Bundeskanzler Olaf Scholz begibt sich heute in Begleitung einer Wirtschaftsdelegation auf eine viertägige Lateinamerika-Reise. Es geht nach Argentinien, Brasilien und Chile, um schwerpunktmäßig wirtschaftliche Fragen der Zusammenarbeit zu besprechen. Da aber auch ein Besuch des „Museo de la Memoria y los Derechos Humanos“ in Santiago de Chile geplant ist, werden Hoffnungen laut, dass Olaf Scholz sich auch für die Aufarbeitung der Colonia Dignidad einsetzen wird. Denn die deutsche Siedlungsgemeinschaft am Fuße der chilenischen Anden war auch zentraler Ort der Verbrechen während der chilenischen Militärdiktatur unter Augusto Pinochet (1973-1990).
In der ehemaligen Colonia Dignidad in Chile leben unter dem Namen Villa Baviera bis heute viele ehemalige Mitglieder der Siedlungsgemeinschaft. Unter ihnen sowohl Opfer als auch Täter:innen. Viele Menschen waren auch beides. Dass sie bis heute an dem Ort einstiger Verbrechen einen Hotelbetrieb führen, stößt angesichts zahlreicher unaufgeklärter Verbrechen immer wieder auf Unverständnis und Kritik.
Im Jahr 2017 hatte der Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, einen Gedenk-, Dokumentations- und Lernort auf dem historischen Gelände der ehemaligen Colonia Dignidad auf den Weg zu bringen. Ein deutsch-chilenisches Expert:innenteam wurde berufen und mit der Erstellung eines Konzeptes beauftragt. Seit 2014 finden bereits regelmäßige Dialogveranstaltungen mit verschiedenen Betroffenengruppen unter der Leitung von Dr. Elke Gryglewski (Leiterin Niedersächsische Gedenkstätten) statt. Das Konzept für eine Gedenkstätte liegt seit fast zwei Jahren vor. Auch die beteiligten Expert:innen warten auf die Umsetzung.
Viele der Betroffenen auf deutscher und chilenischer Seite warten schon lange auf Fortschritte in dem zähen Aufarbeitungsprozess. Der Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz macht nun Hoffnung, dass es endlich weitergeht.
Weitere Informationen zum Nachlesen:
Der Politikwissenschaftler Jan Stehle und die Psychologin Evelyn Hevia haben kürzlich die einzelnen Schritte und Inhalte der Workshops aus den vergangenen Jahren in einem Aufsatz chronologisch zum Nachlesen aufgeführt.
„Die Colonia Dignidad zwischen Erinnern und Vergessen
Zur Erinnerungskultur in der ehemaligen Siedlungsgemeinschaft“
von Meike Dreckmann-Nielen im Transcript-Verlag erschienen.
Aus dem Klappentext:
Die Colonia Dignidad erlangte wegen zahlreicher bis heute unaufgeklärter Menschenrechtsverbrechen internationale Bekanntheit. Dass einstige Mitglieder der deutschen Gruppe das historische Siedlungsgelände in Chile unter dem Namen »Villa Baviera« (deutsch: bayerisches Dorf) schrittweise zu einem touristischen Freizeitort umfunktioniert haben, sorgt angesichts der mangelnden Aufarbeitung für anhaltende Kritik. Meike Dreckmann-Nielen untersucht, wie sich einstige Mitglieder der Gruppe heute an ihre eigene Vergangenheit erinnern. In ihrer Studie ermöglicht sie einen intimen Einblick in komplexe erinnerungskulturelle Dynamiken im Mikrokosmos der ehemaligen Siedlungsgemeinschaft.
Interview des Transcript-Verlags mit der Autorin:
1. Warum ein Buch zu diesem Thema?
Die Zeit der Colonia Dignidad zählt zu den dunkelsten Kapiteln deutsch-chilenischer Geschichte. Da die Aufarbeitung der dort begangenen Verbrechen bis heute nur schleppend vorangeht, ist sie allerdings längst nicht nur ein historisches Kapitel, sondern für viele Opfer bittere Gegenwart. Dieses Buch möchte nun einen Beitrag zur Aufarbeitung leisten, indem es aufzeigt, wie die eigene Vergangenheit im Mikrokosmos der ehemaligen Colonia Dignidad heute verhandelt wird und welche Konsequenzen dies hat.
2. Welche neuen Perspektiven eröffnet Ihr Buch?
Das Buch blickt erstmals dezidiert mit einer erinnerungskulturellen Fragestellung auf die Colonia Dignidad. Es untersucht den Umgang der einstigen Mitglieder der Colonia Dignidad mit ihrer eigenen Vergangenheit an dem Ort der historischen Menschenrechtsverbrechen, dem heutigen Tourismusort ›Villa Baviera‹. Das Buch spürt gruppeninternen Narrativen und Geschichtsbildern nach, um schließlich Wirkmechanismen erinnerungskultureller Dynamiken aufzuzeigen.
3. Welche Bedeutung kommt dem Thema in den aktuellen Forschungsdebatten zu?
Der Forschungsstand zum Thema Colonia Dignidad ist bisher sehr dünn. Eine ganze Monographie zum erinnerungskulturellen Erbe der Siedlungsgemeinschaft hat es bisher noch nicht gegeben. Das Buch knüpft damit vor allem an bisherige Grundlagenstudien zur Verbrechensgeschichte an und spannt einen Bogen in die Gegenwart, indem es die Bedeutung komplexer Aushandlungsprozesse von Vergangenem in der Gegenwart einer spezifischen Siedlungsgemeinschaft analysiert.
4. Mit wem würden Sie Ihr Buch am liebsten diskutieren?
Ich wünsche mir noch einmal die Gelegenheit, persönlich mit den Betroffenen über meine Erkenntnisse aus der Forschungsarbeit zu sprechen. Leider kam die Pandemie dazwischen, sodass noch kein neues Treffen stattfinden konnte. Aktuell freue ich mich darauf, bei der Buchpräsentation im März 2022 mit Renate Künast und Elke Gryglewski über meine Ergebnisse zu diskutieren und ihre spezifischen Sichtweisen dazu zu hören.
5. Ihr Buch in einem Satz:
Das Buch beleuchtet, wie die ehemaligen Mitglieder der Colonia Dignidad heute am historischen Ort der Siedlung mit der eigenen Geschichte umgehen.
Foto von dem bisherigen Museum der Villa Baviera, Bildrechte: MDN
Veranstaltungshinweis:
Am 22.3.2022 wird am Arbeitsbereich „Didaktik der Geschichte“ der Freien Universität Berlin das Buch
Die Colonia Dignidad zwischen Erinnern und Vergessen Zur Erinnerungskultur in der ehemaligen Siedlungsgemeinschaft
von Meike Dreckmann-Nielen vorgestellt. Das Werk erscheint als OpenAccess-Version im März 2022 im Transcript-Verlag.
Aus dem Klappentext: Die Colonia Dignidad erlangte wegen zahlreicher bis heute unaufgeklärter Menschenrechtsverbrechen internationale Bekanntheit. Dass einstige Mitglieder der deutschen Gruppe das historische Siedlungsgelände in Chile unter dem Namen »Villa Baviera« (deutsch: bayerisches Dorf) schrittweise zu einem touristischen Freizeitort umfunktioniert haben, sorgt angesichts der mangelnden Aufarbeitung für anhaltende Kritik. Meike Dreckmann-Nielen untersucht, wie sich einstige Mitglieder der Gruppe heute an ihre eigene Vergangenheit erinnern. In ihrer Studie ermöglicht sie einen intimen Einblick in komplexe erinnerungskulturelle Dynamiken im Mikrokosmos der ehemaligen Siedlungsgemeinschaft.
Flyer zur Buchvorstellung von Meike Dreckmann-Nielen
Zum Ablauf der Buchpräsentation: 19:00 – 19:05 Uhr Begrüßung durch Prof. Dr. Martin Lücke (Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin) 19:05 – 19:20 Uhr Vorstellung des Buches durch die Autorin Meike Dreckmann-Nielen 19:20 – 19:30 Uhr Buch-Kommentar von Renate Künast MdB 19:30 – 19:40 Uhr Buch-Kommentar von Dr. Elke Gryglewski 19:40 – 20:00 Uhr Fragen und Diskussion
Hinweis: Die Veranstaltung findet online über Webex statt und die Zugangsdaten werden nach einer Anmeldung per Mail an clemens.bertram@fu-berlin.de verschickt. Die Teilnahme ist auch ohne Webex-Konto möglich.
Eröffnung des Colonia Dignidad Oral History Archivs (CDOH)
Am 17. März 2022 wird die Interviewplattform „Colonia Dignidad. Ein chilenisch-deutsches Oral History-Archiv“ (CDOH) veröffentlicht. Die Eröffnungsveranstaltung findet vor Ort im Berliner Humboldt Forum statt und wird online per Live-Stream übertragen.
Das Team des CDOH lädt Sie herzlich ein zur Veröffentlichung der Interviewplattform „Colonia Dignidad. Ein chilenisch-deutsches Oral History-Archiv“.
Wenn Sie nicht persönlich an der Veranstaltung in Berlin teilnehmen können, wird es die Möglichkeit geben, die Eröffnungsveranstaltung über einen Live-Stream zu verfolgen. Sowohl vor Ort im Humboldt Forum als auch für den Live-Stream wird eine Simultan-Übersetzung angeboten.
Am folgenden Vormittag werden auf einem Symposium in Berlin die Entwicklung des Interviewarchivs und die Möglichkeiten, die es für die weitere Auseinandersetzung mit der Thematik bietet, vorgestellt und diskutiert.
Die Veranstaltung wird in Kooperation mit dem Humboldt Labor im Humboldt Forum durchgeführt.
Für beide Veranstaltungen ist eine Anmeldung zwingend erforderlich, egal ob Sie vor Ort oder online teilnehmen.
Entrevista con Evelyn Hevia Jordán sobre su investigación de la historia del hospital de Colonia Dignidad
(Die deutsche Übersetzung ist weiter unten zu finden.)
Evelyn Hevia Jordán es psicóloga social e historiadora. Nacida en Chile, estudia la historia del hospital Colonia Dignidad como parte de su proyecto de tesis. En la siguiente entrevista, nos habla de su apasionante proyecto de investigación, en el que trabaja en el Instituto de América Latina de la Universidad Libre de Berlín.
Meike Dreckmann-Nielen: ¿Cómo llegaste a investigar sobre la Colonia Dignidad?
Evelyn Hevia Jordán: Desde mis años de adolescencia el tema de la Colonia Dignidad estuvo presente en mi imaginario y conocimiento general como una secta alemana con un líder pederasta a la cabeza. Tenía 16 años en 1997, cuando se produjo la fuga de Tobías Müller y Salo Luna, que tuvo una amplia cobertura de prensa, impactándome enormemente, pues éramos casi de la misma edad y nos tocaba enfrentar una vida tan diferente.
Años más tarde, como estudiante de psicología, tuve como profesor del ramo de psicopatología al Dr. Luis Enrique Peebles, quien como parte de su curriculum se presentó ante el curso como un “superviviente de la Colonia Dignidad” y “testigo clave contra Paul Schäfer y la Colonia”. En ese entonces, año 2003 ó 2004, Schäfer seguía prófugo de la justiciar chilena.
Desde mis años de estudiante universitaria me dediqué a trabajar como ayudante en asignaturas e investigaciones que tenían que ver con los procesos de elaboración del pasado reciente de la dictadura cívico-militar chilena, entonces la Colonia Dignidad era un tema que rondaba, pero no era mi foco. Fue acercándose a través de mi experiencia de trabajo como entrevistadora en el Archivo Oral de Villa Grimaldi, donde varios testigos se referían a la Colonia como un Centro de prisión política y tortura y como parte de la red de recintos secretos de la DINA. Sin embargo, solo, en 2013 fui invitada a participar en la elaboración de un primer proyecto de Archivo Oral cuyo foco era el caso Colonia Dignidad. Sin embargo, ese proyecto no se materializó, pero ese fue mi primer contacto investigando el caso. Ahí pude constatar por primera vez la magnitud y complejidad de este caso y de algún modo me sentí fuertemente llamada a intentar entender ¿cómo esto fue posible? Desde entonces, el tema Colonia Dignidad, su pasado, pero, sobre todo, sus desafíos en el presente, sus actores y actrices se han vuelto el foco central de mi trabajo.
MDN: Eres psicóloga e historiadora, ¿cómo te ayuda esta combinación en tu trabajo sobre Colonia Dignidad?
EHJ: La interdisciplinariedad es necesaria e indispensable, siempre a mis estudiantes de metodologías de la investigación cualitativa les decía: “a problemas complejos, abordajes disciplinares y metodológicos complejos”. De este modo, creo que una disciplina no puede ponerse como un traje que nos restrinja las posibilidades de comprender e intervenir en un fenómeno social. Así que me he formado en dos disciplinas que de algún modo se ocupan por el pasado, en la versión de la psicología más clásica centrada en el individuo, el foco está puesto en cómo ese pasado, las relaciones primarias, familiares y la socialización afecta la vida y relaciones en el presente para una persona. Por otro lado, la historia, nos ofrece una comprensión desde procesos sociales, políticos, culturales del pasado, para comprender nuestras problemáticas en el presente. Esto dicho de modo muy general, porque sabemos que para ambas disciplinas hay debates y corrientes que marcan diferencias.
De ambas, rescato su precisión y aportes metodológicos. La psicología me ha entregado valiosas herramientas en el trabajo directo con las personas, que hacen posible construir confianzas, cuidar el vínculo y respetar a todas las personas en su condición de seres humanos que han sufrido de diversos modos, en diversas circunstancias y por la acción u omisión de diversos actores. La reflexión ética, la capacidad de escucha, la confidencialidad y un análisis puesto en las relaciones, juegan un rol clave en ello. Por otro lado, está la historia, que me ha entregado una comprensión del contexto social, político, judicial y cultural de una determinada época. El trabajo con archivos, fuentes, es una disciplina que invita a buscar la multiperspectiva y a cuestionar también la noción de verdad, con mayúsculas, me enseña a cultivar la cautela antes de dar algo por hecho, pues la historia también es el resultado del tiempo en que se escribe y de las condiciones de posibilidad o limitaciones que tiene quien la escribe. La historia, exige un examen constante de las fuentes y de los modos de interpretarlas. Por ejemplo, en el caso Colonia Dignidad, existen numerosas declaraciones judiciales, pero hoy sabemos que muchas de ellas fueron hechas bajo presión de sus testigos en los tiempos de Schäfer, entonces es importante cuestionar el valor de verdad, lo que no significa que no sirvan para el trabajo histórico, pero hay que contrastar y analizarlas en ese marco temporal.
MDN: ¿Por qué has elegido el tema del hospital?
EHJ: En mi hipótesis central de investigación el hospital representa el centro del complejo funcionamiento de Colonia Dignidad y de algún modo, fue el que aseguró la institucionalización legal de la Sociedad Benefactora y Educacional Dignidad (SBED) en Chile, permitiendo su posterior consolidación y su funcionamiento por tanto tiempo a pesar de las denuncias ya existentes. Por otra parte, en torno al hospital se construyen y refuerzan una serie de discursos sobre el saber médico-científico y sobre las ideas germanófilas tan difundidas desde mucho antes en Chile: orden, limpieza, trabajo, esfuerzo, puntualidad, etc. También, elegí el hospital porque es un caso desafiante en términos éticos y políticos, quizás esto es lo más sensible y complejo, porque implica hablar de las zonas grises, como lo planteara Primo Levi. El hospital cumplió un rol donde el Estado chileno se vio superado y se practicaron atenciones médicas efectivas que lo diferenciaban de un sistema de salud público deficitario, pero, por otro lado, el hospital contribuyó a esconder prácticas criminales y eso es un hecho que no lo digo yo, sino también lo han señalado ante la justicia quienes participaron y fueron víctimas de esos crímenes.
MDN: ¿Cuál es tu objetivo de investigación?
EHJ: Mi objetivo es reconstruir la historia del hospital, desde su instalación como hospital “El Lavadero”, hasta el cierre, como hospital “Villa Baviera”. Para lo cual he determinado hasta ahora tres periodos históricos: Instalación e institucionalización; consolidación y cierre. Por cierto, mi tesis doctoral es el primer trabajo con el foco puesto en el hospital y espero que luego vengan otros que profundicen, expliquen, amplíen o cuestionen mis hallazgos.
MDN: ¿Cuáles son tus fuentes?
EHJ: He trabajado y sigo trabajando con fuentes documentales escritas, prensa y entrevistas.
MDN: ¿Puedes compartir ya con nosotros algunos hallazgos? ¿O es demasiado pronto para eso?
EHJ: Todavía es pronto. Sin embargo, ha sido interesante en el contexto de mi primer capítulo donde pongo en contexto la instalación e institucionalización del hospital, observar la problemática histórica (de larga duración) que ha tenido (y tiene todavía) Chile para dar cobertura de salud pública a su población. La existencia de sociedades de beneficencia que llevaban (y llevan) a cabo tareas sanitarias no empieza ni termina con el hospital de la Colonia. Eso me llevó bastante tiempo estudiarlo y creo que queda asentado el contexto que hace posible la creación de este hospital, a pesar de que no contaba con los permisos legales de la autoridad sanitaria desde sus inicios, sino que estas autorizaciones se logran en el contexto de la comisión investigadora del parlamento en 1968. Hay que recordar que la personalidad jurídica era para beneficencia centrada en la educación.
Por otro lado, he observado cómo las conexiones germano-chilenas de larga data contribuyeron a cimentar un camino que facilitó ese proceso de institucionalización, donde participaron varios funcionarios y autoridades que tenían conexiones familiares o personales con Alemania y que tenían una muy buena opinión sobre lo que podría ofrecer una sociedad benefactora alemana en Chile.
Un tercer hallazgo preliminar, es que desde los orígenes la Colonia va a probar algunas estrategias para enfrentar sus acusaciones públicas y esto se observa en los orígenes del hospital. Por un lado, está la que he denominado “estrategia de los hechos consumados” y que en el caso del hospital va a permitir su legalización cuando ya llevaba varios años funcionando, pues hubiera sido “imposible” para las autoridades chilenas cerrar un hospital cuando el país en la década de los 60 tenía tantas necesidades sanitarias. Esta es una argumentación que queda incluso expresada en las intervenciones de Patricio Aylwin en 1968. Por otro lado, está la “estrategia de los favores”, que en el caso del hospital se observa con el apoyo que el personal del hospital El Lavadero prestó ante la huelga nacional del sector salud en 1966. El apoyo al sector público de salud, le valió el reconocimiento por escrito de autoridades sanitarias y el ofrecimiento de apoyo incondicional que quedó por escrito y que fue utilizado en defensa de la SBED en el marco de las acusaciones tras la fuga de Wolfgang Müller y Wilhelmine Lindemann en 1966 y en el marco de las investigaciones y discusiones parlamentarias de 1968.
MDN: ¿Cuál crees que es el mayor desafío de la investigación de Colonia Dignidad?
EHJ: Hay un desafío ético. Como dijo en cierta ocasión Horst Schaffrik, esto no es un tema del pasado, no es historia. Y tiene razón. No es un tema del pasado del que se pueda hacer historia como si las personas afectadas no siguieran vivas sufriendo las consecuencias de las acciones del pasado, pero también de las inacciones o falta de voluntad política del presente, que tan nítidamente vemos en el caso de familiares de detenidos desparecidos, quienes a casi 50 años siguen exigiendo saber dónde están y qué pasó con sus familiares, o de los jóvenes chilenos abusados sexualmente que llevan años esperando el pago de sus indemnizaciones. El desafío ético tiene que ver con el tratamiento que le damos al caso y a las personas que muchas veces nos cooperan, por ejemplo, con entrevistas. Hay que evitar caer en el “extractivismo académico”, donde vamos, entrevistamos y luego publicamos nuestros trabajos y nunca las personas entrevistadas supieron en qué y cómo usamos sus relatos.
Por otra parte, hay que desarrollar investigaciones que no solo contribuyan al conocimiento especializado de este tema, sino también al conocimiento público, el tema de la Colonia y de las violaciones a los DDHH son temas de interés público actual y también para las generaciones que vienen.
Un reto metodológico y analítico, tiene que ver con cómo se interpretan o analizan las fuentes, hay que desarrollar fórmulas que permitan contrastar fuentes. También, un reto es cómo acotar nuestros temas de investigación, creo que a todos quienes nos hemos aproximado al caos de la Colonia desde la investigación, nos ha pasado sentir la necesidad de explicarlo todo (lo que es imposible) para entrar en un foco específico. Hoy se necesitan investigaciones que aborden tantas dimensiones particulares que nunca nadie ha pensado ni trabajado y desde diferentes enfoques científicos e incluso artísticos, creativos.
También hay un desafío idiomático, este es un caso que involucra dos idiomas y tenemos que hacer esfuerzos notables quienes nos interesamos por estos temas para aprender la otra lengua.
MDN: ¿Por qué te fascina el tema de la Colonia Dignidad?
EHJ: Es un tema que necesita un compromiso de larga data. En mi caso, me he acercado en mi rol como psicóloga social y luego como investigadora en historia. He conocido a los diferentes grupos de víctimas y el contacto con ellos y ellas me ha tocado en una dimensión de compromiso humano y profesional. Una no puede simplemente irse a la casa cuando hay tanto por hacer en el ámbito de la investigación, del acompañamiento, de la escucha, de la justicia, del conocimiento histórico, de la memoria y de la transmisión a las nuevas generaciones. Entonces, me compromete el trabajo en diferentes áreas que hay por hacer, las relaciones humanas que he ido construyendo y la confianza que muchos y muchas han puesto en mi persona, entonces todas son razones muy poderosas para seguir e intentar contribuir con un granito de arena a todo esto.
MDN: ¿Hay algún tema que, en tu opinión, debería recibir más atención en la investigación científica?
EHJ: Hay muchos temas, pues la investigación científica es muy reciente. Entonces, solo puedo alentar a investigadores jóvenes (y no tan jóvenes) a interesarse por este tema desde sus diferentes áreas de trabajo. También a los artistas y creadores, sabemos cuánto han aportado al debate y conocimiento público, las producciones audiovisuales, teatrales, novelas.
Eso sí, mi invitación es siempre considerando la dimensión ética en el trabajo. Estos son temas sensibles y que no pueden convertirse simplemente en objetos de estudio o creación, descuidando que nuestros principales interlocutores o público interesado son precisamente quienes fueron afectados por la Colonia.
MDN: ¿Qué consejo darías a las jóvenes becarias que quisieran iniciar un proyecto de investigación sobre el tema de la Colonia Dignidad?
EHJ: El primero y más fundamental, es el cuidado y respeto por el tratamiento de este tema, no olvidar que es un tema que interesa no solo en la academia sino a las personas que vivieron estos hechos, entonces ellos serán sus principales críticos. El segundo, es cuidarse y cuidar las relaciones que se establecen con las personas, hay que evitar caer en “alianzas” o “secretismos” que refuercen esquemas del pasado. Mantener durante el trabajo de investigación una actitud crítica y autocrítica respecto de las decisiones teóricas, metodológicas y éticas que se toman, ponderando sus efectos en los resultados. Mirar la multiperspectiva como algo que juega a favor de nuestro trabajo y no como una barrera. Y, por último, construir redes de trabajo, colaborar, intercambiarse con colegas, eso siempre ayuda a mantener esa reflexividad en el proceso de investigación.
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Evelyn Hevia Jordán vor dem Krankenhaus der Colonia Dignidad (Copyright: Evelyn Hevia Jordán)
Evelyn Hevia Jordán über ihre Forschungen zum Krankenhaus der Colonia Dignidad
Evelyn Hevia Jordán ist Sozialpsychologin und Historikerin. Die gebürtige Chilenin befasst sich im Rahmen ihres Dissertationsprojekts mit der Geschichte des Krankenhauses der Colonia Dignidad. Im Folgenden Interview gibt sie einen Einblick in ihr spannendes Forschungsprojekt, welches sie am Lateinamerikainstitut der Freien Universität Berlin erarbeitet.
Meike Dreckmann-Nielen: Wie kamst du dazu, zur Colonia Dignidad zu forschen?
Evelyn Hevia Jordán: Seit meiner Teenagerzeit war das Thema der Colonia Dignidad als eine deutsche Sekte mit einem pädokriminellen Anführer an der Spitze präsent. Ich war im Jahr 1997 gerade 16 Jahre alt, als die Flucht der Colonia-Mitglieder Tobias Müller und Salo Luna Schlagzeilen in der Presse machte. Die Geschichte hatte einen großen Einfluss auf mich, da wir fast gleich alt waren und doch ein so unterschiedliches Leben vor uns hatten. Erst Jahre später, als Psychologiestudentin, wurde ich in Psychopathologie von Dr. Luis Enrique Peebles unterrichtet, der sich im Rahmen seines Lehrplans als „Überlebender der Colonia Dignidad“ und „Kronzeuge im Fall Paul Schäfer“ vorstellte. Zu diesem Zeitpunkt, etwa 2003 oder 2004, war Paul Schäfer noch auf der Flucht vor der chilenischen Justiz.
Während des Studiums hatte ich dann als studentische Mitarbeiterin in Projekten mitgearbeitet, die sich den Prozessen der Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit der chilenischen zivil-militärischen Diktatur widmeten. In diesem Kontext war die Colonia Dignidad zwar Thema, sie war aber nicht mein Schwerpunkt.
Das Thema Colonia Dignidad begegnete mir zunehmend im Kontext meiner Arbeitserfahrung als Interviewerin im Oral History Archiv der Villa Grimaldi. Dort hatten mehrere Zeitzeug:innen die Colonia als politisches Gefängnis und Folterzentrum, sowie als Teil des Netzwerks der DINA bezeichnetet. Im Jahr 2013 wurde ich schließlich eingeladen, an der Ausarbeitung eines der ersten Mündlichen Archive mitzuwirken, das sich mit dem Fall Colonia Dignidad befassen sollte. Dieses damalige Projekt kam zwar nie zustande, aber es war eben mein erster Kontakt mit diesem Fall. Dort konnte ich zum ersten Mal das Ausmaß und die Komplexität der Colonia Dignidad sehen. Jenes wollte ich immer besser zu verstehen lernen. Seitdem ist das Thema Colonia Dignidad, seine Vergangenheit, aber vor allem seine gegenwärtigen Herausforderungen, seine Akteure und Akteurinnen in den Mittelpunkt meiner Arbeit gerückt.
MDN: Du bist Psychologin und Historikern; wie hilft dir diese Kombination in deiner Arbeit zur Colonia Dignidad?
EHJ: Interdisziplinarität ist notwendig und unverzichtbar. Ich habe meinen Student:innen der qualitativen Forschungsmethodik immer gesagt: „Komplexe Probleme erfordern komplexe disziplinäre und methodische Ansätze“. Ich bin in zwei Disziplinen ausgebildet worden, die sich in irgendeiner Weise mit der Vergangenheit befassen. Die klassischere Version der Psychologie, die sich auf das Individuum konzentriert, legt den Fokus darauf, wie die Vergangenheit, also die frühen Beziehungen, die Familie und ihre Sozialisation das Leben in der Gegenwart beeinflusst. Auf der anderen Seite bietet uns die Geschichte ein Verständnis von sozialen, politischen, kulturellen Prozessen der Vergangenheit, um unsere sozialen, politischen und kulturellen Probleme in der Gegenwart zu verstehen. Das ist sehr allgemein gesagt, denn wir wissen, dass es für beide Disziplinen Debatten und Strömungen gibt, die unterschiedlich geprägt sind.
An beiden schätze ich ihre Präzision und ihre methodischen Ansätze. Die Psychologie hat mir in der direkten Arbeit mit Menschen wertvolle Werkzeuge an die Hand gegeben, um Vertrauen aufzubauen, die zwischenmenschliche Bindung zu pflegen und alle Menschen in ihrem Zustand als menschliche Wesen zu respektieren. Sie haben alle auf unterschiedliche Weise, unter unterschiedlichen Umständen und durch das Handeln oder Unterlassen verschiedener Akteur:innen gelitten. Ethische Reflexion, die Fähigkeit zuzuhören, Vertraulichkeit und Beziehungsanalyse spielen dabei eine zentrale Rolle.
Auf der anderen Seite gibt es die Geschichte, die mir ein Verständnis für den sozialen, politischen, rechtlichen und kulturellen Kontext einer bestimmten Zeit vermittelt hat. Die Arbeit mit Archiven und Quellen ist eine Disziplin, die mich dazu einlädt, eine Multiperspektive zu suchen und den Begriff der Wahrheit in Frage zu stellen. Sie lehrt mich, Vorsicht zu kultivieren, bevor ich etwas als selbstverständlich annehme, denn Geschichte ist auch das Ergebnis der Zeit, in der sie geschrieben wird, und der Bedingungen des Möglichen oder der Einschränkungen, die der*die Autor:in hat. Sie erfordert eine ständige Auseinandersetzung mit den Quellen und den Möglichkeiten, sie zu interpretieren. Zum Beispiel gibt es im Fall Colonia Dignidad zahlreiche gerichtliche Aussagen. Heute wissen wir allerdings, dass viele von ihnen unter dem Druck auf Zeug:innen während der Zeit Schäfers gemacht wurden, so dass es wichtig ist, ihren Wahrheitswert zu hinterfragen. Dies bedeutet nicht, dass sie für die historische Arbeit nicht nützlich sind, aber sie müssen in diesem Zeitrahmen kontrastiert und analysiert werden.
MDN: Warum hast du dir das Thema des Krankenhauses ausgesucht?
EHJ: In meiner zentralen Hypothese stellt das Krankenhaus das Zentrum des komplexen Funktionierens der Colonia Dignidad dar. In gewisser Weise war es dasjenige, das die legale Institutionalisierung der Sociedad Benefactora y Educacional Dignidad in Chile sicherstellte, was dann ihre Konsolidierung und ihr Funktionieren für so lange Zeit trotz der Denunziationen ermöglichte. Andererseits werden um das Krankenhaus herum eine Reihe von Diskursen über medizinisch-wissenschaftliches Wissen und über die in Chile schon lange vorher verbreiteten germanophilen Vorstellungen konstruiert und verstärkt: Ordnung, Sauberkeit, Arbeit, Anstrengung etc. Ich habe das Krankenhaus auch deshalb gewählt, weil es in ethischer und politischer Hinsicht ein herausfordernder Fall ist. Vielleicht ist es der sensibelste und komplexeste Fall, weil er impliziert, über Grauzonen zu sprechen, wie Primo Levi es ausdrückte. Das Krankenhaus erfüllte eine Rolle, in der es den chilenischen Staat übertraf und eine effektive medizinische Versorgung bot, die sich von einem mangelhaften öffentlichen Gesundheitssystem abhob. Auf der anderen Seite trug das Krankenhaus dazu bei, kriminelle Praktiken zu verbergen. Das ist eine Tatsache, die ich nicht selbst behaupte, sondern auf die auch vor Gericht von denjenigen hingewiesen wurde, die an diesen Verbrechen beteiligt waren und Opfer davon wurden.
MDN: Was ist deine Forschungsabsicht?
EHJ: Mein Ziel ist es, die Geschichte des Krankenhauses zu rekonstruieren, von seiner Gründung als Krankenhaus El Lavadero bis zu seiner Schließung als Krankenhaus Villa Baviera. Zu diesem Zweck habe ich bisher drei historische Perioden bestimmt: Installation und Institutionalisierung, Konsolidierung und Schließung.
MDN: Was sind deine Quellen?
EHJ: Ich habe mit schriftlichen dokumentarischen Quellen, Presseveröffentlichungen und Interviews gearbeitet und werde dies auch weiterhin tun.
MDN: Kannst du schon ein paar Erkenntnisse mit uns teilen? Oder ist es dafür noch zu früh?
EHJ: Noch ist es etwas früh. Im Zusammenhang mit meinem ersten Kapitel, in dem ich die Einrichtung und Institutionalisierung des Krankenhauses in einen Kontext gestellt habe, war es jedoch interessant, die (seit langem bestehenden) historischen Probleme zu beobachten, die Chile bei der Versorgung seiner Bevölkerung mit öffentlichen Gesundheitsdiensten hatte (und immer noch hat). Die Existenz von Wohltätigkeitsvereinen, die Gesundheitsaufgaben wahrnahmen (und noch immer wahrnehmen), beginnt und endet nicht mit dem Krankenhaus der Colonia Dignidad. Es hat mich viel Zeit gekostet, dies zu studieren, und ich glaube, dass der Kontext, der die Gründung dieses Krankenhauses ermöglichte, feststeht, auch wenn es nicht von Anfang an über die gesetzlichen Genehmigungen der Gesundheitsbehörde verfügte, sondern diese Genehmigungen erst im Rahmen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses von 1968 eingeholt wurden. Es sei daran erinnert, dass der Rechtsstatus gemeinnützigen Zwecken diente und der Schwerpunkt auf der Bildung lag.
Andererseits habe ich beobachtet, wie langjährige deutsch-chilenische Verbindungen dazu beigetragen haben, einen Weg zu ebnen, der diesen Institutionalisierungsprozess erleichterte, an dem mehrere Beamte und Behörden beteiligt waren, die familiäre oder persönliche Verbindungen zu Deutschland hatten und die eine sehr gute Meinung davon hatten, was eine deutsche Wohlfahrtsgesellschaft in Chile bieten könnte.
Ein drittes vorläufiges Ergebnis ist, dass die Colonia von Anfang an einige Strategien versuchte, um sich den öffentlichen Anschuldigungen zu stellen, was sich in den Ursprüngen des Krankenhauses zeigt. Einerseits gibt es das, was ich die „Strategie der vollendeten Tatsachen“ genannt habe, die im Fall des Krankenhauses dessen Legalisierung ermöglichte, als es bereits seit mehreren Jahren in Betrieb war. Es wäre für die chilenischen Behörden „unmöglich“ gewesen wäre, ein Krankenhaus zu schließen, als das Land in den 1960er Jahren so viele gesundheitliche Bedürfnisse hatte. Dieses Argument kommt sogar in den Reden von Patricio Aylwin im Jahr 1968 zum Ausdruck. Andererseits gibt es die „Strategie der Gefälligkeiten“, die sich im Falle des Krankenhauses in der Unterstützung des nationalen Streiks im Gesundheitssektor im Jahr 1966 durch das Personal des Krankenhauses El Lavadero zeigt. Diese Unterstützung des öffentlichen Gesundheitswesens wurde von den Gesundheitsbehörden schriftlich anerkannt und zur Verteidigung der SBED im Zusammenhang mit den Anschuldigungen nach der Flucht von Wolfgang Müller und Wilhelmine Lindemann im Jahr 1966 sowie im Rahmen der parlamentarischen Untersuchungen und Diskussionen im Jahr 1968 herangezogen.
MDN: Was ist deiner Meinung nach die größte Herausforderung an der Forschung zur Colonia Dignidad?
EHJ: Es gibt eine ethische Herausforderung. Wie der Colonia-Zeitzeuge Horst Schaffrik einmal sagte: Das ist keine Sache der Vergangenheit, das ist keine Geschichte. Und er hat Recht. Es handelt sich nicht um ein Thema der Vergangenheit, das man zur Geschichte machen kann, als ob die Betroffenen nicht noch am Leben wären und unter den Folgen vergangener Handlungen leiden würden, sondern auch um die Untätigkeit oder den mangelnden politischen Willen der Gegenwart, was wir so deutlich im Fall der Angehörigen von verschwundenen Häftlingen sehen, die fast 50 Jahre später immer noch verlangen, zu erfahren, wo sie sind und was mit ihren Angehörigen passiert ist. Oder der sexuell missbrauchten jungen Chilenen, die seit Jahren auf ihre Entschädigung warten. Die ethische Herausforderung hat mit der Behandlung zu tun, die wir dem Fall und den Menschen geben, die oft mit uns kooperieren, zum Beispiel bei Interviews. Wir müssen vermeiden, in die Falle des „akademischen Extraktivismus“ zu tappen, wo wir hingehen, Interviews führen und dann unsere Arbeit veröffentlichen und die Menschen, die wir interviewt haben, nie erfahren, wie wir ihre Geschichten verwendet haben.
Andererseits müssen wir Forschungen entwickeln, die nicht nur zum Fachwissen über dieses Thema beitragen, sondern auch zum öffentlichen Wissen. Das Thema der Kolonie und der Menschenrechtsverletzungen ist ein Thema von aktuellem öffentlichen Interesse und auch für die kommenden Generationen wichtig.
Eine methodische und analytische Herausforderung hat damit zu tun, wie die Quellen interpretiert oder analysiert werden. Es ist notwendig, Formeln zu entwickeln, die es uns erlauben, Quellen zu kontrastieren. Ich glaube, dass alle von uns, die sich dem Chaos der Colonia durch Forschung genähert haben, das Bedürfnis hatten, alles zu erklären (was unmöglich ist), um in einen bestimmten Fokus zu gelangen. Wir brauchen heute eine Forschung, die sich mit so vielen besonderen Dimensionen befasst, an die noch niemand gedacht oder gearbeitet hat, und zwar mit unterschiedlichen wissenschaftlichen und sogar künstlerischen, kreativen Ansätzen.
Es gibt auch eine sprachliche Herausforderung, denn es handelt sich um einen Fall, der zwei Sprachen betrifft, und diejenigen von uns, die sich für diese Themen interessieren, müssen bemerkenswerte Anstrengungen unternehmen, um die andere Sprache zu lernen.
MDN: Warum fasziniert dich das Thema Colonia Dignidad?
EHJ: Es ist ein Thema, das ein langjähriges Engagement erfordert. In meinem Fall habe ich mich ihr in meiner Rolle als Sozialpsychologin und dann als Forscherin in der Geschichte genähert. Ich habe verschiedene Gruppen von Opfern getroffen und der Kontakt mit ihnen hat mich in einer Dimension des menschlichen und beruflichen Engagements berührt. Man kann nicht einfach nach Hause gehen, wenn es so viel zu tun gibt auf dem Gebiet der Forschung, der Begleitung, des Zuhörens, der Gerechtigkeit, des historischen Wissens, der Erinnerung und der Weitergabe an neue Generationen. Ich engagiere mich also für die Arbeit, die in verschiedenen Bereichen getan werden muss, für die menschlichen Beziehungen, die ich aufgebaut habe, und für das Vertrauen, das viele in mich gesetzt haben. Das sind alles sehr starke Gründe, weiterzumachen und zu versuchen, ein Körnchen Sand zu all dem beizutragen.
MDN: Gibt es ein Thema, das deiner Meinung nach, mehr Aufmerksamkeit bekommen sollte?
EH: Es gibt viele Themen, da die wissenschaftliche Forschung sehr aktuell ist. Ich kann also junge (und nicht mehr ganz so junge) Forscher:innen nur ermutigen, sich in ihren verschiedenen Arbeitsbereichen mit diesem Thema zu beschäftigen. Auch Kunstschaffende und Künstler, von denen wir wissen, wie viel sie zur Debatte und zum öffentlichen Wissen beigetragen haben, audiovisuelle Produktionen, Theaterstücke, Romane.
Natürlich ist meine Aufforderung immer, die ethische Dimension der Arbeit zu berücksichtigen. Das sind heikle Themen, die nicht einfach zu Studien- oder Gestaltungsobjekten werden können, wobei wir die Tatsache vernachlässigen, dass unsere Hauptgesprächspartner:innen oder die interessierte Öffentlichkeit genau diejenigen sind, die von der Kolonie betroffen waren.
MDN: Was würdest du Nachwuchswissenschaftle:rinnen raten, die eine Forschungsarbeit zum Thema Colonia Dignidad aufnehmen möchten?
EHJ: Die erste und grundlegendste ist die Sorgfalt und der Respekt im Umgang mit diesem Thema. Vergessen Sie nicht, dass es sich um ein Thema handelt, das nicht nur für Akademiker von Interesse ist, sondern auch für die Menschen, die diese Ereignisse miterlebt haben. Also werden sie die Hauptkritiker:innen sein. Zweitens ist es wichtig, auf sich selbst und die Beziehungen zu den Menschen zu achten, um nicht in „Allianzen“ oder „Heimlichkeiten“ zu verfallen, die die Muster der Vergangenheit verstärken. Während der Forschungsarbeit eine kritische und selbstkritische Haltung im Hinblick auf die getroffenen theoretischen, methodischen und ethischen Entscheidungen bewahren und deren Auswirkungen auf die Ergebnisse abwägen. Betrachten Sie die Multiperspektive als etwas, das für unsere Arbeit förderlich ist und nicht als Hindernis. Und schließlich hilft der Aufbau von Netzwerken, die Zusammenarbeit, der Austausch mit Kolleg:innen immer, diese Reflexivität im Forschungsprozess zu erhalten.
Hier gehts zu einem Zeitzeugen-Bericht über das Krankenhaus der Colonia Dignidad.
Foto von dem bisherigen Museum der Villa Baviera, Bildrechte: MDN
Vorstellung eines Konzepts für eine Gedenkstätte in der ehemaligen Colonia Dignidad durch die vier von den Regierungen Chiles und Deutschlands ernannten unabhängigen Expert:innen
Online Veranstaltung am Donnerstag, den 24. Juni 2021, 18-20 Uhr (Chile: 12-14 Uhr).
Am kommenden Donnerstag findet eine Online-Veranstaltung statt, in der die zuständige Expert:innenkommission das erarbeitete Konzept für eine Gedenkstätte in der ehemaligen Colonia Dignidad vorstellt.
Seit 2014 arbeitet ein interdisziplinäres Team mit den verschiedenen Betroffenengruppen und bringt sie bei Dialogseminaren miteinander ins Gespräch. Dabei geht es insbesondere um die Frage, wie die Vergangenheit am historischen Ort thematisiert werden sollte. 2016 stellte die chilenische Regierung einen Teil der Siedlung unter Denkmalschutz. Im Jahr darauf gründete sich eine Gemischte Kommission aus Vertreter:innen der chilenischen und der deutschen Regierung. Sie beauftragte zwei chilenische und zwei deutsche Expert:innen mit der Entwicklung eines Gedenkstättenkonzepts. Dieses Konzept soll bei der Online-Veranstaltung vorgestellt und diskutiert werden.
mit:
Elke Gryglewski, Politologin, Geschäftsführerin der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten und Leiterin der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Bis 2020 war sie stellvertretende Direktorin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz.
Elizabeth Lira, Psychologin, Dekanin der Fakultät für Psychologie der Universidad Alberto Hurtado in Santiago de Chile. Sie hat an verschiedenen Kommissionen zur Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen der Pinochet-Diktatur mitgewirkt. 2017 wurde sie mit dem chilenischen Preis für Geistes- und Sozialwissenschaften ausgezeichnet.
Diego Matte, Rechtsanwalt, Leiter des Zentrums für Kunst- und Kultur der Universidad de Chile.
Jens-Christian Wagner, Historiker, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und Professor für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit an der Universität Jena.
Moderation: Jenny Pérez, Journalistin.
Die Veranstaltung findet in spanischer Sprache mit Simultanverdolmetschung ins Deutsche über die Plattform Zoom statt. Um Anmeldung wird gebeten an: event@bergen-belsen.de
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Desde 2014 un equipo interdisciplinario trabaja con los diferentes grupos de afectados realizando talleres y seminarios de diálogo. Estas actividades giran en torno a la pregunta cómo debería ser representado el pasado de la Colonia Dignidad en el lugar histórico.
En 2016 el gobierno chileno declaró Monumento Nacional a una parte del predio. Durante el año siguiente se conformó una Comisión Mixta con representantes de los gobiernos de Chile y de Alemania. Esta Comisión nombró a dos expertos/-as chilenos y dos expertos/-as alemanas, encargándoles la elaboración de un concepto para un Sitio de Memoria. Es este concepto que se presentará y se discutirá en esta actividad online.
Conversatorio online con
Elke Gryglewski, politóloga, directora de la Fundación Memoriales de Baja Sajonia y del Sitio de Memoria ex campo de concentración Bergen Belsen. Hasta 2020 fue vicedirectora del Sitio de Memoria Casa de la Conferencia de Wannsee en Berlín.
Elizabeth Lira, psicóloga, es decana de la Escuela de Psicología de la Universidad Alberto Hurtado en Santiago de Chile. Ha trabajado en diversas comisiones relacionadas con las violaciones a los derechos humanos de la dictadura cívico militar chilena. Fue reconocida con el Premio Nacional de Humanidades y Ciencias Sociales de Chile en el año 2017.
Diego Matte, abogado, dirige el Centro de Extensión Artística y Cultural de la Universidad de Chile.
Jens-Christian Wagner, historiador, director de la Fundación Sitios de Memoria Buchenwald y Mittelbau-Dora y catedrático de historia en los medios y en el espacio público en la Universidad de Jena.
Modera: Jenny Pérez, Periodista
La actividad se realizará en la plataforma Zoom en español con traducción simultánea al alemán. Inscripciones a: event@bergen-belsen.de
Die juristische Strafverfolgung von Täter*innen der einstigen Colonia Dignidad bedeutet für den Heilungsprozess vieler Opfer mehr als nur Gerechtigkeit vor dem Gesetz. Sie ist ein Teil rückwirkender Wahrheitsfindung in einer von Lügen geprägten Vergangenheit. Zeitzeuge Peter Rahl hat in der Colonia Dignidad schwere Menschenrechtsverbrechen überlebt. Er fühlt sich inzwischen bereit, auch über die dunkelsten seiner Erfahrungen zu berichten, um die Aufarbeitung voranzubringen. Im folgenden Gesprächsausschnitt gibt er einen Einblick in diese Leidensgeschichte, die in Anbetracht jüngster Entscheidungen deutscher Justizbehörden im Fall Hartmut Hopp nicht aufzuhören scheint. Peter Rahl erzählt auch von einer Entschuldigung, die der einstige Colonia-Arzt ihm bis heute schuldig geblieben ist.
Gespräch mit Zeitzeuge Peter Rahl über die Unfähigkeit „Wahrheit zu erkennen und Versagen anzuerkennen“
Meike Dreckmann-Nielen: Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an Hartmut Hopp denken?
Peter Rahl: Nachdem ich zweieinhalb Jahre im Krankenhaus Villa Baviera in Einzelhaft festgehalten wurde (die Geschehnisse würden ein Buch füllen) kam Hopp im April 1985 in das dortige Isolierzimmer und sagte zu mir: „Wir müssen jetzt mal herausfinden, woran du wirklich leidest und eine Lösung suchen. Deshalb möchte ich dich mitnehmen nach Deutschland, um dort eine medizinische Untersuchung durchzuführen, die hier nicht möglich ist.“ Eine Woche später nahm er mich mit nach Santiago de Chile und ab ging es im Flieger nach Deutschland.
MDN: Wohin genau?
PR: Nach Siegburg, wo die „Private Sociale Mission“ ja noch ein gemietetes Haus hatte. Von dort fuhren wir in die Psychiatrische Klinik Bonn, um am Venusberg mit einem Psychiater namens Professor H. zu sprechen. Mit Elektroden übersätem Kopf kam ich dort zur Untersuchung in die Röhre. Saß danach im Wartezimmer vor dem Sprechzimmer des Professors und hörte das Gespräch zwischen Hartmut Hopp und dem Arzt mit. Hopps Frau war auch dabei. Sie werteten die vielen gefalteten Papierausdrücke der Röhre aus.
MDN: Und was kam dabei heraus?
PR: Schlussendlich sagte der Professor zu Hartmut Hopp: „Für Ihre Vermutungen gibt es keinen Hinweis. Ihr Patient ist vollkommen gesund.“ Und zu der Sekretärin: „Holen sie den Herrn Rahl doch mal herein.“
MDN: Was geschah, als Sie dann in das Zimmer gebeten wurden?
PR: Nachdem er mich begrüßte, sagte er sofort: „Ich kann Ihnen Ihre Angst nehmen. Sie sind gesund. Es liegen keinerlei Schäden oder Beeinträchtigungen vor.“ Da dachte ich mir damals: Meine Angst? Ich wusste doch, dass ich gesund bin. So hatte Hopp das also eingefädelt! „Vielleicht gibt es traumatische Belastungen aus der Kindheit“, sagte der Professor dann noch, „das müsste man in einer anderen Zusammensetzung erkunden. Aber ich kann ihnen versichern, Sie sind gesund.“ Und zu Hopp gewandt, meinte er schließlich: „Dr. Hopp, setzen Sie innerhalb von drei Tagen alle Medikamente ab und ich möchte Herrn Rahl in 14 Tagen noch einmal sehen.“
MDN: Hatte Hopp denn damit erreicht, was er mit diesem Klinikbesuch beabsichtigte?
PR: Das von Schäfer gewünschte Attest über mich, welches allen belegen sollte, dass ich, Peter Rahl, ein Geisteskranker wäre, konnte Hopp zumindest nicht mit nach Chile bringen.
MDN: Ich verstehe noch nicht ganz, was dieser ganze Aufwand bezwecken sollte.
PR: Dazu müssen Sie wissen, dass ich vor meiner Krankenhauseinlieferung Schäfer schriftlich mitgeteilt hatte, dass der sexuelle Übergriff auf mich 3 Tage nach meiner Ankunft aus Deutschland im Oktober 1973 eine Sünde ist – seine Sünde an mir. Und, dass ich eine Erklärung von ihm erwartete.
MDN: Was passierte im Anschluss an diesen Brief an Paul Schäfer?
PR: Daraufhin kam ich ins Krankenhaus und wurde über Jahre mit Elektroschocks und stärksten Medikamenten gequält. Ich lag bis zu 20 Tagen im Koma. Das Krankenhauspersonal, insbesondere Frau Dr. Gisela Seewald, hat mir dies im Nachhinein bestätigt. Mehrere Jahre später, bei einer Dokumentenvernichtungsaktion im Jahr 1999, entdeckte ich im Archiv von Dr. Gerd Seewald einen großen Umschlag mit meinem Namen drauf. Den habe ich weggeschmuggelt. Unter anderem war dort eine Kopie der Unterlagen drin, die Hartmut Hopp damals vor unserem Flug nach Deutschland per Post an den Professor in der Bonner Klinik geschickt hatte.
MDN: Und was stand in der Kopie dieser Unterlagen?
PR: Alleine 11 Seiten „Berichte“ über perverse Auffälligkeiten, sexuelle Gelüste, meine vermeintlich triebhafte Spionage über die Privatsphäre der Ehepaare und so weiter. Alle krankhaften Aktivitäten, die Paul Schäfer selbst und seine Komplizen seit Jahrzehnten lebten, wurden mir damit aufgestempelt. Das war Wahnsinn! Mit Zeugen und Uhrzeiten gelogen und erfunden – ganze 11 Seiten lang. Nie war ich dem Wunsch nach Sterben näher als in der Stunde, in der ich diesen verlogenen Bericht, von Hartmut Hopp unterschrieben, gelesen habe.
MDN: Haben Sie Hartmut Hopp selbst jemals damit konfrontieren können?
PR: Ich nicht, meine Frau Karin hatte das nach unserer Hochzeit in Chile versucht.
MDN: Und auf welche Reaktion ist sie gestoßen?
PR: Die üblichen Ausreden: „Ich musste gehorchen.“, „Ich habe nur den Auftrag ausgeführt.“, „Ich habe vieles nicht gewusst; damals hab ich das Krankenhaus noch nicht geleitet.“ und so weiter.
MDN: Hat er sich irgendwann im privaten Rahmen bei Ihnen entschuldigt?
PR: Nein, nie ein Wort der Entschuldigung. Stattdessen Sprüche wie: „Wer zurückschaut, ist nicht berufen zum Reich Gottes.“, oder „Lasst uns gemeinsam vorwärts gehen.“ Oder auch: „Alles Gewesene ist Vergeben und Vergessen.“ Oder Kurt Schnellenkamps Satz (er hatte mich in der Krankenhaus-Zeit besonders verprügelt und gefoltert): „Egal was ich dir auch alles angetan haben soll, du musst immer wissen, am Ende wollte ich nur dein Bestes!“ Er kam sich bei mir zu entschuldigen, weil er von vielen im Fundo 2003 angesprochen worden ist, ob er sich für seine Verbrechen an mir schon entschuldigt hatte. Und der Satz war das Ergebnis. Diese Menschen sind unfähig Wahrheit zu erkennen und Versagen anzuerkennen.
***Update*** (15. Februar 2021)
Nach der Veröffentlichung dieses Interviews, wandte sich eine ehemalige Mitarbeiterin des Krankenhauses der Colonia Dignidad an Peter Rahl. Sie hatte ihn damals auf der Station in schlechtem Zustand gesehen und anschließend ihrer Kollegin versprechen müssen, dass sie nie darüber sprechen würde. Nun hat sie ihre Erinnerungen doch aufgeschrieben und sie Peter Rahl mit der Bitte um Weiterleitung an diesen Blog geschickt.
Im Folgenden der Kommentar im Wortlaut:
Ich bin Alma Brückmann und teile hier mit, was mir bis heute Schreckliches im Herzen geblieben ist über eine Situation von Peter Rahl, als er noch ein junger Mann war. Damals lebten wir in der Colonia Dignidad in Chile. Ich war als Reinigungsfrau im alten Krankenhaus tätig. Auf der Station lag ein Mann als Patient in Zimmer 11. Dieses Zimmer durfte außer einigen gelernten Krankenschwestern niemand betreten. Einmal wurde ich von der Stationsschwester Ingrid K. beauftragt, vor Zimmer 11 Wache zu stehen, weil sie zu dem „gefährlichen Patienten“ hineingehen wollte. Eine Weile später kam sie heraus und beauftragte mich: „Hole eine Schüssel Wasser, Seife und zwei Handtücher und komm sofort wieder zurück!“ Ich brachte die Sachen. Sie machte die Tür auf und holte mich ins Zimmer, trotz Verbot. Ich war entsetzt. Den jungen Mann kannte ich doch; es war Peter Rahl. Er lag da wie im Koma. Er hatte alle große und kleine Notdurft unter sich gemacht und ich musste helfen, ihn sauber zu machen und umzuziehen. Eigentlich durfte auch ich dieses Zimmer nie betreten, darum verlangte Ingrid K. von mir, dass ich niemals darüber spreche, was ich hier gesehen habe. Später erfuhr ich, das Peter Rahl nicht krank war, sondern – wie wir untereinander sagten –hier „verplommt“ wurde. Auch lange Zeit später, als man ihn schon mal außerhalb des Zimmers sah, benahm er sich wie ein psychisch Kranker, er seiberte dauernd aus dem Mund und lallte vor sich her.
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Weiterführende Links zu dem Thema Colonia Dignidad:
„Zeitzeuge Peter Rahl im Interview über sein Leben nach der Colonia Dignidad“ – hier entlang!
„Jurist Andreas Schüller über den aktuellen Stand im Fall Hartmut Hopp“ – Hier entlang!
“Rechtliche Stellungnahme des ECCHR zum Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf in Sachen Hartmut Hopp/ Colonia Dignidad” – Hier entlang!
“ECCHR-Stellungnahme zu der Rolle von Hartmut W. Hopp innerhalb der Colonia Dignidad” – Hier entlang!
Der Fall Hartmut Hopp ist höchst kompliziert. In Chile wurde der einstige Arzt der Colonia Dignidad im Jahr 2013 wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch verurteilt. Durch seine Ausreise nach Deutschland konnte er sich dieser Haftstrafe entziehen. Seitdem lebt er straffrei in Nordrheinwestfalen. Denn Deutschland liefert eigene Staatsbürger nicht nach Chile aus. Auch von deutschen Justizbehörden wurden inzwischen Verfahren angestrengt. Jüngst bestätigte die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Krefeld, das Ermittlungsverfahren gegen Hartmut Hopp einzustellen. Der Jurist Andreas Schüller, der im Rahmen seiner Zuständigkeit für das European Center for Human and Constitutional Rights (ECCHR) zum Thema Colonia Dignidad arbeitet, hält dies für falsch.
Gespräch mit Andreas Schüller vom ECCHR über juristische Schritte im Fall des Colonia-Arztes Hartmut Hopp
Meike Dreckmann-Nielen: Herr Schüller, seit unserem letzten Interview ist Einiges passiert. Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf hat die Beschwerde der ECCHR-Partneranwältin Petra Schlagenhauf gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den ehemaligen Arzt der Colonia Dignidad zurückgewiesen. Bedeutet dies, dass Hartmut Hopp nach deutschem Rechtsverständnis unschuldig ist?
Andreas Schüller: Ja, denn natürlich gilt hier die Unschuldsvermutung, auch wenn es viele Hinweise darauf gibt, dass Hartmut Hopp zentral in die Straftaten der Colonia Dignidad verwickelt gewesen ist.
MDN: In dem umfangreichen Statement-Papier des ECCHR zu der jüngsten Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf im Falle Hartmut Hopp, heißt es, dass das ECCHR eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Behörde erwägt. Wozu? Was bringt das?
AS: Es gibt im Grunde genommen keine wirksamen Rechtsbehelfe gegen die Entscheidungen der Staatsanwaltschaften. Unsere Kooperationsanwältin Petra Schlagenhauf hat einen Antrag auf Ermittlungserzwingung an das Oberlandesgericht Düsseldorf gestellt. Dieses Verfahren hat jedoch hohe formale Voraussetzungen und ist in den allermeisten Fällen erfolglos. Es verstößt nach unserer Auffassung gegen die EU-Richtlinie zum Opferschutz von Straftaten, wonach Opfer die Möglichkeit haben sollen, staatsanwaltschaftliche Entscheidungen ohne hohe Hürden gerichtlich überprüfen zu lassen. Unsere Dienst- und Fachaufsichtsbeschwerde an das Justizministerium in NRW dient dazu, dass das Ministerium seine Fachaufsicht über die Staatsanwaltschaften des Landes ausübt. Wir kritisieren seit Langem, dass der Ermittlungsfokus im Tatkomplex „Colonia Dignidad“ viel zu eng ist. Es fehlt an Priorisierung dieses Tatkomplexes, an notwendigen Ressourcen und dem politischen Willen, die Taten aufzuarbeiten. So kann man einem Fall von jahrzehntelanger systemischer Kriminalität nicht gerecht werden.
Rechtsanwältin Petra Schlagenhauf, Copyright: Petra Schlagenhauf
MDN: Im Statement-Papier des ECCHR sind einige Aspekte genannt, mit denen Sie im Hinblick auf die Arbeit der nordrheinwestfälischen Justizbehörden nicht einverstanden sind. Ich habe die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen des ECCHR gebeten. Gerne würde ich die Auskunft mit Ihnen teilen und Sie schließlich um eine Einordnung der Position der Generalstaatsanwaltschaft aus Ihrem Blickwinkel bitten. In Ordnung?
AS: Ja, gerne.
MDN: Also, ich habe die Generalstaatsanwaltschaft gefragt, ob es zutrifft, dass potenzielle Zeug*innen der Hartmut Hopp zu Last gelegten Verbrechen nicht gehört wurden, obwohl seitens des ECCHR und Petra Schlagenhauf mehrfach über die Aussagebereitschaft informiert wurde.
AS: Ja, so hatten wir es in unserem Statement formuliert.
MDN: Genau. Darauf erhielt ich die Rückmeldung, dass „sämtliche erfolgversprechenden Ermittlungshandlungen vorgenommen worden“ seien. Zu der Befragung der von Ihnen benannten Zeug*innen heißt es: „Soweit einzelne – benannte – Zeugen nicht oder nicht wiederholt vernommen worden sind, beruht dies auf der Wertung, dass keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich sind, dass diese Vernehmungen den Nachweis strafbaren Verhaltens des vormals Beschuldigten ermöglichen könnten.“ Das klingt wie das Gegenteil von dem, was Sie im Statement-Papier formuliert haben. Wie passt das zusammen?
AS: Es geht um die Wahrnehmung dessen, was in der Colonia Dignidad passiert ist. Die Staatsanwaltschaften haben einen sehr eingeschränkten Blick auf den einen Fall und sehen den Kontext nicht, in dem die Verbrechen stattgefunden haben. Es ist aber wichtig, dies zunächst zu ermitteln, um sich dann mit den neuen Erkenntnissen wieder dem spezifischen Fall zuzuwenden. Wir werfen Hopp ja vor, als Teil des „Systems Colonia Dignidad“ und der Führungsriege, eine Verantwortung zu tragen und nur zum Teil als direkter Täter. Diese individuelle Verantwortung in einem Organisationsgefüge, aus dem heraus schwere Straftaten begangen werden, bedarf aufwendiger Ermittlungen. Die von uns benannten Zeug*innen und Expert*innen hätten dazu wertvolle Hinweise liefern können.
MDN: Als nächstes habe ich gefragt, ob es stimmt, dass die Ermittlungen sich nur auf wenige Täter*innen und Tatzeiten beschränkten, obwohl die Colonia Dignidad jahrzehntelang Ort einer Vielzahl schwerer Menschenrechtsverbrechen war. Seitens der Generalstaatsanwaltschaft heißt es: „Nach dem Ergebnis der umfassenden Ermittlungen bestand auch kein Anlass, Ermittlungen gegen andere Personen einzuleiten. Insoweit ergab sich nicht der hierfür erforderliche Anfangsverdacht (§§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1StPO) konkreter verfolgbarer strafbarer Handlungen.“ Wie ist das aus Ihrer Sicht zu verstehen?
AS: Die Staatsanwaltschaft Krefeld hat es in ihren Ermittlungen versäumt, den Tatkomplex „Colonia Dignidad“ den systematischen und über Jahrzehnte andauernden Verbrechen angemessen und umfassend zu ermitteln. Die Strukturen, Hierarchien, Befehlsketten und Systematik der Verbrechensbegehung und – verschleierung erfordern ähnlich wie in Bereichen der organisierten Kriminalität oder anderen Formen der Makrokriminalität, entsprechende Priorisierung, Ressourcen und spezifisches Wissen. Die Staatsanwaltschaft Krefeld, noch die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf, haben den Verbrechenskomplex Colonia Dignidad hinreichend erfasst und als solchen behandelt. Unsere Strafanzeige 2011 richtete sich allein gegen Hopp mit der Aufforderung, etwa dem Tatkomplex des Verschwindenlassens in Zusammenarbeit mit der DINA auf dem Gelände der Colonia Dignidad insgesamt nachzugehen, und nicht nur, wie geschehen, in drei Einzelfällen, um die Dimension sowie die Verantwortung der Colonia-Führungsriege zu erfassen. Dass Hopp der Mittelsmann der Colonia zur DINA gewesen ist, können mehrere Zeugen bestätigen.
Colonia-Arzt Hartmut Hopp (rechts) mit Diktator Augusto Pinochet (links), Quelle: Diario El Centro, Talca, vom 10.04.2001.; ECCHR
MDN: Das ECCHR hatte im Statement-Papier außerdem gefragt, warum weder Landes- noch Bundeskriminalamt in die Ermittlungen einbezogen wurde. Die Generalstaatsanwaltschaft hält diese „Aufgabenübertragung/-übernahme durch eine andere als die beteiligte Polizeibehörde“ nicht für notwendig. Warum sieht das ECCHR dies anders und warum sollte Ihrer Meinung nach das Landes- oder Kriminalamt eingeschaltet werden?
AS: Wir fordern, dass der Komplex „Schwere Straftaten in der Colonia Dignidad“ insgesamt hinsichtlich der noch nicht verjährten Delikte umfassend und erschöpfend ermittelt wird und die dafür notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Bei der Colonia Dignidad handelte es sich um eine verbrecherische Organisation, in der systematisch Straftaten begangen wurden. Diese richteten sich zum einen intern gegen die Bewohner*innen, um diese in dem kriminellen System gefügig zu machen und unter strikter Kontrolle zu halten. Zum anderen wurden in der Zusammenarbeit als zentraler Stelle im Süden Chiles mit der Militärdiktatur Augusto Pinochets und der Geheimpolizei DINA schwerste Straftaten und Menschenrechtsverletzungen verübt, wie Folter, Verschwindenlassen und Ermordungen von Oppositionellen. Die Ermittlungen müssen sich auf das System Colonia Dignidad, Funktionsweisen und Entscheidungswege, fokussieren sowie auf die Führungsspitze in den relevanten Tatzeiträumen (hinsichtlich der Militärdiktatur vor allem 1973 bis ca. 1976). Die Täter*innen waren allesamt deutsche Staatsangehörige, einige haben sich durch Flucht nach Deutschland, vor allem nach Nordrhein-Westfalen, chilenischen Strafverfahren entzogen. In anderen Fällen, in denen deutsche Staatsanwaltschaften zu Diktaturverbrechen in Lateinamerika ermitteln, ist das Bundeskriminalamt eingeschaltet, das durch die Zentralstelle für Kriegsverbrechen über eine besondere Expertise in diesem Bereich verfügt. Es wäre angezeigt gewesen, diese Expertise für Ermittlungen zum Gesamtkomplex Colonia Dignidad anzufordern und einzubeziehen.
MDN: Und wie geht es jetzt weiter?
AS: Wir warten auf die Ergebnisse der Fach- und Dienstaufsichtsbeschwerde sowie den Antrag auf Ermittlungserzwingung beim OLG Düsseldorf. Dann sehen wir weiter.
MDN: Danke für den Einblick in die komplexen juristischen Prozesse.
AS: Sehr gerne.
Weiterführende Links zu dem Thema Colonia Dignidad vom ECCHR (Auswahl):
“Rechtliche Stellungnahme des ECCHR zum Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf in Sachen Hartmut Hopp/ Colonia Dignidad” – Hier entlang!
“ECCHR-Stellungnahme zu der Rolle von Hartmut W. Hopp innerhalb der Colonia Dignidad” – Hier entlang!
Zur Broschüre „Colonia Dignidad – deutsches Mustergut in Chile – ein Folterlager der DINA“
Im März 1977 publizierte die bundesdeutsche Sektion von Amnesty International (ai) eine Broschüre mit dem Titel „Colonia Dignidad – deutsches Mustergut in Chile – ein Folterlager der DINA*“. Zeitgleich veröffentlichte die Zeitschrift der STERN einen Artikel über die Colonia Dignidad. Die Autoren der Amnesty-Broschüre waren Jürgen Karwelat und die Chile-Koordinationsgruppe von Amnesty International (deutsche Sektion), darunter Dieter Maier. In dieser Schrift wurden zum ersten Mal die Folterberichte der chilenischen politischen Gefangenen Erick Zott, Luis Peebles und Adriana Bórquez wiedergegeben. Die Publikation schlug entsprechend große Wellen und ist für die Geschichte der Colonia Dignidad von großer Bedeutung. Im folgenden Interview berichtet Dieter Maier von den Umständen dieser Veröffentlichung und gibt einen Einblick in seine persönlichen Erfahrungen zu der Zeit. Weil die Broschüre heute nicht mehr zu erwerben ist, hat Dieter Maier außerdem eine Kopie zum Download bereitgestellt.
Meike Dreckmann-Nielen: Wie kam es zu der Publikation der berühmten Amnesty-Broschüre?
Dieter Maier: Amnesty International hatte über einen Exilchilenen von der Foltersiedlung erfahren, die der Organisation bis dahin unbekannt war. Die ai-Gruppe lud Zott und Peebles getrennt ein, nahm ihre Aussagen auf, und lud sie dann gemeinsam ein. Parallel recherchierte Jürgen Karwelat zur Entstehung der Sekte in Chile.
MDN: Was geschah dann?
DM: Das Presseecho auf die ai-Publikation war unerwartet groß. Die Sekte brauchte sechs Wochen, ehe sie darauf reagierte. Offenbar gingen Colonia Dignidad und Diktatur davon aus, dass ai noch mehr wusste, und sondierten erst einmal die Lage. Die Pinochet-Diktatur nahm ai als Teil einer Chile-Solidaritätsbewegung wahr, die damals in vielen Ländern Einfluss auf die staatliche Politik hatte. Die von einem Geheimdienstler Jahrzehnte später in einem Gespräch mit Carlos Liberona kolportierte Version, ai sei eine Art Regierung gewesen, war aber schon damals, als ai auf dem Höhepunkt seines Ansehens stand, falsch. Die Menschenrechtsorganisation hatte ihre spezifischen Schwachpunkte. Ihr internationales Sekretariat in London, das aus Unachtsamkeit den Entwurf der Broschüre nicht gelesen hatte, war von Anfang an strikt gegen die Initiative der deutschen Sektion, von der sie aus der Presse erfuhr.
MDN: Was bedeutete das dann?
DM: DINA-Chef Manuel Contreras, der überall seine Spitzel hatte, wusste das. Er kannte auch bald die tatsächlichen Kräfteverhältnisse: „Mitarbeiter der Regierung Pinochets in Frankfurt informierten uns, dass es eine Gruppe von nicht mehr als drei Personen ist, die die Kampagne begann, und dass sie mit einer wenig bedeutsamen Unterstützung der SPD rechnen“ (Heller 1993 S. 156). Zwar ist die Angabe von drei Personen untertrieben, aber die Wirkung der Broschüre lag nicht in ihrer politischen Rückendeckung, sondern darin, dass sie unbeabsichtigt das geheimste aller geheimen Folterlager der DINA aufgedeckt und eine Verbindung zwischen der Pinochet-Diktatur und Deutschland nachgewiesen hatte.
DM: Nach hektischen Sondierungen in Santiago ging die Colonia Dignidad presserechtlich gegen ai vor. Wegen der kurzen Verjährungsfristen des Presserechts drängte die Zeit. Der für Staatsschutz zuständige Frankfurter Staatsanwalt Klein konstruierte eine Unterbrechungshandlung. Er wollte dazu das Frankfurter ai-Büro durchsuchen lassen, das aber zu diesem Zeitpunkt nicht besetzt war. Er vernahm mich und begründete in dieser Vernehmung seine Zuständigkeit damit, die ai-Broschüre habe die BRD angegriffen. Es ging dabei um einen knappen Satz zum Deutschlandbezug der Colonia Dignidad. Die „Private Sociale Mission“ erkundigte sich zu ai über den Waffenhändler Gerhard Mertins und den Frankfurter Rechtsanwalt und unentwegten Nazi-Verteidiger Dr. Steinacker zu Klein.
MDN: Wie ging es dann weiter?
DM: Die deutsche Colonia-Niederlassung „Private Sociale Mission“ erwirkte schließlich eine einstweilige Verfügung gegen ai und klagte im Hauptsacheverfahren vor dem Landgericht Bonn stellvertretend für die Colonia Dignidad gegen ai wegen Verleumdung. Hans Jürgen Blanck, studierter Jurist und Colonia Dignidad-Mitglied, übernahm die Prozessführung. Obwohl Steinacker auf ihn einen „korrekten, rechtsdenkenden Eindruck“ machte, überließ er dem unverdächtigen CDU-Rechtsanwalt Felix Busse die Rechtsvertretung. Dem waren die Barzahlungen aus dem Aktenkoffer und die Ausflüchte der Colonia-Leute nicht geheuer und er legte sein Mandat nieder. Die Colonia sagte über ihn, ihm habe „Flexibilität gefehlt“; er war also nicht bereit, die Lügen des Folterlagers mitzutragen.
MDN: Und wer hat den Prozess schließlich gewonnen?
DM: Amnesty International gewann den Bonner Prozess nach 20 Jahren, blieb aber auf den Kosten sitzen, denn die Klägerin Private Sociale Mission gab es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Da die Klägerin weggefallen war, konnten die Bonner Richter den Prozess ohne inhaltliche Bewertung der Zeugenvernehmungen und Protokolle von Ortsterminen beenden. Ein inhaltlich begründetes Urteil zu einem früheren Zeitpunkt hätte Rückwirkungen auf die Verfahren in Chile gehabt und womöglich Schäfers Herrschaft verkürzt. Die lange Prozessdauer wurde mehrfach von deutschen Behörden und Politikern als willkommenes Argument benutzt, sich nicht in ein „schwebendes Verfahren“ einmischen zu können. In einer Akte des Auswärtigen Amtes (AA) heißt es, das AA solle „weiterhin Zurückhaltung üben“ und sich „jedweder Stellungnahme zu den Vorwürfen strikt enthalten“. Eine handschriftliche Notiz am Schluss dieses Textes lautet: „Wir haben ein objektives Interesse an der Aufklärung der Vorwürfe, können diese Aufklärung aber keinesfalls selbst vornehmen. Wir sollten uns auch nicht in die Auseinandersetzung zwischen der Colonia Dignidad einerseits und Amnesty International andererseits hineinziehen lassen.“ Die Unterschrift „Ge“ stammt offenbar vom damaligen Staatssekretär Dr. Gehloff. Die Lesart von der gebotenen Zurückhaltung bestand für viele Jahre fort.
MDN: Wie würdest du die Bedeutung der Broschüre resümieren?
DM: Die Broschüre „Colonia Dignidad – deutsches Mustergut in Chile – ein Folterlager der DINA“ enthält nur einen Bruchteil dessen, was heute über die Siedlung bekannt ist. Immerhin dokumentiert sie fehlerlos zwei zentrale Punkte: Die Misshandlungen an Chilen*innen und Deutschen. Mit ihr begann die Auseinandersetzung mit diesem Thema, die bis heute nicht abgeschlossen ist. Die Broschüre beweist, dass gut recherchierte Dokumentionen die Sache der Menschenrechte nutzen können. Das Leiden vieler deutscher Sektenmitglieder und der (zwangs)adoptierten und sexuell missbrauchten Chilenen konnte ai nicht lindern. Spätestens aber seit 1977 konnte niemand mehr sagen, sie oder er habe von nichts gewusst.
*Die DINA war Pinochets 1974 gegründeter Geheimdienst
Literatur:
Friedrich Paul Heller(=Dieter Maier), Colonia Dignidad. Von der Psychosekte zum Folterlager, Schmetterlingverlag, Stuttgart, 1993, (2. Auflage) 2016.
Dieter Maier, Colonia Dignidad. Auf den Spuren eines deutschen Verbrechens in Chile, Stuttgart, Schmetterlingverlag (2. aktualisierte Aufl.) 2017.
Foto von dem bisherigen Museum der Villa Baviera, Bildrechte: MDN
Kommentar zur Veröffentlichung des Zeitzeugenberichts von Friedhelm Bensch auf diesem Blog
ein Gastbeitrag von Dieter Maier
Täter*in oder Opfer?
Viele Ich-Berichte ehemaliger Bewohner*innen der Colonia Dignidad enthalten bezeichnende Lücken. Sie verweisen auf das kaum zu lösende Problem, wer Opfer und wer Täter*in war. Schäfer hatte dafür gesorgt, dass nahezu jede*r schlug und jede*r geschlagen wurde. Ehemalige Bewohner*innen, die ausschließlich Opfer waren, gab es kaum. Ein früherer Bewohner, der wie kaum ein Anderer zum Opfer der Colonia Dignidad geworden war, ist sich heute sicher, dass die „Colonos“ nicht nur Opfer sondern auch Täter*innen waren. Er selbst, und nicht nur er, bezeichnet sich als beides. Es gab in Schäfers System kaum eine Alternative. Bisher wurden nur wenige Geschichten gesammelt, in denen einstige Colonia-Mitglieder von Momenten des Widerstands berichten, in denen sie sich der Willkür Paul Schäfers widersetzen konnten.
Auch von Zeitzeug*innen verfasste Texte auf diesem Blog enthalten dieses Täter-Opfer-Syndrom. Edeltraud Bohnau berichtet beispielsweise, wie ihr Mann Willi Malessa auf Befehl Schäfers Leichen von ermordeten chilenischen politischen Gefangenen ausgrub. Machte ihn das zum Mittäter? Friedhelm Bensch schreibt in seinem Bericht: „Diese Prügelstrafen konnten jeden treffen. Das nächste Mal wurde Manfred verschlagen… ich war auch bei denen, die zuschlugen. Erst als ich erwachsen, reifer wurde, stellte ich mich nicht mehr in die Reihe der Schläger. Ich fühlte mich bei solchen Auseinandersetzungen so, als würde ich die Strafe selber erleiden.“ Was Bensch schildert, weist ihn ohne Frage als Opfer aus, aber in einer Publikation, die Abgeordneten des Deutschen Bundestags übergeben wurde, wird Bensch ohne weitere Angabe von Gründen als einer der Täter genannt, „die unser Leben zerstörten und unheilbare Wunden in unserer Seele hinterließen“ (Die Opfer fordern Gerechtigkeit (ohne Autor), 3. Aufl. Lindenberg (Druckort) 2017).
Die früheren Bewohner*innen sehen sich heute fast alle als Opfer. Täter waren Schäfer, der schon tot war, und einige wenige enge Gefolgsleute. Dieser Blog möchte dazu beitragen, den dauernden Opfer-Diskurs zu durchbrechen, um differenzierter auf das System der Colonia Dignidad zu blicken. Denn jenes System beruhte auf ebendieser Beteiligung seiner Mitglieder an den Verbrechen. Fast in jedem Fall gibt es einen Opfer- und einen Täteranteil, und es wäre in einer gemeinsamen interdisziplinären Diskussion zu klären, wie und wozu diese zu gewichten wären.
Rückmeldungen zum Bericht von Friedhelm Bensch
Ich habe mich umgehört, um einen Eindruck zu gewinnen, wie der zuletzt auf diesem Blog veröffentlichte Text von Friedhelm Bensch im historischen Bezugsrahmen der Colonia Dignidad zu verstehen sein könnte. Bisher stehen leider erst wenige Zeitzeugenberichte zur öffentlichen Verfügung, um etwas über die Geschichte der Colonia Dignidad zu erfahren. Um in Zukunft einen angemessenen multiperspektivischen Blick auf einzelne Berichte zu ermöglichen, macht das Oral History Projekt der Freien Universität Berlin Hoffnung.
Erste Kommentare zu Benschs Text waren etwa:
Friedhelm Bensch hat Schäfer früh durchschaut. Er wurde deshalb von Schäfer auch immer schlecht angesehen.
Eine frühe Bewohnerin der Colonia Dignidad schrieb:
Jeder hat sich auf seine Weise und mit seinen Mitteln durchgekämpft.
Andere Personen wünschen sich, dass die Äußerungen einzelner ehemaliger Colonia-Bewohner*innen weitere zum Aufschreiben ihrer Erinnerungen motivieren kann. So schrieb mir einer:
Halte es für äußerst wichtig, diesen Link überall hin zu verteilen, besonders an ehemalige Colonos, damit auch seine Niederschrift als Beispiel wirkt und sich andere motivieren lassen gleiches zu tun.
Das Kontrollsystem „Bimmel und Bammel“
Ein Blick auf das perfide System der „Bimmel und Bammel“ innerhalb der Colonia Dignidad eignet sich, um den schmalen Grat des Opfer- und Täterseins zu verdeutlichen. Deshalb möchte ich abschließend noch einmal darauf eingehen. Die kleinen Jungen wurden durch ein System mit dem unscheinbaren Namen „Bimmel und Bammel“ in die Hierarchie der Colonia Dignidad eingebunden. Die Bammel waren ältere Jugendliche oder junge Männer, die den ganzen Tag die jüngeren Bimmel überwachten. Schäfer organisierte sein „Teile-und-Herrsche“, indem er jeweils einen Bammel einem Bimmel zuwies.
Einen Bammel zu haben, war eine Erziehungs- und Strafmaßnahme. Die Bammel durften die Bimmel schlagen, erniedrigen und beschuldigen. Bimmel und Bammel mussten Distanz halten. Wenn sich ein Bimmel dem anderen näher als einen Meter näherte oder sich mehr als zwei Meter entfernte, gab es sofort Schläge. Der Bammel wiederum war an den Bimmel gebunden, denn er durfte sich nur wenige Meter von ihm entfernen. Die Bimmel durften nicht miteinander sprechen, spielen oder gar sich berühren. Es war ein unerträglicher Dauerkonflikt zwischen Nähe und Distanz, der sich regelmäßig in Aggressionen der Bammel gegen die durch unsichtbare Ketten an sie gebundenen Bimmel entlud. Die Bammel gaben die Gewalt weiter, die sie selbst zuvor erlitten hatten. Für Schäfer lag der praktische Sinn dieses Systems darin, dass er tagsüber die Jungen, denen er sexualisierte Gewalt antat, von den anderen isolieren konnte. Sie konnten mit niemanden über ihre sexualisierte Gewalterfahrungen sprechen.
[Hinweis: Der CDPHB macht sich die Beiträge seiner Gastautor*innen nicht zu eigen.]