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Jurist Andreas Schüller über den aktuellen Stand im Fall Hartmut Hopp

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Jurist Andreas Schüller über den aktuellen Stand im Fall Hartmut Hopp

Der Fall Hartmut Hopp ist höchst kompliziert. In Chile wurde der einstige Arzt der Colonia Dignidad im Jahr 2013 wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch verurteilt. Durch seine Ausreise nach Deutschland konnte er sich dieser Haftstrafe entziehen. Seitdem lebt er straffrei in Nordrheinwestfalen. Denn Deutschland liefert eigene Staatsbürger nicht nach Chile aus. Auch von deutschen Justizbehörden wurden inzwischen Verfahren angestrengt. Jüngst bestätigte die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Krefeld, das Ermittlungsverfahren gegen Hartmut Hopp einzustellen. Der Jurist Andreas Schüller, der im Rahmen seiner Zuständigkeit für das European Center for Human and Constitutional Rights (ECCHR) zum Thema Colonia Dignidad arbeitet, hält dies für falsch.

Gespräch mit Andreas Schüller vom ECCHR über juristische Schritte im Fall des Colonia-Arztes Hartmut Hopp

Meike Dreckmann-Nielen: Herr Schüller, seit unserem letzten Interview ist Einiges passiert. Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf hat die Beschwerde der ECCHR-Partneranwältin Petra Schlagenhauf gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den ehemaligen Arzt der Colonia Dignidad zurückgewiesen. Bedeutet dies, dass Hartmut Hopp nach deutschem Rechtsverständnis unschuldig ist?

Andreas Schüller: Ja, denn natürlich gilt hier die Unschuldsvermutung, auch wenn es viele Hinweise darauf gibt, dass Hartmut Hopp zentral in die Straftaten der Colonia Dignidad verwickelt gewesen ist.

MDN: In dem umfangreichen Statement-Papier des ECCHR zu der jüngsten Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf im Falle Hartmut Hopp, heißt es, dass das ECCHR eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Behörde erwägt. Wozu? Was bringt das?

AS: Es gibt im Grunde genommen keine wirksamen Rechtsbehelfe gegen die Entscheidungen der Staatsanwaltschaften. Unsere Kooperationsanwältin Petra Schlagenhauf hat einen Antrag auf Ermittlungserzwingung an das Oberlandesgericht Düsseldorf gestellt. Dieses Verfahren hat jedoch hohe formale Voraussetzungen und ist in den allermeisten Fällen erfolglos. Es verstößt nach unserer Auffassung gegen die EU-Richtlinie zum Opferschutz von Straftaten, wonach Opfer die Möglichkeit haben sollen, staatsanwaltschaftliche Entscheidungen ohne hohe Hürden gerichtlich überprüfen zu lassen. Unsere Dienst- und Fachaufsichtsbeschwerde an das Justizministerium in NRW dient dazu, dass das Ministerium seine Fachaufsicht über die Staatsanwaltschaften des Landes ausübt. Wir kritisieren seit Langem, dass der Ermittlungsfokus im Tatkomplex “Colonia Dignidad” viel zu eng ist. Es fehlt an Priorisierung dieses Tatkomplexes, an notwendigen Ressourcen und dem politischen Willen, die Taten aufzuarbeiten. So kann man einem Fall von jahrzehntelanger systemischer Kriminalität nicht gerecht werden.

Rechtsanwältin Petra Schlagenhauf, Copyright: Petra Schlagenhauf

MDN: Im Statement-Papier des ECCHR sind einige Aspekte genannt, mit denen Sie im Hinblick auf die Arbeit der nordrheinwestfälischen Justizbehörden nicht einverstanden sind. Ich habe die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen des ECCHR gebeten. Gerne würde ich die Auskunft mit Ihnen teilen und Sie schließlich um eine Einordnung der Position der Generalstaatsanwaltschaft aus Ihrem Blickwinkel bitten. In Ordnung?

AS: Ja, gerne.

MDN: Also, ich habe die Generalstaatsanwaltschaft gefragt, ob es zutrifft, dass potenzielle Zeug*innen der Hartmut Hopp zu Last gelegten Verbrechen nicht gehört wurden, obwohl seitens des ECCHR und Petra Schlagenhauf mehrfach über die Aussagebereitschaft informiert wurde.

AS: Ja, so hatten wir es in unserem Statement formuliert.

MDN: Genau. Darauf erhielt ich die Rückmeldung, dass “sämtliche erfolgversprechenden Ermittlungshandlungen vorgenommen worden” seien. Zu der Befragung der von Ihnen benannten Zeug*innen heißt es: “Soweit einzelne – benannte – Zeugen nicht oder nicht wiederholt vernommen worden sind, beruht dies auf der Wertung, dass keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich sind, dass diese Vernehmungen den Nachweis strafbaren Verhaltens des vormals Beschuldigten ermöglichen könnten.“ Das klingt wie das Gegenteil von dem, was Sie im Statement-Papier formuliert haben. Wie passt das zusammen?

AS: Es geht um die Wahrnehmung dessen, was in der Colonia Dignidad passiert ist. Die Staatsanwaltschaften haben einen sehr eingeschränkten Blick auf den einen Fall und sehen den Kontext nicht, in dem die Verbrechen stattgefunden haben. Es ist aber wichtig, dies zunächst zu ermitteln, um sich dann mit den neuen Erkenntnissen wieder dem spezifischen Fall zuzuwenden. Wir werfen Hopp ja vor, als Teil des “Systems Colonia Dignidad” und der Führungsriege, eine Verantwortung zu tragen und nur zum Teil als direkter Täter. Diese individuelle Verantwortung in einem Organisationsgefüge, aus dem heraus schwere Straftaten begangen werden, bedarf aufwendiger Ermittlungen. Die von uns benannten Zeug*innen und Expert*innen hätten dazu wertvolle Hinweise liefern können.

MDN: Als nächstes habe ich gefragt, ob es stimmt, dass die Ermittlungen sich nur auf wenige Täter*innen und Tatzeiten beschränkten, obwohl die Colonia Dignidad jahrzehntelang Ort einer Vielzahl schwerer Menschenrechtsverbrechen war. Seitens der Generalstaatsanwaltschaft heißt es: „Nach dem Ergebnis der umfassenden Ermittlungen bestand auch kein Anlass, Ermittlungen gegen andere Personen einzuleiten. Insoweit ergab sich nicht der hierfür erforderliche Anfangsverdacht (§§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1StPO) konkreter verfolgbarer strafbarer Handlungen.“ Wie ist das aus Ihrer Sicht zu verstehen?

AS: Die Staatsanwaltschaft Krefeld hat es in ihren Ermittlungen versäumt, den Tatkomplex “Colonia Dignidad” den systematischen und über Jahrzehnte andauernden Verbrechen angemessen und umfassend zu ermitteln. Die Strukturen, Hierarchien, Befehlsketten und Systematik der Verbrechensbegehung und – verschleierung erfordern ähnlich wie in Bereichen der organisierten Kriminalität oder anderen Formen der Makrokriminalität, entsprechende Priorisierung, Ressourcen und spezifisches Wissen. Die Staatsanwaltschaft Krefeld, noch die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf, haben den Verbrechenskomplex Colonia Dignidad hinreichend erfasst und als solchen behandelt. Unsere Strafanzeige 2011 richtete sich allein gegen Hopp mit der Aufforderung, etwa dem Tatkomplex des Verschwindenlassens in Zusammenarbeit mit der DINA auf dem Gelände der Colonia Dignidad insgesamt nachzugehen, und nicht nur, wie geschehen, in drei Einzelfällen, um die Dimension sowie die Verantwortung der Colonia-Führungsriege zu erfassen. Dass Hopp der Mittelsmann der Colonia zur DINA gewesen ist, können mehrere Zeugen bestätigen.

Colonia-Arzt Hartmut Hopp (rechts) mit Diktator Augusto Pinochet (links), Quelle: Diario El Centro, Talca, vom 10.04.2001.; ECCHR

MDN: Das ECCHR hatte im Statement-Papier außerdem gefragt, warum weder Landes- noch Bundeskriminalamt in die Ermittlungen einbezogen wurde. Die Generalstaatsanwaltschaft hält diese „Aufgabenübertragung/-übernahme durch eine andere als die beteiligte Polizeibehörde” nicht für notwendig. Warum sieht das ECCHR dies anders und warum sollte Ihrer Meinung nach das Landes- oder Kriminalamt eingeschaltet werden?

AS: Wir fordern, dass der Komplex “Schwere Straftaten in der Colonia Dignidad” insgesamt hinsichtlich der noch nicht verjährten Delikte umfassend und erschöpfend ermittelt wird und die dafür notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Bei der Colonia Dignidad handelte es sich um eine verbrecherische Organisation, in der systematisch Straftaten begangen wurden. Diese richteten sich zum einen intern gegen die Bewohner*innen, um diese in dem kriminellen System gefügig zu machen und unter strikter Kontrolle zu halten. Zum anderen wurden in der Zusammenarbeit als zentraler Stelle im Süden Chiles mit der Militärdiktatur Augusto Pinochets und der Geheimpolizei DINA schwerste Straftaten und Menschenrechtsverletzungen verübt, wie Folter, Verschwindenlassen und Ermordungen von Oppositionellen. Die Ermittlungen müssen sich auf das System Colonia Dignidad, Funktionsweisen und Entscheidungswege, fokussieren sowie auf die Führungsspitze in den relevanten Tatzeiträumen (hinsichtlich der Militärdiktatur vor allem 1973 bis ca. 1976). Die Täter*innen waren allesamt deutsche Staatsangehörige, einige haben sich durch Flucht nach Deutschland, vor allem nach Nordrhein-Westfalen, chilenischen Strafverfahren entzogen. In anderen Fällen, in denen deutsche Staatsanwaltschaften zu Diktaturverbrechen in Lateinamerika ermitteln, ist das Bundeskriminalamt eingeschaltet, das durch die Zentralstelle für Kriegsverbrechen über eine besondere Expertise in diesem Bereich verfügt. Es wäre angezeigt gewesen, diese Expertise für Ermittlungen zum Gesamtkomplex Colonia Dignidad anzufordern und einzubeziehen.

MDN: Und wie geht es jetzt weiter?

AS: Wir warten auf die Ergebnisse der Fach- und Dienstaufsichtsbeschwerde sowie den Antrag auf Ermittlungserzwingung beim OLG Düsseldorf. Dann sehen wir weiter.

MDN: Danke für den Einblick in die komplexen juristischen Prozesse.

AS: Sehr gerne.

 


Weiterführende Links zu dem Thema Colonia Dignidad vom ECCHR (Auswahl):

  • “Rechtliche Stellungnahme des ECCHR zum Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf in Sachen Hartmut Hopp/ Colonia Dignidad” – Hier entlang!
  • “ECCHR-Stellungnahme zu der Rolle von Hartmut W. Hopp innerhalb der Colonia Dignidad” – Hier entlang!