn. Eine ganze Monographie zum erinnerungskulturellen Erbe der Siedlungsgemeinschaft hat es bisher noch nicht gegeben. Das Buch knüpft damit vor allem an bisherige Grundlagenstudien zur Verbrechensgeschichte an und spannt einen Bogen in die Gegenwart, indem es die Bedeutung komplexer Aushandlungsprozesse von Vergangenem in der Gegenwart einer spezifischen Siedlungsgemeinschaft analysiert.

4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten diskutieren?

Ich wünsche mir noch einmal die Gelegenheit, persönlich mit den Betroffenen über meine Erkenntnisse aus der Forschungsarbeit zu sprechen. Leider kam die Pandemie dazwischen, sodass noch kein neues Treffen stattfinden konnte. Aktuell freue ich mich darauf, bei der Buchpräsentation im März 2022 mit Renate Künast und Elke Gryglewski über meine Ergebnisse zu diskutieren und ihre spezifischen Sichtweisen dazu zu hören.

5. Ihr Buch in einem Satz:

Das Buch beleuchtet, wie die ehemaligen Mitglieder der Colonia Dignidad heute am historischen Ort der Siedlung mit der eigenen Geschichte umgehen.

 

Hinweis: Dieses Interview mit der Autorin Meike Dreckmann-Nielen ist zuerst auf der Webseite des Transcript-Verlages erschienen und darf mit freundlicher Erlaubnis auch hier zur Verfügung gestellt werden.

 

 

Forschungseinblicke/Veranstaltungen

Buchvorstellung zur Erinnerungskultur in der Colonia Dignidad (22.3.2022)

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Buchvorstellung zur Erinnerungskultur in der Colonia Dignidad (22.3.2022)

Foto von dem bisherigen Museum der Villa Baviera, Bildrechte: MDN

Veranstaltungshinweis:

Am 22.3.2022 wird am Arbeitsbereich „Didaktik der Geschichte“ der Freien Universität Berlin das Buch

Die Colonia Dignidad zwischen Erinnern und Vergessen
Zur Erinnerungskultur in der ehemaligen Siedlungsgemeinschaft

von Meike Dreckmann-Nielen vorgestellt. Das Werk erscheint als OpenAccess-Version im März 2022 im Transcript-Verlag.

Aus dem Klappentext:
Die Colonia Dignidad erlangte wegen zahlreicher bis heute unaufgeklärter Menschenrechtsverbrechen internationale Bekanntheit. Dass einstige Mitglieder der deutschen Gruppe das historische Siedlungsgelände in Chile unter dem Namen »Villa Baviera« (deutsch: bayerisches Dorf) schrittweise zu einem touristischen Freizeitort umfunktioniert haben, sorgt angesichts der mangelnden Aufarbeitung für anhaltende Kritik. Meike Dreckmann-Nielen untersucht, wie sich einstige Mitglieder der Gruppe heute an ihre eigene Vergangenheit erinnern. In ihrer Studie ermöglicht sie einen intimen Einblick in komplexe erinnerungskulturelle Dynamiken im Mikrokosmos der ehemaligen Siedlungsgemeinschaft.

 

Flyer zur Buchvorstellung von Meike Dreckmann-Nielen

 

Zum Ablauf der Buchpräsentation:
19:00 – 19:05 Uhr Begrüßung durch Prof. Dr. Martin Lücke (Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin)
19:05 – 19:20 Uhr Vorstellung des Buches durch die Autorin Meike Dreckmann-Nielen
19:20 – 19:30 Uhr Buch-Kommentar von Renate Künast MdB
19:30 – 19:40 Uhr Buch-Kommentar von Dr. Elke Gryglewski
19:40 – 20:00 Uhr Fragen und Diskussion

Hinweis: Die Veranstaltung findet online über Webex statt und die Zugangsdaten werden nach einer Anmeldung per Mail an clemens.bertram@fu-berlin.de verschickt. Die Teilnahme ist auch ohne Webex-Konto möglich.

Veranstaltungen

Online Veranstaltungsreihe zur Colonia Dignidad im November 2020

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Online Veranstaltungsreihe zur Colonia Dignidad im November 2020

Veranstaltungsreihe des AStA Hannover: „Colonia Dignidad – Aufarbeitung eines deutschen Verbrechens in Chile“

Die Arbeitsgruppe Kritische Bildung des AStA der Universität Hannover beschäftigt sich Ende November 2020 erneut mit dem Thema Colonia Dignidad. Dieses Mal steht das Thema Aufarbeitung im Fokus der Veranstaltungsreihe. Aufgrund der COVID19-Pandemie wurde das Veranstaltungsformat dahingehend angepasst, dass alle Veranstaltungen Online stattfinden können. Interessierte finden die Veranstaltungsreihe zur Aufarbeitung der Colonia Dignidad  auf der Facebook-Seite des AStA Hannover unter diesem Link.


DIENSTAG, 24. NOVEMBER 2020 UM 19:00 UTC+01

Colonia Dignidad – zum strukturellen Versagen politischer und juristischer Aufarbeitung

Die Geschichte der Colonia Dignidad von ihren Vorläufern in den 1950er Jahren bis heute ist auch eine Geschichte von unterlassenen staatlichen Verpflichtungen, die dort begangenen Verbrechen zu verhindern und aufzuarbeiten: auf juristischer und politischer Ebene, in Deutschland und in Chile.
Manche Akteur*innen unterstützten die Colonia Dignidad willentlich. Andere ließen sich von ihrer unermüdlichen Lobbyarbeit beeindrucken und schenkten Opferschilderungen keinen Glauben. Oft schoben Behörden die Verantwortung jeweils anderen zu, so dass sich in Chile der Spruch durchsetzte „La Colonia siempre gana“, auf deutsch: „Die Kolonie gewinnt immer“. Nur in wenigen historischen Phasen gelang es ein Stück weit, gegen die Sekte vorzugehen. Bis zur Festnahme von Paul Schäfer 2005 wurden jedoch weiter Verbrechen begangen.
Die Aufklärung und Aufarbeitung verlaufen seitdem prekär: Täter*innen der Colonia Dignidad wurden kaum bestraft. Deutschland ist zum „sicheren Hafen“ für ehemalige Mitglieder der Führungsriege geworden, die von der chilenischen Justiz gesucht oder wie im Fall des leitenden Sektenarztes Hartmut Hopp bereits verurteilt wurden. Hierzulande fehlt gegen sie, laut NRW-Justiz, ein „hinreichender Tatverdacht“.
Viele Taten, wie das „Verschwindenlassen“ von dutzenden politischen Aktivist*innen während der Pinochet-Diktatur sind weiterhin unaufgeklärt. Das von der Führung der Colonia Dignidad Ende der 1980er Jahre entworfene Firmengeflecht besteht noch immer und das jahrzehntelang durch Verbrechen angehäufte Vermögen ist nicht aufgeklärt. Auf dem Gelände der ehemaligen Colonia Dignidad wird die Vergangenheit bislang kaum thematisiert. Bemühungen um Errichtung einer von der deutschen und der chilenischen Regierung getragenen Gedenkstätte verlaufen seit Jahren zäh. Warum tragen beide Staaten so wenig zu einer umfassenden Aufarbeitung bei? Welches sind heute die entscheidenden Auseinandersetzungen? Wo gibt es Chancen auf Aufklärung?
Jan Stehle ist Mitarbeiter des Forschungs- und Dokumentationszentrums Chile-Lateinamerika in Berlin. Er hat an der FU Berlin zum Umgang bundesdeutscher Justiz und Außenpolitik mit dem Fall Colonia Dignidad promoviert und engagiert sich seit Jahren für die juristische und politische Aufarbeitung der CD-Verbrechen.
Ute Löhning ist Print- und Hörfunk-Journalistin und regelmäßig in Lateinamerika, vor allem in Chile unterwegs. Sie berichtet unter anderem zu sozialen Bewegungen, Erinnerungspolitik und Straflosigkeit.
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DONNERSTAG, 26. NOVEMBER 2020 UM 19:00 UTC+01

Colonia Dignidad – zur Errichtung einer Gedenkstätte in einem erinnerungskulturell umkämpften Feld

Vortrag und Diskussion mit Dr. Elke Gryglewski und Meike Dreckmann-Nielen
Die Geschichte der Colonia Dignidad gilt als erinnerungskulturell umkämpftes Feld, denn der einstige Ort zahlreicher Verbrechen wurde von seinen Bewohner*innen über die Jahre in ein touristisch gestaltetes Freizeitdorf mit Hotellerie und Gastronomie umgebaut. Während die einen dies als Neuerfindung an einem schrecklichen Ort erleben, kritisieren andere diese Nutzung als Opferverhöhnung. Dies ist nur eines von vielen konfliktbehafteten Themen in der Geschichte der Colonia Dignidad.
Meike Dreckmann-Nielen wird in ihrem Vortrag einen Einblick in diesen Konflikt um Deutungshoheit und damit in ihr laufendes Forschungsprojekt geben. Sie promoviert am Arbeitsbereich Public History der Freien Universität Berlin zu erinnerungskulturellen Dynamiken in der ehemaligen Colonia Dignidad.
Mit den praktischen Planungen rund um den Prozess der Errichtung des Dokumentationszentrums und einer Gedenkstätte befasst sich Dr. Elke Gryglewski als Mitglied einer bilateralen Expertenkommission, die von den Regierungen Chiles und Deutschland eingesetzt wurde.
Dr. Elke Gryglewski ist kommissarische Direktorin der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin und seit 2014 mit dem Prozess der Planung von Dokumentationszentrum und Gedenkstätte auf dem Gelände der ehemaligen Colonia Dignidad betraut. In ihrem Vortrag wird sie aus ihrer konkreten Arbeit in diesem Planungsprozess berichten und damit ganz praktisch Einblick in einen in hohem Maße komplexen Prozess geben.
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MONTAG, 30. NOVEMBER 2020 UM 19:00 UTC+01

Colonia Dignidad und die Pinochet-Diktatur: eine Repressionsallianz offenbart ihr Innenleben

Der harte Kern einer Diktatur kann noch lange nachwirken, wenn diese selbst formal abgetreten ist. In Chile wirken sich die Machtkonstellationen, die Wirtschaftsstrukturen und Denkweisen der 1990 abgetretenen Pinochetdiktatur bis heute aus. Auch die repressiven Methoden erstarken wieder, wenn die Bevölkerung mit der alten, von der Diktatur übernommenen Politik bricht. Die von der Pandemie unterbrochenen emanzipatorischen Kämpfe im heutigen Chile haben eine autoritäre Reaktion des Staates hervorgerufen.
2005 fand die Polizei auf dem Gelände der deutschen Siedlung Colonia Dignidad ein Archiv, das die Methoden und Denkweisen der Geheimdienste und ihrer zivilgesellschaftlichen HelferInnen dokumentiert. Unsere Referenten Luis Narváez und Dieter Maier haben einen großen Teil davon in einer zweisprachigen Datenbank erschlossen (www.fichas-chile.com, User: visita. Password/codigo: fulano) und ein noch unveröffentlichtes Buch darüber geschrieben. Im Rahmen dieses Vortrags werden sie die wichtigsten Ergebnisse vorstellen. Der Chilene Erick Zott, ein ehemaliger politischer Gefangener in der Colonia Dignidad, wird von seinen Erfahrungen mit dem Repressionsapparat berichten.
Dr. Dieter Maier (Frankfurt am Main) ist Autor mehrerer Bücher über die Colonia Dignidad.
Luis Narváez (Buenos Aires) ist chilenischer Journalist.
Erick Zott (Wien) war politischer Gefangener in Chile.

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Akteur*innen & Projekte/Interviews

Colonia Dignidad und Strafverfolgung – Interview mit Andreas Schüller

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Colonia Dignidad und Strafverfolgung – Interview mit Andreas Schüller

Andreas Schüller, Foto: ECCHR, Schüller

Die Strafverfolgung von in der Colonia Dignidad begangenen Menschenrechtsverbrechen zeigte sich in den vergangenen Jahrzehnten als zäher und mühseliger Prozess. Immer wieder wird seitens Opferverbänden eine andauernde Straflosigkeit von einstigen Täter*innen beklagt. Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) nimmt die juristische Aufarbeitung der durch die Colonia Dignidad begangenen Menschenrechtsverbrechen bereits seit seiner Gründung 2008 in den Blick. Im Interview erzählt der Jurist Andreas Schüller von den Schwierigkeiten, welche die juristische Verfolgung der zahlreichen Verbrechen heute mit sich bringt. Er geht dabei auch auf den komplizierten Fall des ehemaligen Colonia-Arztes Hartmut Hopp ein. 

Interview von Meike Dreckmann-Nielen mit Andreas Schüller vom ECCHR 

Meike Dreckmann-Nielen: Wer sich mit der juristischen Aufarbeitung der Colonia Dignidad beschäftigt, kommt an der Arbeit des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) nicht vorbei. Können Sie unseren Leser*innen erklären, was das ECCHR genau ist und wie es arbeitet?

Andreas Schüller: Das ECCHR ist eine Menschenrechtsorganisation aus Berlin, die sich vor allem mit rechtlichen Mitteln für eine Durchsetzung der Menschenrechte einsetzt. Wir reichen dort Klagen, Anzeigen oder Schriftsätze ein oder fertigen Rechtsgutachten an, wo wir eine Chance sehen, etwas verändern zu können. Dies betrifft zum Beispiel unser Vorgehen gegen europäische Unternehmen, wenn diese Menschenrechte im Ausland verletzen und wir über unsere Netzwerke gemeinsam mit Betroffenen überlegen, wie wir die Rechtsverletzungen adressieren und vor Gerichte bringen können. Gleiches gilt für Folter, Kriegsverbrechen und sexualisierte Gewalt. Oftmals können diese Fälle nicht vor Gerichte in dem Land gebracht werden, in dem sie begangen werden, da staatliche Sicherheitskräfte die Täterinnen sind.

Meike Dreckmann-Nielen: Und was können Sie dann tun?

Andreas Schüller: Wir suchen dann nach Wegen in anderen Ländern oder vor internationalen Gerichten, die Völkerstraftaten verfolgen zu lassen. Unsere Organisation arbeitet in vielen Netzwerken mit anderen Jurist*innen, Researcher*innen, NGOs, Betroffenen und vielen anderen, um Fälle aufzuarbeiten, einzureichen und zu unterstützen. Auch wenn unser Sitz in Berlin ist, arbeiten wir sehr transnational und verbunden mit vielen anderen, die dieselben Ziele wie wir verfolgen. Rechtliche Prozesse und Entscheidungen haben eine große Tragkraft, die wiederum andere politische Prozesse beeinflussen oder umleiten kann. Staatliche Akteur*innen oder Unternehmen werden gezwungen, ihr Verhalten zu verändern. Wichtig ist vor allem, die einzelnen Fälle zu kontextualisieren und politisch zu begleiten, um eine größtmögliche Wirkung zu entfalten und Veränderung zu bewirken.

Meike Dreckmann-Nielen: Wie sind Sie denn persönlich zum ECCHR gekommen und welche der Themen gehören schwerpunktmäßig zu Ihrem Aufgabenbereich?

Andreas Schüller: Ich habe in drei Ländern Jura studiert und mich auf Völkerrecht und Völkerstrafrecht spezialisiert. Beim ECCHR arbeite ich seit 2009, was sehr lange klingt, aber viele Fälle und Themen begleiten unsere Arbeit über viele Jahre und erst durch die langjährige Befassung mit bestimmten Fällen schafft man auch Veränderungen. Mein Fokus liegt auf Völkerstraftaten und rechtlicher Verantwortung. Das reicht von Folter in Guantanamo und Drohnenangriffe über Völkerstraftaten in Syrien bis hin zu lateinamerikanischen Diktaturverbrechen.

Meike Dreckmann-Nielen: Wie kam es dazu, dass sich das ECCHR des Themas Colonia Dignidad angenommen hat und welchem Teil dieses komplexen Themas widmet sich das ECCHR schwerpunktmäßig?

Andreas Schüller: Das Thema Colonia Dignidad hat das ECCHR seit seiner Gründung 2008 verfolgt, da es um schwerste Menschenrechtsverletzungen geht, die immer noch nicht hinreichend aufgearbeitet wurden und in denen es einen engen Bezug zu Deutschland gibt. Die Unterstützung einer verbrecherischen Diktatur durch eine deutsche Siedlung ist an sich schon ungewöhnlich. Umso skandalöser ist es, dass der deutsche Staat und die Justiz bis heute ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden ist, die begangenen Straftaten aufzuarbeiten und zu verfolgen. Aus diesem Grund haben wir Strafanzeigen gegen in Deutschland lebende ehemalige Führungsmitglieder der Colonia Dignidad eingereicht und fordern seit mehreren Jahren, dass die deutsche Justiz die Verbrechen umfassend ermittelt und strafrechtlich verfolgt.

Meike Dreckmann-Nielen: Haben Sie im Kontext Ihrer Arbeit über die Jahre einen Fall bearbeitet oder kennengelernt, der mit dem der Colonia Dignidad vergleichbar wäre?

Andreas Schüller: Wirklich vergleichbar sind die meisten Fälle nicht. Was im Fall der Colonia Dignidad auffällt, ist das totale Versagen auf deutscher Seite, das Geschehene rechtlich aufzuarbeiten, trotz der vielen Bezüge nach Deutschland und des langen Zeitraums, in dem bekannt ist, was in der Siedlung geschah. Vergleichbar zu anderen Fällen ist, dass es gut organisierte kleine Täterkreise gibt, die über Jahre ein perfides Verbrechenssystem aufbauen und betreiben konnten. Vergleichbar ist auch, dass sie es mehrheitlich geschafft haben, davonzukommen – mit Ausnahme derer, die in hohem Alter letztlich von der chilenischen Justiz verurteilt wurden.

Meike Dreckmann-Nielen: Wann würden Sie davon sprechen, dass die Verbrechen der Colonia Dignidad juristisch aufgearbeitet wurden?

Andreas Schüller: Es muss umfangreich ermittelt werden. Das heißt, dass vor allem diejenigen Zeug*innen, die in Deutschland leben, vernommen werden müssen. Und zwar von erfahrenen Ermittler*innen, die sich mit der Colonia Dignidad auskennen. Jetzt ist die Zeit dafür, denn der Druck auf Zeug*innen ist nicht mehr so hoch wie früher und es gibt mehr Kenntnis darüber, was geschah. Einige sind dabei, sich mehr und mehr zu öffnen. Es geht uns nicht primär um Verurteilungen, sondern darum, dass die Vorwürfe und Beweise vor Gericht verhandelt werden. Nur so ist eine juristische Aufarbeitung möglich.

Meike Dreckmann-Nielen: Hartmut Hopp wurde in Chile verurteilt, weil er Beihilfe zu der sexualisierten Gewalt an Kindern durch Paul Schäfer geleistet haben soll. Wie genau kam es zu der Verurteilung?

Andreas Schüller: Hartmut Hopps Rolle und Funktion innerhalb der Führungsriege wurden in Chile aufgearbeitet. Er hat sich an dem Verfahren beteiligt und dagegen verteidigt. Am Ende waren die Richter aber von seiner Mitverantwortlichkeit aufgrund seiner Stellung und Nähe zu Paul Schäfer überzeugt, weshalb er verurteilt wurde.

Meike Dreckmann-Nielen: Hartmut Hopp entzog sich dieser Strafe ja schließlich, indem er 2013 nach Deutschland ausreiste. Das ist möglich, weil Deutschland und Chile kein Auslieferungsabkommen vereinbart haben. Im Jahr 2014 beantragte die chilenische Justiz schließlich, die Haft in Deutschland zu vollstrecken. Warum ist das bis heute nicht geschehen?

Andreas Schüller: Das ist wahr. Deutschland liefert keine eigenen Staatsbürger aus, das ist im Grundgesetz garantiert. Aber es ist möglich, ausländische Verurteilungen in Deutschland anerkennen zu lassen, so dass eine Freiheitsstrafe hier vollstreckt wird. Im Fall von Hartmut Hopp hat das Oberlandesgericht Düsseldorf jedoch sehr hohe, aus unserer Sicht zu hohe, Maßstäbe an das Urteil der chilenischen Justiz angelegt. Zudem fehlte das Verständnis dafür, wie die Colonia Dignidad funktionierte. Andererseits haben es die Staatsanwaltschaften in Deutschland unterlassen, selbst die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. So entsteht Straflosigkeit für schwerste systematische Verbrechen.

Meike Dreckmann-Nielen: Es klingt förmlich so, als gäbe es handfeste Beweise, die einfach nicht gesehen werden (wollen). Was macht den Fall Hartmut Hopp denn so kompliziert?

Andreas Schüller: Das lange Abwarten der deutschen Justiz hat zum einen dazu geführt, dass viele Taten schon verjährt sind. Außerdem geht es um Hartmut Hopps Verantwortlichkeit aufgrund seiner Stellung und Position in einer Organisationsstruktur, die Verbrechen begangen und ermöglicht hat. Die chilenischen Ermittlungen sind logischerweise im Hinblick darauf geführt worden, was vor chilenischen Gerichten Standard ist, um zu einer Verurteilung zu gelangen. Da sich das deutsche Strafrecht schon unterscheidet, können die Zeugenbefragungen aus Chile hier nur Anhaltspunkte geben. Für ein deutsches Verfahren müssten im Grunde genommen alle Zeug*innen erneut befragt werden. Das ist aufwendig und bedarf des entsprechenden politischen Willens, dies zu priorisieren und die erforderlichen Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Meike Dreckmann-Nielen: Es gibt einige ehemalige Anhänger*innen der Colonia Dignidad, die Hartmut Hopp bis heute als Opfer Paul Schäfers verteidigen. Wie gehen Sie beim ECCHR mit den Kategorien Opfer und Täter*in um?

Andreas Schüller: Das ist ein wichtiger Punkt, der in einem Strafverfahren auch Berücksichtigung finden würde. Dennoch entschuldigt erlittenes Unrecht nicht, selbst anderen Menschen Leid zuzufügen oder andere dabei zu unterstützen, dies tun zu können. Dies betrifft vor allem auch die Kollaboration mit der Pinochet-Diktatur.

Meike Dreckmann-Nielen: Viele Leser*innen kontaktieren mich und fragen, was sie tun können für die Unterstützung von Opfergruppen und die Aufarbeitung. Haben Sie konkrete Anknüpfungsstellen, an denen eine engagierte Öffentlichkeit Sie und Ihre Arbeit unterstützen kann?

Andreas Schüller: Wichtig ist, dass das Thema präsent bleibt. Es muss allen Verantwortlichen in Justiz und Politik klar sein, dass dies die letzten Jahre sind, noch etwas zu ändern. Ansonsten wird ein historisches Versagen der deutschen Justiz, die seit 1965 Hinweise auf von deutschen Staatsbürger*innen im Ausland begangene Straftaten hat, in die Geschichtsbücher eingehen. Hilfe ist vor allem für die Betroffenen dringend erforderlich, hier und in Chile, die oftmals in sehr prekären Verhältnissen leben müssen. Sie verdienen jede Art der Unterstützung.

Meike Dreckmann-Nielen: Vielen Dank für den Einblick in Ihre Arbeit.

 


Weiterführende Links zu dem Thema Colonia Dignidad vom ECCHR (Auswahl):

  • „Rechtliche Stellungnahme des ECCHR zum Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf in Sachen Hartmut Hopp/ Colonia Dignidad“ – Hier entlang!
  • „ECCHR-Stellungnahme zu der Rolle von Hartmut W. Hopp innerhalb der Colonia Dignidad“ – Hier entlang!

 

 

den Blog

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Der Colonia Dignidad Public History Blog (CDPHB) versteht sich als Plattform für Information, Netzwerk und Diskussion. Der Blog zur Geschichte der Colonia Dignidad möchte Forschung und die interessierte Öffentlichkeit näher zusammenbringen. Er entsteht begleitend zu der Dissertation von Meike Dreckmann-Nielen, im Rahmen derer sie die Erinnerungskultur/Geschichtskultur an die Colonia Dignidad untersucht. 

Mit dem Blog möchte Meike Dreckmann-Nielen einen Beitrag zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Geschichte der Colonia Dignidad leisten und Unterschiedliche Themenkomplexe werden im Rahmen von Interviews, Forschungseinblicken, aber auch im Rahmen von interdisziplinären Gastbeiträgen anderer Akteur*innen lesbar und auch diskutierbar. 

Gleichermaßen ist es ihr ein Anliegen, zur besseren Vernetzung der bereits zahlreichen aktiven Akteur*innen in der geschichtskulturellen Auseinandersetzung und denjenigen, die es noch werden möchten, beizutragen.

Deshalb werden hier aktive, erst beginnende und auch abgeschlossene Projekte und ihre Initiator*innen und Mitarbeiter*innen vorgestellt und wenn dies gewünscht ist, auch Kontaktmöglichkeiten zur Vernetzung angeboten. 

 

 

 

die Autorin

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Meike Dreckmann-Nielen hat am Arbeitsbereich Geschichtsdidaktik der Freien Universität Berlin zum Thema Colonia Dignidad promoviert. Ihre Doktorarbeit wurde im Frühjahr 2022 unter dem Titel „Die Colonia Dignidad zwischen Erinnern und Vergessen. Zur Erinnerungskultur in der ehemaligen Siedlungsgemeinschaft“ im Transcript-Verlag veröffentlicht. Darin untersucht die Wissenschaftlerin, wie sich einstige Mitglieder der Gruppe heute an ihre eigene Vergangenheit erinnern. In ihrer Studie ermöglicht Meike Dreckmann-Nielen einen intimen Einblick in komplexe erinnerungskulturelle Dynamiken im Mikrokosmos der ehemaligen Siedlungsgemeinschaft.

Neben ihrem Forschungsschwerpunkt der Erinnerungskultur/Geschichtskultur interessiert sie sich außerdem auch besonders für die Frauen- und Geschlechtergeschichte der Colonia Dignidad. Gefördert wurde ihr Dissertationsprojekt von der Heinrich Böll Stiftung.

Buchcover Meike Dreckmann-Nielen

Das Buch kann als OpenAccess-Publikation kostenlos digital abgerufen werden oder für 29€ als Print-Version u.a. direkt beim Verlag bestellt werden. 

 

Erstmals reiste Meike Dreckmann-Nielen im Frühjahr 2016 in die ehemalige Colonia Dignidad, als sie von ihren damaligen Kolleginnen im Museo de la Memoria y los Derechos Humanos in Santiago de Chile auf die deutsch-chilenische Geschichte der Colonia Dignidad aufmerksam gemacht wurde.

Im Mai 2019 kehrte sie von einem längeren Forschungsaufenthalt in diversen chilenischen Archiven und der heutigen Villa Baviera zurück. In Chile führte sie unter anderem Interviews mit Bewohner*innen und Ex-Bewohner*innen der ehemaligen Colonia Dignidad, Aktivist*innen, Politiker*innen, chilenischen Opfern und dem gegenwärtig noch aktiven Psychotherapeuten-Team.

In Lüneburg, Barcelona und Berlin studierte sie Angewandte Kulturwissenschaften, Wirtschaftspsychologie und Public History. Beruflich warMeike Dreckmann-Nielen unter anderem in einer Berliner Gedenkstätte und einer politischen Stiftung, den Goethe-Instituten Korea und Thailand, dem deutschen Generalkonsulat in New York, sowie in einem Berliner Start-Up tätig. Zuletzt war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Didaktik der Geschichte an der Freien Universität im Forschungsprojekt „Zug in die Freiheit„. Derzeit befindet sie sich in Elternzeit.