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Online Veranstaltungsreihe zur Colonia Dignidad im November 2020

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Online Veranstaltungsreihe zur Colonia Dignidad im November 2020

Veranstaltungsreihe des AStA Hannover: „Colonia Dignidad – Aufarbeitung eines deutschen Verbrechens in Chile“

Die Arbeitsgruppe Kritische Bildung des AStA der Universität Hannover beschäftigt sich Ende November 2020 erneut mit dem Thema Colonia Dignidad. Dieses Mal steht das Thema Aufarbeitung im Fokus der Veranstaltungsreihe. Aufgrund der COVID19-Pandemie wurde das Veranstaltungsformat dahingehend angepasst, dass alle Veranstaltungen Online stattfinden können. Interessierte finden die Veranstaltungsreihe zur Aufarbeitung der Colonia Dignidad  auf der Facebook-Seite des AStA Hannover unter diesem Link.


DIENSTAG, 24. NOVEMBER 2020 UM 19:00 UTC+01

Colonia Dignidad – zum strukturellen Versagen politischer und juristischer Aufarbeitung

Die Geschichte der Colonia Dignidad von ihren Vorläufern in den 1950er Jahren bis heute ist auch eine Geschichte von unterlassenen staatlichen Verpflichtungen, die dort begangenen Verbrechen zu verhindern und aufzuarbeiten: auf juristischer und politischer Ebene, in Deutschland und in Chile.
Manche Akteur*innen unterstützten die Colonia Dignidad willentlich. Andere ließen sich von ihrer unermüdlichen Lobbyarbeit beeindrucken und schenkten Opferschilderungen keinen Glauben. Oft schoben Behörden die Verantwortung jeweils anderen zu, so dass sich in Chile der Spruch durchsetzte „La Colonia siempre gana“, auf deutsch: „Die Kolonie gewinnt immer“. Nur in wenigen historischen Phasen gelang es ein Stück weit, gegen die Sekte vorzugehen. Bis zur Festnahme von Paul Schäfer 2005 wurden jedoch weiter Verbrechen begangen.
Die Aufklärung und Aufarbeitung verlaufen seitdem prekär: Täter*innen der Colonia Dignidad wurden kaum bestraft. Deutschland ist zum „sicheren Hafen“ für ehemalige Mitglieder der Führungsriege geworden, die von der chilenischen Justiz gesucht oder wie im Fall des leitenden Sektenarztes Hartmut Hopp bereits verurteilt wurden. Hierzulande fehlt gegen sie, laut NRW-Justiz, ein „hinreichender Tatverdacht“.
Viele Taten, wie das „Verschwindenlassen“ von dutzenden politischen Aktivist*innen während der Pinochet-Diktatur sind weiterhin unaufgeklärt. Das von der Führung der Colonia Dignidad Ende der 1980er Jahre entworfene Firmengeflecht besteht noch immer und das jahrzehntelang durch Verbrechen angehäufte Vermögen ist nicht aufgeklärt. Auf dem Gelände der ehemaligen Colonia Dignidad wird die Vergangenheit bislang kaum thematisiert. Bemühungen um Errichtung einer von der deutschen und der chilenischen Regierung getragenen Gedenkstätte verlaufen seit Jahren zäh. Warum tragen beide Staaten so wenig zu einer umfassenden Aufarbeitung bei? Welches sind heute die entscheidenden Auseinandersetzungen? Wo gibt es Chancen auf Aufklärung?
Jan Stehle ist Mitarbeiter des Forschungs- und Dokumentationszentrums Chile-Lateinamerika in Berlin. Er hat an der FU Berlin zum Umgang bundesdeutscher Justiz und Außenpolitik mit dem Fall Colonia Dignidad promoviert und engagiert sich seit Jahren für die juristische und politische Aufarbeitung der CD-Verbrechen.
Ute Löhning ist Print- und Hörfunk-Journalistin und regelmäßig in Lateinamerika, vor allem in Chile unterwegs. Sie berichtet unter anderem zu sozialen Bewegungen, Erinnerungspolitik und Straflosigkeit.
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DONNERSTAG, 26. NOVEMBER 2020 UM 19:00 UTC+01

Colonia Dignidad – zur Errichtung einer Gedenkstätte in einem erinnerungskulturell umkämpften Feld

Vortrag und Diskussion mit Dr. Elke Gryglewski und Meike Dreckmann-Nielen
Die Geschichte der Colonia Dignidad gilt als erinnerungskulturell umkämpftes Feld, denn der einstige Ort zahlreicher Verbrechen wurde von seinen Bewohner*innen über die Jahre in ein touristisch gestaltetes Freizeitdorf mit Hotellerie und Gastronomie umgebaut. Während die einen dies als Neuerfindung an einem schrecklichen Ort erleben, kritisieren andere diese Nutzung als Opferverhöhnung. Dies ist nur eines von vielen konfliktbehafteten Themen in der Geschichte der Colonia Dignidad.
Meike Dreckmann-Nielen wird in ihrem Vortrag einen Einblick in diesen Konflikt um Deutungshoheit und damit in ihr laufendes Forschungsprojekt geben. Sie promoviert am Arbeitsbereich Public History der Freien Universität Berlin zu erinnerungskulturellen Dynamiken in der ehemaligen Colonia Dignidad.
Mit den praktischen Planungen rund um den Prozess der Errichtung des Dokumentationszentrums und einer Gedenkstätte befasst sich Dr. Elke Gryglewski als Mitglied einer bilateralen Expertenkommission, die von den Regierungen Chiles und Deutschland eingesetzt wurde.
Dr. Elke Gryglewski ist kommissarische Direktorin der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin und seit 2014 mit dem Prozess der Planung von Dokumentationszentrum und Gedenkstätte auf dem Gelände der ehemaligen Colonia Dignidad betraut. In ihrem Vortrag wird sie aus ihrer konkreten Arbeit in diesem Planungsprozess berichten und damit ganz praktisch Einblick in einen in hohem Maße komplexen Prozess geben.
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MONTAG, 30. NOVEMBER 2020 UM 19:00 UTC+01

Colonia Dignidad und die Pinochet-Diktatur: eine Repressionsallianz offenbart ihr Innenleben

Der harte Kern einer Diktatur kann noch lange nachwirken, wenn diese selbst formal abgetreten ist. In Chile wirken sich die Machtkonstellationen, die Wirtschaftsstrukturen und Denkweisen der 1990 abgetretenen Pinochetdiktatur bis heute aus. Auch die repressiven Methoden erstarken wieder, wenn die Bevölkerung mit der alten, von der Diktatur übernommenen Politik bricht. Die von der Pandemie unterbrochenen emanzipatorischen Kämpfe im heutigen Chile haben eine autoritäre Reaktion des Staates hervorgerufen.
2005 fand die Polizei auf dem Gelände der deutschen Siedlung Colonia Dignidad ein Archiv, das die Methoden und Denkweisen der Geheimdienste und ihrer zivilgesellschaftlichen HelferInnen dokumentiert. Unsere Referenten Luis Narváez und Dieter Maier haben einen großen Teil davon in einer zweisprachigen Datenbank erschlossen (www.fichas-chile.com, User: visita. Password/codigo: fulano) und ein noch unveröffentlichtes Buch darüber geschrieben. Im Rahmen dieses Vortrags werden sie die wichtigsten Ergebnisse vorstellen. Der Chilene Erick Zott, ein ehemaliger politischer Gefangener in der Colonia Dignidad, wird von seinen Erfahrungen mit dem Repressionsapparat berichten.
Dr. Dieter Maier (Frankfurt am Main) ist Autor mehrerer Bücher über die Colonia Dignidad.
Luis Narváez (Buenos Aires) ist chilenischer Journalist.
Erick Zott (Wien) war politischer Gefangener in Chile.

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Akteur*innen & Projekte/Forschungseinblicke

„Archiv der Hölle“ – ARD und ARTE zeigen Doku-Serie zur Colonia Dignidad

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„Archiv der Hölle“ – ARD und ARTE zeigen Doku-Serie zur Colonia Dignidad

Paul Schäfer ca. 1970 | Bild: WDR

In den vergangenen Jahrzehnten sind einige Dokumentarfilme über die Colonia Dignidad (bspw. „Deutsche Seelen„), ein Spielfilm („Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück„) und zuletzt eine achtteilige Thriller-Serie („Dignity“) erschienen. Das mediale Interesse an der Geschichte der Colonia Dignidad hält an: Journalist*innen, Filmemacher*innen, Tourist*innen und Wissenschaftler*innen geben sich in der heutigen Villa Baviera ununterbrochen die sprichwörtliche Klinke in die Hand. Sie wollen mehr über die Geschichte der deutschen Gruppe im Süden Chiles erfahren.

Eine Doku-Serie von ARD und Arte möchte nun „die innere Dynamik der Colonia Dignidad“ zeigen und damit einen „tiefgreifenden“ Blick auf das individuelle Erleben einzelner Mitglieder werfen. Neben den einstigen Colonia-Anhänger*innen kommen in der dokumentarischen Serie auch Folteropfer, Kriminalbeamte und Nachbar*innen zu Wort. Im Mittelpunkt steht aber das von den Macher*innen als „Archiv der Hölle“ bezeichnete Quellenmaterial (Foto-, Film- und Tonaufnahmen), welches in der neuen Doku-Serie nun erstmals öffentlich gezeigt werden soll.

Das anonyme Kollektiv aufbrechen und das Individuum sichtbar machen

Die Doku-Serie, die am 10. März 2020 auf Arte und am 16. und 23. März 2020 im Ersten (anschließend in der Mediathek) zu sehen sein wird, will „eine deutsche Sekte am anderen Ende der Welt, die Menschlichkeit versprach und in der Unmenschliches geschah“ zeigen. Sie fragt nach dem individuellen Erleben der Mitglieder und lässt sie unabhängig von ihren Verwicklungen mit dem Schäfer-System in erster Linie über ihre einstigen Ängste, Sehnsüchte, Träume und die grausame Realität berichten. Die Geschichte beginnt mit den Anfängen in Nordrhein-Westfalen kurz nach dem Zweiten Weltkrieg und spannt einen Bogen in die Gegenwart der Siedler*innen. Der Schwerpunkt des gewählten Doku-Narrativs liegt damit besonders auf dem individuellen Erleben der ehemaligen deutschen Schäfer-Anhänger*innen, weniger auf den chilenischen Opfergruppen. Regisseurin Annette Baumeister dazu:

„Die Doku-Serie soll mit dem gängigen Klischee der roboterhaften, gesichtslosen Kolonisten brechen und sie als Menschen mit Namen, Gefühlen und Träumen zeigen.“

Der Alltag der Colonia-Anhänger*innen war jahrzehntelang geprägt von sexualisierter Gewalt, einem despotischen Strafsystem, harter unbezahlter Arbeit und dem Verbot von Familienleben. Die Siedler*innen führten ein von der Außenwelt abgeschirmtes Leben. Der unzensierte Zugang zu Büchern und Filmen, Fernsehen, Radio und zur Außenwelt blieb den Allermeisten verwehrt. Colonia-Leiter Paul Schäfer paktierte mit der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet. Er ließ den chilenischen Geheimdienst auf dem Gelände der Colonia Dignidad foltern und morden. Einige Siedler mussten Leichenteile aus- und umgraben, verbrennen und in einen Fluss in der Umgebung verstreuen. Willi Malessa sprach darüber erstmals vor ein paar Wochen in einem Bericht von ReportMainz. Viele von Schäfers Anhänger*innen wurden im Verlauf der Jahrzehnte selbst zu Täter*innen. Immer mehr Zeitzeug*innen sprechen offen darüber. Das gibt denjenigen chilenischen Familienangehörigen Hoffnung, die bis heute nicht wissen, wo ihre Kinder, Männer, Frauen, Brüder oder Schwestern geblieben sind.

Mädchen der Colonia bei einem Gruppentanz | Bild: WDR

Für das international aufwändig produzierte Gemeinschaftsprojekt arbeiteten die chilenische Produktionsfirma Surreal, die deutsche LOOKSfilm, der chilenische TV-Sender Canal13, sowie WDR, SWR und Arte zusammen. Das „exklusive“ Archivmaterial (Filmrollen, Tapes, Fotos) sei dem chilenischen Regisseur Cristían Leighton (Surreal Film) von dem ehemaligen Colonia-Mitglied Wolfgang Müller vor etwa fünf Jahren übergeben worden. Müller hatte für Paul Schäfer eine Art Film- und Aufnahmeabteilung in der Colonia geführt. Insgesamt handele es sich bei dem Material um 400 Stunden Film-, 100 Stunden Ton- und rund 9.000 Fotoaufnahmen. Sie seien in einem schlechten Zustand gewesen und hätten umfassend restauriert und digitalisiert werden müssen, um das „deutsch-chilenische Drama in einer Serie erzählen“ zu können.

Kritik an der Nutzung des Archivmaterials seitens der Wissenschaft

Kritik an dem Projekt kam vor allem von Wissenschaftler*innen. Sie hätten sich die frühzeitige Übergabe des Archivmaterials an eine öffentliche Institution gewünscht. Vor allem, weil die juristische Verfolgung der in der Colonia Dignidad begangenen Verbrechen längst nicht abgeschlossen ist. Das wissen auch ARD und Arte: „Vieles liegt im Dunkeln, viele Verbrechen, die in der Colonia Dignidad begangen wurden, sind nicht aufgeklärt.“, schrieben die Pressestellen. Die Aufarbeitung stockte immer wieder und nicht zuletzt, weil es u.a. an Beweismaterial fehlte. Die Rechtsanwältin Petra Schlagenhauf kritisiert außerdem eine unzureichende Handlungsbereitschaft seitens der Justiz, um die Verbrechen aufzuklären. Ob das Material aus dem „Archiv der Hölle“ überhaupt juristisch relevant sein könnte, wird bald in Chile geprüft. Das Rohmaterial sei laut dem Produzenten Gunnar Dedio bereits auf dem Weg nach Chile. Auf die abschließende Digitalisierung und Verschlagwortung des Materials durch die Produktionsfirmen warte die chilenische Justiz allerdings noch, um es dann für die eigene Prüfung zu nutzen.

Der Politologe Jan Stehle vom Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V. hätte sich die Nutzung des Materials andersherum gewünscht:

„Der Aufarbeitung der Geschichte der Colonia Dignidad wäre es zuträglicher gewesen, wenn das Vorgehen transparent verlaufen wäre: Erst die Übergabe an die Justiz und an eine öffentliche Institution zur Auswertung durch die Wissenschaft. Einer gleichzeitigen Nutzung für Filmprojekte wäre nichts im Wege gestanden. Dass nun aber die Justiz und die Wissenschaft auf die Aufbereitung des Materials durch eine kommerzielle Produktionsfirma warten, und letztere ein Narrativ über das de-facto von ihr privatisierte Material bereits vorlegt, halte ich für ein Vorgehen, dass der Aufarbeitung eher abträglich ist.

Für die beteiligten Produzent*innen ist die Lage aber eindeutig. Gunnar Dedio wies auf die immens hohen Kosten hin, welche die Bearbeitung des Materials durch mehrere Mitarbeiter*innen in den vergangenen vier Jahren bedeutet habe. Den Aufwand, den seine Firma im Auftrag von ARD und Arte betrieben habe, hätte keine öffentliche Institution in dem Maße aufbringen können. Mit dieser Einschätzung liegt der Film-Produzent vielleicht nicht falsch. Denn das Auswärtige Amt hat in den vergangenen Jahrzehnten bewiesen, dass die Bereitstellung von Finanzmitteln für die Aufarbeitung der Geschichte der Colonia Dignidad mit größter Zurückhaltung erfolgt.

Das Museo de la Memoria in Santiago de Chile oder das chilenische Nationalarchiv wären mögliche Orte, um das originale und das digital aufbereitete Material zu archivieren. Die Institutionen müssen allerdings ohnehin mit prekären Mitteln haushalten. Ob sich eine der Einrichtungen es nun leisten kann, das bearbeitete Material von der Produktionsfirma LOOKSfilm in irgendeiner Form abzukaufen, wäre die nächste Frage. Gunnar Dedio erklärte aber, dass die Übergabe des Materials an eine geeignete Institution bereits geplant werde. Er kündigte sogar an, dass er sich mit Partner*innen zusammentun wolle, um nicht nur das „Archiv der Hölle“, sondern auch Archivmaterial anderer Stellen an einem Ort bereitzustellen. Weitere Informationen sollen nach der Ausstrahlung der Doku-Serie folgen.

Geschichtspolitisch umkämpftes Feld

Den Produzent*innen der Doku-Serie ist es gelungen, Zeitzeug*innen zu interviewen, die sich bisher nicht vor die Kamera getraut haben. Das gezeigte Material ermöglicht es den Zuschauer*innen auf anschauliche Art und Weise, einen Einblick in den Alltag der Siedler*innen in der Colonia Dignidad zu erhalten. Colonia-Leiter Paul Schäfer hatte in Auftrag gegeben, den Alltag seiner Anhänger*innen in meist geschönten Situationen auf Ton-, Foto- und Videoaufnahmen festzuhalten. Zum einen, um Propaganda-Material für die Presse bereitzuhalten und zum anderen sicherlich auch aus narzisstisch motivierter Eitelkeit. Schaurig kommen die originalen Tonaufnahmen Schäfers daher, in denen er Frauen als minderwertiges Geschlecht diskriminiert und vulgär beleidigt. Die Bilder von musizierenden Männern und Frauen lösen Unbehagen aus, weil Zeitzeug*innen berichten, dass sie nie das Instrument spielen durften, an dem sie wirklich Freude hatten. Schäfers Kontrollsystem ließ keinen Platz für kleine Freuden. Auf dem Teil des Materials, welches Schäfer für die Presse festhalten ließ, kann man die echten Gefühle der Betroffenen nur erahnen. Umso wertvoller zeigen sich die Erzählungen der ehemaligen Schäfer-Anhänger*innen.

Insgesamt bietet die Doku-Serie einen einzigartigen Einblick in bisher ungezeigtes Quellenmaterial. Wenn dieses zeitnah auch Justiz und Wissenschaft zugänglich gemacht wird, ist dies ein echter Zugewinn für den langen Aufarbeitungsprozess der Geschichte der Colonia Dignidad – inmitten dieses geschichtspolitisch stark umkämpften Feldes.

 

Sendetermine:

COLONIA DIGNIDAD  –  AUS DEM INNERN EINER DEUTSCHEN SEKTE (Regie: Annette Baumeister, Wilfried Huismann)

Das Erste: 16. und 23. März 2020, um 22.45 Uhr, jeweils 90 Minuten als dokumentarischer Zweiteiler

ARTE: 10. März 2020, um 20.15 Uhr als vierteilige dokumentarische Serie

im Anschluss: in der Mediathek der ARD

 

 

Gastbeiträge

Pressemitteilung des FDCL zum Fall des Psychiaters Otto Dörr

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Pressemitteilung des FDCL zum Fall des Psychiaters Otto Dörr

[Dies ist eine Pressemitteilung des FDCL, der hier unverändert als Gastbeitrag veröffentlicht wird.]

Pressemitteilung des Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V.

Erfolg gegen Unterstützungsnetzwerk der Colonia Dignidad

Chilenische Ärztekammer stellt fest: Otto Dörr verletzte ethische Mindeststandards

[Santiago de Chile, 11.09.2019] Wie heute, am 46. Jahrestag des chilenischen Mililtärputsches, bekannt wurde, hat die chilenische Ärztekammer eine Sanktion gegen den deutschstämmigen Psychiater Otto Dörr verhängt. In einem ausführlich begründeten Beschluss stellte sie fest, Dörr habe nicht nach den ethischen Kriterien gehandelt, die zu erfüllen Ärztinnen und Ärzten obliege. Dörr hatte gemeinsam mit anderen „zivilen“ Persönlichkeiten jahrelang öffentlich die Colonia Dignidad unterstützt und somit zur Aufrechterhaltung der menschenrechtswidrigen Verhältnisse in der Deutschensiedlung beigetragen. Zudem hatte Dörr in Zusammenarbeit Hartmut Hopp – dem ehemaligen Leiter des Krankenhauses der Siedlung – Bewohner_innen der Colonia Dignidad mit Psychopharmaka „behandelt“. Ein „Patient“ von Dörr und Hopp, der Koloniebewohner Karl Stricker (siehe Foto unten), verstarb 2002 in der Colonia Dignidad, als er unter Psychopharmaka-Einfluss Dacharbeiten durchführen musste und abstürzte[1]. Stricker hatte 1996 versucht aus der Colonia Dignidad zu fliehen, wurde jedoch von der Sektenführung zurückgeholt. Dörr hatte ihm daraufhin Psychopharmaka-Medikamente verordnet und Bescheinigungen ausgestellt, die eine Vorladung durch die chilenische Justiz behinderten.

2018 wurde Otto Dörr der Nationale Medizinpreis Chiles zugesprochen. Dies führte zu einem Aufschrei des Protests in Menschenrechtskreisen, kurz darauf zur Einreichung mehrerer Anzeigen[2] gegen Dörr bei der chilenischen Ärztekammer und schließlich zur Eröffnung eines Verfahrens vor dem Ethik-Tribunal des Ärztegremiums. Die Verleihung des höchsten chilenischen Preises für Medizin wurde bis zum Abschluss des Verfahrens des Ethiktribunals der chilenischen Ärztekammer[3]suspendiert. Es wird erwartet, dass Dörr nach seiner Sanktionierung durch die Ärztekammer auch der Preis wieder aberkannt wird.

Das Ethiktribunal gab den Anzeigen nach einem anderthalbjährigen Verfahren statt und stellte fest, dass Dörrs Verhalten Verstöße gegen die Ethikrichtlinien der Ärztekammer darstellen. Besondere Bedeutung wird Dörrs Verhalten im Fall Karl Stricker beigemessen. Dutzende Zeug_innen wurden angehört, darunter auch viele, die zugunsten von Dörr aussagten. Zu diesen gehörte auch der Psychiater Niels Biedermann, der im Auftrag der deutschen Bundesregierung seit 2005 die (ehemaligen) Bewohner_innen der Colonia Dignidad psychiatrisch behandelt. Biedermann verteidigte Dörr wiederholt und unterzeichnete in der rechtskonservativen Zeitung El Mercurio eine Unterstützungs-Erklärung zugunsten von Dörr, die von einer „inakzeptablen Verleumdungskampagne“ sprach.

Jan Stehle vom FDCL, einer der Anzeigenerstatter gegen Otto Dörr, erklärt hierzu:

„Der Spruch des Ethiktribunals ist ein Vorgang von historischer Tragweite im Kontext der mühevollen Aufarbeitung der Verbrechen der Colonia Dignidad. Erstmals erfährt ein langjähriger Unterstützer der Colonia Dignidad Konsequenzen für sein Handeln. Das Netzwerk von Unterstützer_innen in Chile und Deutschland ermöglichte die Kontinuität der Menschenrechtsverbrechen in der kriminellen Sekte bis 2005. Die im Urteilsspruch dokumentierten Verbindungen von Otto Dörr zur Colonia Dignidad und zur Person Hartmut Hopp verdeutlichen erneut die skandalösen Unterlassungen auch seitens der deutschen Justiz bei der Aufarbeitung der systematischen Verbrechen der Colonia Dignidad, die längst noch nicht abgeschlossen ist. Ich erwarte, dass Otto Dörr nun umgehend der Nationale Medizinpreis aberkannt wird“

Hernán Fernández, langjähriger Anwalt vieler Colonia Dignidad-Opfer, der Stehle in dem Verfahren vor der Ärztekammer anwaltlich vertrat, ergänzt:

Dieser Beschluss bedeutet etwas Gerechtigkeit für die Opfer; denn das Verbrechenssystem der Colonia Dignidad konnte durch die ideologische Unterstützung von Personen wie Otto Dörr jahrzehntelang aufrechterhalten werden. Der Beschluss bedeutet auch etwas Gerechtigkeit für den verstorbenen Karl Stricker, der starb, ohne die ersehnte Freiheit zu erlangen.

Karl Stricker, früherer Bewohner der Colonia Dignidad. Er war von Otto Dörr und Hartmut Hopp mit Psychopharmaka „behandelt“ worden und kam 2002 bei einem Unfall zu Tode. (Foto: www.eldinamo.cl)

 

 

Download des Urteils:

https://www.cooperativa.cl/noticias/site/artic/20190910/asocfile/20190910222606/sentencia_causa_rol_n__008_18__10_09_19_.pdf

Erste chilenische Medienreaktionen:

https://www.cooperativa.cl/noticias/pais/judicial/villa-baviera/colegio-medico-aplico-sancion-etica-a-otto-dorr-por-hechos-ligados-a-la/2019-09-10/222606.html

https://www.eldesconcierto.cl/2019/09/11/colegio-medico-aplica-sancion-etica-a-otto-dorr-por-hechos-ligados-a-colonia-dignidad/

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Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V.

Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin

Tel 030 6934029 Email: info@fdcl-berlin.de

 

 

 

[1] https://ciperchile.cl/2018/04/10/colonia-dignidad-la-muerte-de-karl-stricker-y-la-amnesia-de-otto-dorr/

[2] Zu den fünf Anzeigenerstatter_innen gehörten Jan Stehle, der Rechtsanwalt und ehemalige Bewohner der Colonia Dignidad Winfried Hempel, zwei Angehörigenverbände der Verschwundenen und eine Menschenrechtsorganisation.

[3] http://www.colegiomedico.cl/tribunales-de-etica/