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Veranstaltung: Vorstellung Gedenkstätten-Konzept für die Colonia Dignidad

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Veranstaltung: Vorstellung Gedenkstätten-Konzept für die Colonia Dignidad

Foto von dem bisherigen Museum der Villa Baviera, Bildrechte: MDN

Vorstellung eines Konzepts für eine Gedenkstätte in der ehemaligen Colonia Dignidad durch die vier von den Regierungen Chiles und Deutschlands ernannten unabhängigen Expert:innen

Online Veranstaltung am Donnerstag, den 24. Juni 2021, 18-20 Uhr (Chile: 12-14 Uhr).

Am kommenden Donnerstag findet eine Online-Veranstaltung statt, in der die zuständige Expert:innenkommission das erarbeitete Konzept für eine Gedenkstätte in der ehemaligen Colonia Dignidad vorstellt.

Seit 2014 arbeitet ein interdisziplinäres Team mit den verschiedenen Betroffenengruppen und bringt sie bei Dialogseminaren miteinander ins Gespräch. Dabei geht es insbesondere um die Frage, wie die Vergangenheit am historischen Ort thematisiert werden sollte. 2016 stellte die chilenische Regierung einen Teil der Siedlung unter Denkmalschutz. Im Jahr darauf gründete sich eine Gemischte Kommission aus Vertreter:innen der chilenischen und der deutschen Regierung. Sie beauftragte zwei chilenische und zwei deutsche Expert:innen mit der Entwicklung eines Gedenkstättenkonzepts. Dieses Konzept soll bei der Online-Veranstaltung vorgestellt und diskutiert werden.

mit:

Elke Gryglewski, Politologin, Geschäftsführerin der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten und Leiterin der Gedenkstätte Bergen-Belsen. Bis 2020 war sie stellvertretende Direktorin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz.

Elizabeth Lira, Psychologin, Dekanin der Fakultät für Psychologie der Universidad Alberto Hurtado in Santiago de Chile. Sie hat an verschiedenen Kommissionen zur Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen der Pinochet-Diktatur mitgewirkt. 2017 wurde sie mit dem chilenischen Preis für Geistes- und Sozialwissenschaften ausgezeichnet.

Diego Matte, Rechtsanwalt, Leiter des Zentrums für Kunst- und Kultur der Universidad de Chile.

Jens-Christian Wagner, Historiker, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und Professor für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit an der Universität Jena.

Moderation: Jenny Pérez, Journalistin.

Die Veranstaltung findet in spanischer Sprache mit Simultanverdolmetschung ins Deutsche über die Plattform Zoom statt. Um Anmeldung wird gebeten an: event@bergen-belsen.de

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Desde 2014 un equipo interdisciplinario trabaja con los diferentes grupos de afectados realizando talleres y seminarios de diálogo. Estas actividades giran en torno a la pregunta cómo debería ser representado el pasado de la Colonia Dignidad en el lugar histórico.

En 2016 el gobierno chileno declaró Monumento Nacional a una parte del predio. Durante el año siguiente se conformó una Comisión Mixta con representantes de los gobiernos de Chile y de Alemania. Esta Comisión nombró a dos expertos/-as chilenos y dos expertos/-as alemanas, encargándoles la elaboración de un concepto para un Sitio de Memoria. Es este concepto que se presentará y se discutirá en esta actividad online.

Conversatorio online con

Elke Gryglewski, politóloga, directora de la Fundación Memoriales de Baja Sajonia y del Sitio de Memoria ex campo de concentración Bergen Belsen. Hasta 2020 fue vicedirectora del Sitio de Memoria Casa de la Conferencia de Wannsee en Berlín.

Elizabeth Lira, psicóloga, es decana de la Escuela de Psicología de la Universidad Alberto Hurtado en Santiago de Chile. Ha trabajado en diversas comisiones relacionadas con las violaciones a los derechos humanos de la dictadura cívico militar chilena. Fue reconocida con el Premio Nacional de Humanidades y Ciencias Sociales de Chile en el año 2017.

Diego Matte, abogado, dirige el Centro de Extensión Artística y Cultural de la Universidad de Chile.

Jens-Christian Wagner, historiador, director de la Fundación Sitios de Memoria Buchenwald y Mittelbau-Dora y catedrático de historia en los medios y en el espacio público en la Universidad de Jena.

Modera: Jenny Pérez, Periodista

La actividad se realizará en la plataforma Zoom en español con traducción simultánea al alemán. Inscripciones a: event@bergen-belsen.de

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Online Veranstaltungsreihe zur Colonia Dignidad im November 2020

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Online Veranstaltungsreihe zur Colonia Dignidad im November 2020

Veranstaltungsreihe des AStA Hannover: “Colonia Dignidad – Aufarbeitung eines deutschen Verbrechens in Chile”

Die Arbeitsgruppe Kritische Bildung des AStA der Universität Hannover beschäftigt sich Ende November 2020 erneut mit dem Thema Colonia Dignidad. Dieses Mal steht das Thema Aufarbeitung im Fokus der Veranstaltungsreihe. Aufgrund der COVID19-Pandemie wurde das Veranstaltungsformat dahingehend angepasst, dass alle Veranstaltungen Online stattfinden können. Interessierte finden die Veranstaltungsreihe zur Aufarbeitung der Colonia Dignidad  auf der Facebook-Seite des AStA Hannover unter diesem Link.


DIENSTAG, 24. NOVEMBER 2020 UM 19:00 UTC+01

Colonia Dignidad – zum strukturellen Versagen politischer und juristischer Aufarbeitung

Die Geschichte der Colonia Dignidad von ihren Vorläufern in den 1950er Jahren bis heute ist auch eine Geschichte von unterlassenen staatlichen Verpflichtungen, die dort begangenen Verbrechen zu verhindern und aufzuarbeiten: auf juristischer und politischer Ebene, in Deutschland und in Chile.
Manche Akteur*innen unterstützten die Colonia Dignidad willentlich. Andere ließen sich von ihrer unermüdlichen Lobbyarbeit beeindrucken und schenkten Opferschilderungen keinen Glauben. Oft schoben Behörden die Verantwortung jeweils anderen zu, so dass sich in Chile der Spruch durchsetzte „La Colonia siempre gana“, auf deutsch: „Die Kolonie gewinnt immer“. Nur in wenigen historischen Phasen gelang es ein Stück weit, gegen die Sekte vorzugehen. Bis zur Festnahme von Paul Schäfer 2005 wurden jedoch weiter Verbrechen begangen.
Die Aufklärung und Aufarbeitung verlaufen seitdem prekär: Täter*innen der Colonia Dignidad wurden kaum bestraft. Deutschland ist zum „sicheren Hafen“ für ehemalige Mitglieder der Führungsriege geworden, die von der chilenischen Justiz gesucht oder wie im Fall des leitenden Sektenarztes Hartmut Hopp bereits verurteilt wurden. Hierzulande fehlt gegen sie, laut NRW-Justiz, ein „hinreichender Tatverdacht“.
Viele Taten, wie das „Verschwindenlassen“ von dutzenden politischen Aktivist*innen während der Pinochet-Diktatur sind weiterhin unaufgeklärt. Das von der Führung der Colonia Dignidad Ende der 1980er Jahre entworfene Firmengeflecht besteht noch immer und das jahrzehntelang durch Verbrechen angehäufte Vermögen ist nicht aufgeklärt. Auf dem Gelände der ehemaligen Colonia Dignidad wird die Vergangenheit bislang kaum thematisiert. Bemühungen um Errichtung einer von der deutschen und der chilenischen Regierung getragenen Gedenkstätte verlaufen seit Jahren zäh. Warum tragen beide Staaten so wenig zu einer umfassenden Aufarbeitung bei? Welches sind heute die entscheidenden Auseinandersetzungen? Wo gibt es Chancen auf Aufklärung?
Jan Stehle ist Mitarbeiter des Forschungs- und Dokumentationszentrums Chile-Lateinamerika in Berlin. Er hat an der FU Berlin zum Umgang bundesdeutscher Justiz und Außenpolitik mit dem Fall Colonia Dignidad promoviert und engagiert sich seit Jahren für die juristische und politische Aufarbeitung der CD-Verbrechen.
Ute Löhning ist Print- und Hörfunk-Journalistin und regelmäßig in Lateinamerika, vor allem in Chile unterwegs. Sie berichtet unter anderem zu sozialen Bewegungen, Erinnerungspolitik und Straflosigkeit.
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DONNERSTAG, 26. NOVEMBER 2020 UM 19:00 UTC+01

Colonia Dignidad – zur Errichtung einer Gedenkstätte in einem erinnerungskulturell umkämpften Feld

Vortrag und Diskussion mit Dr. Elke Gryglewski und Meike Dreckmann-Nielen
Die Geschichte der Colonia Dignidad gilt als erinnerungskulturell umkämpftes Feld, denn der einstige Ort zahlreicher Verbrechen wurde von seinen Bewohner*innen über die Jahre in ein touristisch gestaltetes Freizeitdorf mit Hotellerie und Gastronomie umgebaut. Während die einen dies als Neuerfindung an einem schrecklichen Ort erleben, kritisieren andere diese Nutzung als Opferverhöhnung. Dies ist nur eines von vielen konfliktbehafteten Themen in der Geschichte der Colonia Dignidad.
Meike Dreckmann-Nielen wird in ihrem Vortrag einen Einblick in diesen Konflikt um Deutungshoheit und damit in ihr laufendes Forschungsprojekt geben. Sie promoviert am Arbeitsbereich Public History der Freien Universität Berlin zu erinnerungskulturellen Dynamiken in der ehemaligen Colonia Dignidad.
Mit den praktischen Planungen rund um den Prozess der Errichtung des Dokumentationszentrums und einer Gedenkstätte befasst sich Dr. Elke Gryglewski als Mitglied einer bilateralen Expertenkommission, die von den Regierungen Chiles und Deutschland eingesetzt wurde.
Dr. Elke Gryglewski ist kommissarische Direktorin der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin und seit 2014 mit dem Prozess der Planung von Dokumentationszentrum und Gedenkstätte auf dem Gelände der ehemaligen Colonia Dignidad betraut. In ihrem Vortrag wird sie aus ihrer konkreten Arbeit in diesem Planungsprozess berichten und damit ganz praktisch Einblick in einen in hohem Maße komplexen Prozess geben.
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MONTAG, 30. NOVEMBER 2020 UM 19:00 UTC+01

Colonia Dignidad und die Pinochet-Diktatur: eine Repressionsallianz offenbart ihr Innenleben

Der harte Kern einer Diktatur kann noch lange nachwirken, wenn diese selbst formal abgetreten ist. In Chile wirken sich die Machtkonstellationen, die Wirtschaftsstrukturen und Denkweisen der 1990 abgetretenen Pinochetdiktatur bis heute aus. Auch die repressiven Methoden erstarken wieder, wenn die Bevölkerung mit der alten, von der Diktatur übernommenen Politik bricht. Die von der Pandemie unterbrochenen emanzipatorischen Kämpfe im heutigen Chile haben eine autoritäre Reaktion des Staates hervorgerufen.
2005 fand die Polizei auf dem Gelände der deutschen Siedlung Colonia Dignidad ein Archiv, das die Methoden und Denkweisen der Geheimdienste und ihrer zivilgesellschaftlichen HelferInnen dokumentiert. Unsere Referenten Luis Narváez und Dieter Maier haben einen großen Teil davon in einer zweisprachigen Datenbank erschlossen (www.fichas-chile.com, User: visita. Password/codigo: fulano) und ein noch unveröffentlichtes Buch darüber geschrieben. Im Rahmen dieses Vortrags werden sie die wichtigsten Ergebnisse vorstellen. Der Chilene Erick Zott, ein ehemaliger politischer Gefangener in der Colonia Dignidad, wird von seinen Erfahrungen mit dem Repressionsapparat berichten.
Dr. Dieter Maier (Frankfurt am Main) ist Autor mehrerer Bücher über die Colonia Dignidad.
Luis Narváez (Buenos Aires) ist chilenischer Journalist.
Erick Zott (Wien) war politischer Gefangener in Chile.

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Akteur*innen & Projekte/Interviews

Renate Künast: “Wir sind beharrlich geblieben und haben genervt.”

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Renate Künast: “Wir sind beharrlich geblieben und haben genervt.”

Renate Künast (Bündnis90/Die Grünen) ist Mitglied einer Gemeinsamen Kommission des Bundestages und der Bundesregierung, welche mit der Umsetzung eines Hilfskonzeptes für Opfer der ehemaligen Colonia Dignidad beauftragt wurde. Als Vorsitzende des Rechtsausschusses organisierte Künast 2016 die erste Reise von Abgeordneten des Deutschen Bundestages in die ehemalige Colonia Dignidad. Im Interview berichtet sie von dem Hilfskonzept, den Hürden bei ihrer ersten Reise nach Chile und weiteren Schritten, die für eine gelungene Aufarbeitung der Verbrechen, die in der ehemaligen Colonia Dignidad begangen wurden, notwendig seien.

Interview mit der Bundestagsabgeordneten Renate Künast über die Aufarbeitung der in der Colonia Dignidad begangenen Verbrechen 

Meike Dreckmann: Frau Künast, wie würden Sie die Colonia Dignidad in Ihren eigenen Worten Jemandem erklären, der oder die noch nie davon gehört hat.

Renate Künast: Eine Sekte mit einem Zaun, der vor Ausbruch schützen sollte, und die ein ausgeklügeltes Sanktions- und Bestrafungssystem hatte.

MD: Worauf richten Sie als deutsche Bundestagsabgeordnete Ihren Blick besonders?

RK: Ich bemühe mich und wir bemühen uns als Gruppe von Abgeordneten, uns nicht nur auf das Gelände der heutigen Villa Baviera zu konzentrieren. Ich würde das für einen großen Fehler halten. Weil zu der gesamten Geschichte der Colonia gehört ja nicht nur, sich mit denen zu beschäftigen, die heute noch in der Villa Baviera leben, sondern auch mit denen, die es glücklicherweise herausgeschafft haben.

MD: Insgesamt sind Sie zwei Mal in die ehemalige Colonia Dignidad nach Chile gereist. Wie müssen wir uns die Umstände Ihrer ersten Delegationsreise 2016 vorstellen?

RK: Ich habe die Reise als damalige Vorsitzende des Rechtsausschusses organisiert. Wir sind damals nach Argentinien und Chile gefahren. Da habe ich einen massiven Druck erlebt. Uns wurde geraten: „Gehen Sie da lieber nicht hin.“ Überhaupt dorthin zu gehen, war schon eine große Sache. Der erste Teil einer Geschichtsaufarbeitung in diesem Kontext war für mich also die Frage: Wie kommen wir da überhaupt hin und welche Mechanismen gibt es, uns dort nicht hinzulassen?

MD: Von wem?

RK: Vom Auswärtigen Amt. Das fing im Prinzip bereits 2016 an. Anfang des Jahres reiste Joachim Gauck als damaliger Bundespräsident nach Chile zu einem Empfang in der deutschen Botschaft. Dort gab es einen Eklat, weil ein Täter aus den Reihen der Colonia Dignidad auch auf diesen Empfang eingeladen worden war. Darauf wurde Gauck hingewiesen und dann ist er mit seiner Frau gleich gegangen. Das gab großen Ärger und löste allgemeines Misstrauen aus. Und dann bekamen wir als Abgeordnete von der Botschaft noch den Warnhinweis: „Ach, fahren Sie lieber nicht in die Villa Baviera, das ist alles zu kompliziert. Sie müssen da vier Stunden rausfahren. Die werden Sie alle in Beschlag nehmen, weil sie ja psychisch sehr belastete Persönlichkeiten sind.“ Also es ist durchaus üblich, dass Botschaften Abgeordneten Hinweise geben, wenn sie eine Delegationsreise ins Ausland machen. Also Hinweise wie etwa: „Denken Sie daran, Sie müssen da weit fahren.“ Das ist ganz normal. Weil es auch Bundestagsabgeordnete gibt, die sich sonst hinterher beschweren und sagen, sie seien nicht informiert worden. Aber ich habe deutlich gesagt: „Wir wollen dahin. Ende.“

MD: Warum war das so eindeutig für Sie?

RK: Weil mir klar war, dass ich den authentischen Ort sehen musste. Und es ist doch qualitativ etwas ganz Anderes, ob ich persönlich und einzeln mit Leuten spreche oder die Menschen in einer Botschaft treffe. Und die Situation vor Ort in der Villa Baviera kann man auch nur begreifen, wenn man selber mal dort gewesen ist. Wenn man die wunderschöne Landschaft mit den schneebedeckten Bergen in der Ferne einmal gesehen hat. Dieses Dorf stellt sich optisch wie eine Vollidylle dar. Und als das Auswärtige Amt uns dann sagte, wir könnten die Menschen doch in die Botschaft in Santiago einladen, habe ich von der Seite schon gemerkt, dass die Geschichtsaufarbeitung ein großes Manko hat.

MD: Inwiefern?

RK: Zur Geschichtsaufarbeitung gehört doch auch, dass ich die Aufarbeitung systematisch und respektvoll organisiere. Bei einzelnen Aufarbeitungsschritten ist Sensibilität an den Tag zu legen. Warum sollten sich die quasi inhaftierten Menschen der so genannten Colonia Dignidad nach dieser Geschichte freiwillig in die Botschaft begeben? Das war irgendwie ein kurioser Vorschlag. Das in Verbindung mit dem Eklat der Einladung von ehemaligen Tätern in die Deutsche Botschaft und der Tatsache, dass immer diejenigen mit Hilfeleistungen benachteiligt wurden, welche die Villa Baviera verließen. Das war sozusagen das Vorspiel, wo wir wirklich wiederholt sagen mussten: „Wir wollen dahin!“

Michael Brand (CDU), Renate Künast (Grüne), Matthias Bartke (SPD), Bildrechte: Büro Künast

MD: Und wie war ihr Eindruck, als Sie dann dort ankamen?

RK: Dort haben wir eine ganz massive Betroffenheit erlebt. Ich muss Ihnen dazu sagen, dass ich in meinem ersten Leben Sozialarbeiterin bin, im zweiten Leben Juristin und ich habe auch viel in der Psychiatrie und im Strafvollzug gearbeitet. Als wir in der Villa Baviera ankamen, da war mein erster optischer Eindruck: Viele der betroffenen Menschen sind hospitalisiert und traumatisiert.

MD: Warum?

RK: Weil man es ihnen ansieht. Man sieht es den Menschen an der Art ihrer Reaktion mit Gestik und Mimik an. So wie man auch fast jedem Kind ansehen kann, ob es geschlagen wurde. Das hat eine ganz andere Körpersprache oder die jeweilige Person reagiert ganz anders. Selbst und gerade Erwachsenen sieht man die Torturen der Kindheit und Jugend noch an.

MD: Können Sie ein Beispiel geben?

RK: Ja, zum Beispiel eine ältere Dame, die sich dort mit geradezu kindlicher Naivität auf uns zu kam und redete. Die Welt hat sie noch gar nicht begriffen. Und gerade bei unserer ersten Reise haben wir sehr intensive Runden mit Einzelgesprächen geführt. Da saßen immer ein, zwei Abgeordnete an einem Tisch mit ein paar Zeitzeug*innen. Sie gingen bei Kaffee und Kuchen eben schnell in die Vollen mit ihren Erzählungen. Und das erlebe ich selten, dass Leute innerhalb von kurzer Zeit denken, das kann ich denen jetzt gerade mal kurz erzählen. Ich habe allerdings später begriffen, dass die individuellen Geschichten so unaufgearbeitet sind und viele deshalb großen Druck verspüren. Besonders die Älteren habe ich so erlebt, dass sie von Kopf bis Fuß mit diesen Geschichten gefüllt sind. Deshalb landet man immer und innerhalb von Sekunden sofort bei diesen Geschichten und Ereignissen. Und es gibt gar keine Luft, um mal über etwas Anderes zu reden. Das finde ich persönlich tragisch, weil die Menschen auch nicht die Luft oder die Möglichkeit dazu haben, weil sie so hospitalisiert sind und gar nicht in einer anderen Welt gelebt haben. Und wenn sie niemand an die Hand nimmt und in eine betreute Wohnsituation an einem anderen Ort bringt, fühlen die sich gar nicht lebensfähig. Die Menschen würden Angst haben und zurücklaufen. Und das finde ich, spürt man da schon.

MD: Was ist Ihnen noch aufgefallen?

RK: Dann hat die Art der Aufarbeitung, die sie selber als Geschichtsaufarbeitung machen, für meine Begriffe etwas Hilfloses, weil sie weder hinreichend begleitet noch offiziell organisiert ist. Sie sind in diesem Käfig des Erlittenen und in dieser engen Struktur, in der sie nie gelernt haben, sich in einer freien Gesellschaft ohne genaue Abläufe zu bewegen. Sie sind eingeschüchtert und haben massive Traumata. Sie leben in ihrer Welt und in ihrer Tragik und ich finde, dass für ganz viele Aufarbeitung ein anderes Schicksal ist: Darf ich persönlich denn noch etwas Schönes erleben? Wenn dir eine Person selbst erzählt, wie sie mit Elektroschocks und Tabletten gefoltert wurde. Unter Paul Schäfer waren bestimmte Verhaltensweisen verboten. Und heute zittern noch einige körperlich, schwitzen und haben massive Ängste, weil sie etwas getan habe, was „verboten“ ist. Obwohl der Mann [Paul Schäfer, Anm. MD] gar nicht mehr da ist und eigentlich die Struktur auch gar nicht mehr. Sie sind so konditioniert, dass sie es nicht als Freiheit empfunden haben, weil sie nie etwas Anderes erlebt haben. Sie waren nie frei. Sie haben ja auch nie Fernsehsendungen geschaut und dort gesehen, wie man sonst so in der Welt frei durch die Gegend läuft oder sich verhalten kann.

MD: Und warum denken Sie, verlassen viele Menschen die ehemalige Colonia Dignidad heute nicht?

RK: Ich sehe, dass viele diesen Schritt nicht tun können. Das würde wahrscheinlich nur gehen, wenn jemand sagen würde, dass es in der Nähe eine Stadt mit einem betreuten Wohnen oder einem Seniorenheim gibt, das zum Beispiel auch eine Kantine hat und einen Wäscheservice anbietet. Ein Ort, an dem es eine bestimmte Einbindung in eine Gruppe gibt und man nicht mitten in einer Stadt anonym wohnt. Da würden die Menschen nie hingehen.

MD: Aus Chile habe ich die Nachricht erhalten, dass ein Ehepaar, das im Jahr 2006 die Villa Baviera verlassen hat, vor Kurzem wieder zurückgezogen ist. Sie sagen, dass sie es außerhalb finanziell einfach nicht geschafft haben. Das Ehepaar wurde wiederaufgenommen und im Tourismus angestellt. Wie kann das Hilfskonzept den Leuten helfen, wenn sie außerhalb der Villa Baviera leben möchten?

RK: Also, das Hilfskonzept ist ja das Minimum, was wir bringen müssen. Ich sage nicht, damit bin ich jetzt zufrieden und es ist alles getan. Aber man kann sich ja vorstellen, was das für eine mühevolle Arbeit war. Also da bin ich jetzt unzufrieden und stolz. Das fällt zusammen.

MD: Können Sie das näher erklären?

RK: Ja, unzufrieden, weil das bei Weitem nicht ausreicht und stolz, weil man da eben Ende 2016 nicht denken konnte, dass es da jemals zu irgendeinem Ergebnis kommen könnte. Aber wir Bundestagsabgeordneten sind beharrlich geblieben und haben genervt. Und wir haben die Reise dahin gemacht und wir waren als Gruppe sehr beeindruckt von dieser Situation. Und ich habe dann nachher gesagt: „Machen wir das? Schwören wir uns das jetzt und machen uns daran und sorgen dafür, dass es einen Antrag im Bundestag gibt und dass es da ein Hilfskonzept gibt und so weiter?“ „Ja, logisch.“ Gemeinsam haben wir dann den Antrag und den Beschluss darin hingekriegt. Zum Beispiel, dass es bis zum 31.6.2018 einen Bericht der Bundesregierung geben musste.

MD: Und was hielten Sie von dem Bericht?

RK: Der war schlecht. Das haben Sie sicherlich gesehen. Wir haben alle protestiert. Dafür, dass sie nie was zahlen wollten, kriegen die Opfer jetzt 10.000€. Mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) haben wir jetzt kompetente Partner, welche die Verteilung der Gelder durchführen. Die werden zuerst zu den Menschen gehen, die außerhalb der Villa wohnen, weil dort die Unterstützung am dringendsten ist. Als erstes muss es um die gehen, die eindeutig Opfer sind und wo es keinerlei zu klärende Fragen gibt. Das dürften an die 100 Menschen sein und da soll schnell Geld kommen. Wir haben dabei verschiedene Stufen der Glaubhaftmachung festgelegt.

MD: Das ist ja wirklich überraschend dann, dass die ersten zurückziehen in die Villa. Denn theoretisch würde es damit doch jetzt die Strukturen geben, um das Leben außerhalb erheblich zu erleichtern, oder?

RK: Ja, das stimmt, aber wir haben keine Rente beschließen können. Und es gibt ja auch keine Lebenshilfe. Allerdings: Wenn die Menschen jetzt einmal 10.000€ erhalten und wenn sie später pflegebedürftig sind, müssten sie keine Angst haben, dass sie dann auf der Straße liegen, sondern die Pflege wird bezahlt. Aber was machen sie denn zwischendurch? Das ist nicht gelöst. Sie haben keine Rente oder erhalten in Chile umgerechnet 200€. Und da nie in die Rentenkasse eingezahlt wurde, ist das ein großes Problem. Und deshalb sage ich: Wir haben jetzt zwar etwas geschafft, was wir vor Jahren nicht für möglich gehalten hätten. Das ist jedoch noch kein Grund für Zufriedenheit. Also man muss da weiter nachdenken und man muss mal überlegen, wie der chilenische Staat sich da mal irgendwo einbringt. Denn er hat so etwas letztendlich auch auf seinem Territorium zugelassen. Dann bleibt noch das Thema Gedenkstätte mit Lernort. Das gibt es zum Beispiel in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz auch. Wo dann junge Leute sich treffen und Seminare machen, aber auch mithelfen, die Flächen in Ordnung zu halten. Sie können diskutieren und lernen: Wie entwickeln sich eigentlich Gesellschaften, aus denen solche Sachen entstehen? Das kannst du ja auf den Nationalsozialismus, auf die Diktatur in Chile, auf die Colonia Dignidad oder auch auf Syrien übertragen. Also man kann es auf ganz viele Gesellschaften beziehen und daran lernen.

MD: Wie haben Sie denn die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Chile im Hinblick auf die Gedenkstättenplanung erlebt?

RK: Die Expert*innen der deutsch-chilenischen Kommission stehen natürlich vor großen Herausforderungen. Auch für Chile ist nicht einfach und zwar nicht nur bezogen auf die Frage: Colonia Dignidad, warum haben wir das zugelassen?

MD: Was meinen Sie mit “nicht einfach”?

RK: Wir haben bei unseren Reisen beispielsweise auch Gouverneure und Politiker aus dem Süden getroffen, die in aller Offenheit sagten: „Wieso? Ich möchte Ihnen mal sagen, wir fanden das alle toll!“

MD: Ja, die Colonia Dignidad war sowohl politisch, als auch wirtschaftlich und auch innerhalb der Bevölkerung sehr gut vernetzt. Sie profitierte von einem eng gesponnenen Netzwerk aus Unterstützer*innen.

RK: Genau. Und in Chile ging es in den 1960er/70er-Jahren vielen eben darum, dass das Land unten im Süden urbar gemacht wird. Dass Landwirtschaft betrieben wird und dass die Bevölkerung ansteigt. Die Städte sollten wachsen. “Wir wollten selbst unsere Lebensmittel anbauen.” “Wir waren froh, dass es diese fleißigen Deutschen da gab.” “Oh, und wir haben auch nicht richtig hingeguckt.” So ein autoritäres Regime innerhalb der Anlage fanden sie zum Teil auch nicht schlecht und um alles andere haben sie sich im Detail auch nicht gekümmert. Und es ist schwierig, weil die DINA [Dirección de Inteligencia Nacional, Anm. MD] in der Colonia Oppositionelle des Militärregimes folterte und ermordete, aber auch ihre Wochenenden dort gemütlich verbrachte. Aufklärung fällt ihnen noch schwer, da wohl viele angesehene Familien Chiles heute noch durch Generäle und Soldaten irgendwelche Bezüge zu der Geschichte haben. Entweder waren sie also Opfer oder sie haben Freund*innen oder Verwandte dort verloren. Oder sie hatten selbst Leute beim Militär oder bei der DINA. Sie gehörten dadurch also zum Herrschaftssystem und haben vielleicht sogar selbst mitgefoltert.

MD: Und können Sie ein Beispiel dafür nennen, wie Ihrem Eindruck zufolge das Thema Erinnern und Gedenken in der Villa Baviera diskutiert wird?

RK: Als wir Ende August 2018 zu einem Exekutivtreffen mit ein paar Abgeordneten zum zweiten Mal dort waren, haben die Chilenen einen Vorschlag gemacht. Das gesamte Material, was man noch gefunden hat, also Karteikarten, Fotos und so weiter, sollten demnach in das Archiv des Museums für Menschenrechte in Santiago de Chile aufgenommen werden. Die Sachverständigen aus Deutschland waren davon allerdings nicht nur begeistert, weil sie der Meinung waren, dass es auch Gedenken und das Auseinandersetzen vor Ort auf dem Gelände der Villa Baviera geben müsse. Dann gibt es auch noch die chilenischen Hinterbliebenen, die sagen, dass dort auf keinen Fall Hochzeitsfeiern und Hotelbetrieb durchgeführt werden dürfen. Diesen Konflikt müssen wir lösen.

MD: Und wie?

RK: Ich glaube, wir müssen von hier aus immer dranbleiben. Aktuell ist das angesichts der Situation in Chile nicht einfach. Der Schwerpunkt liegt logischerweise auf aktuellen und dringenden sozialen Fragen.

MD: Gibt es etwas Neues zu der Vermögenssituation dieser Strukturen, die sie angesprochen haben? Müssen wir uns von dem Gedanken verabschieden, jemals herauszufinden, wo das Geld geblieben ist, das Paul Schäfer illegal angehäuft hat?

RK: Ich weiß nicht. Es ist zudem ein rein privatrechtlicher Sachverhalt, wie sollen wir da reinkommen?

MD: Das heißt, Sie glauben nicht, dass niemand weiß, wo das Vermögen aus Schäfer-Zeiten geblieben ist?

RK: Naja, es werden von einigen alle rechtlichen Mittel genutzt, um Aufklärung zu verhindern.

Die Delegierten legen Blumen ab an den Ausgrabungsstätten der in der Colonia Dignidad “Verschwundenen”, Bildrechte: Büro Künast

MD: Einige gehen davon aus, dass Hartmut Hopp, der ehemalige Arzt der Colonia Dignidad und Vertrauter Paul Schäfers, etwas über das verschwundene Vermögen wissen könnte. Wie bewerten Sie als Juristin den Beschluss des Oberlandesgerichtes Düsseldorf, der besagt, dass die in Chile verhängte Strafe gegen Hopp in Deutschland nicht umgesetzt werden könne?

RK: Ich habe grundsätzlich den Eindruck, dass die Staatsanwält*innen, die daran gearbeitet haben, scheinbar dem Ganzen nicht besonders viel Bedeutung beigemessen haben. Die einzigen, die da wirklich noch juristisch tiefer rangehen, sind die Leute vom ECCHR. Ich glaube, die haben sich überlegt, zu klagen.

MD: Wie stehen Sie zu dem touristischen Konzept vor Ort?

RK: Ich würde den Tourismus ganz wegnehmen. Und stattdessen muss man diesen Ort und das Ensemble zwar erhalten und aus diesem Hotel etwas für Jugendliche und junge Menschen machen. Wo du dann lernst, wie sich Gesellschaften entwickeln und wie es anfängt, dass so etwas wie die Colonia Dignidad dabei herauskommt. Man kann auf dem Boden nicht so tun, als hätte es nie stattgefunden. Also auch zu lernen und zu hinterfragen, was die deutsche Botschaft da unten gemacht hat. Da könnte man fast mal sagen, da müssen auch mal Diplomat*innen in ihrer Ausbildung hin.

MD: Ja, also das Thema soll ja zumindest in das Curriculum für angehende Diplomat*innen aufgenommen werden. Aber da weiß ich nicht, was der aktuelle Stand ist. Das hatte zumindest Frank-Walter Steinmeier als damaliger Außenminister in seiner Rede im Auswärtigen Amt gesagt.

RK: Das ist ein guter Punkt.

MD: Warum?

RK: Ja, da muss ich noch einmal in der Steinmeier-Rede nachschauen. Da kann ich dann eine Anfrage dazu machen.

MD: Das ist doch ein schöner Abschlusssatz. Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben.

RK: Gerne.

(Renate Künast beantwortete die Fragen mündlich am 17. September 2019 in ihrem Bundestagsbüro. Das Interview wurde zur besseren Lesbarkeit gekürzt und redigiert.) 

 

WEITERE INTERVIEWS (Auswahl):

Akteur*innen & Projekte/Interviews

“Wir haben es mit einem in hohem Maße komplexen Prozess zu tun.”

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“Wir haben es mit einem in hohem Maße komplexen Prozess zu tun.”

Der Gedenkstättenexpertin Dr. Elke Gryglewski ist es in den vergangenen drei Jahren langsam gelungen, alle beteiligten Opfergruppen der ehemaligen Colonia Dignidad an einen Tisch zu bekommen. Im Interview berichtet sie von ihrer persönlichen Beziehung zu Chile, Erinnerungskonkurrenzen unter den Opfergruppen, ihrer erfolgreichen Anti-Bias-Arbeit und den nächsten Schritten in diesem komplexen Prozess des Aufbaus einer Gedenkstätte in der ehemaligen Colonia Dignidad. 

Die stellvertretende Leiterin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz Dr. Elke Gryglewski im Interview

Meike Dreckmann: Erinnern Sie sich noch daran, wann Sie das erste Mal von der Colonia Dignidad gehört haben?

Elke Gryglewski: Das erste Mal habe ich in den 1980er-Jahren von der Colonia Dignidad gehört, als ich bei Amnesty International tätig war. Bewusst habe ich über die Colonia gelesen, als ich 1992 in Chile studiert und meine Diplomarbeit über die deutschen Einflüsse auf die chilenischen Streitkräfte vorbereitet habe. Ein kurzes Kapitel habe ich dann auch der Colonia gewidmet.

MD: Wie ist Ihre persönliche Beziehung zu Chile?

EG: Von 1970 bis 1979 bin ich in Bolivien aufgewachsen und zur Schule gegangen. Damals war die deutsche Gemeinde sehr konservativ. Als mir im Rahmen des Studiums die Möglichkeit geboten wurde, mit einem Stipendium in Südamerika zu studieren, wollte ich in ein Land, wo ich mir einen neuen Freundeskreis würde aufbauen können und die Menschen mir nicht mit dem Blick auf meinen Vater, den ehemaligen Pastor der deutschen Gemeinde, begegnen würden. 1998 haben wir von der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz gemeinsam mit der Stiftung Topographie des Terrors eine Tagung zum Vergleich des Umgangs mit der Vergangenheit in Chile, Argentinien, Deutschland 1945 und 1989, Polen und Südafrika organisiert. Dabei sind berufliche Kontakte geknüpft worden. Diese wurden über die Städtepartnerschaft Berlin – Buenos Aires bei Tagungen zur Erinnerungskultur, bei denen auch chilenische Einrichtungen vertreten waren, intensiviert. So bin ich seit Ende der 1990er-Jahre regelmäßig in Kontakt mit chilenischen Gedenkstätten.

MD: Sie haben 2016 das erste Seminar, das eine Gedenkstätte auf dem Gelände der Villa Baviera zum Ziel hatte, geplant und geleitet. Worum ging es in diesem ersten Seminar, wer hat teilgenommen und was war Ihr Eindruck nach diesem Auftakttreffen?

EG: Im Rahmen einer Veranstaltungsreihe mit den Angehörigen der in der Colonia Verschwundenen und in der Colonia Verhafteten und Gefolterten, lernte ich Bewohner*innen der ehemaligen Colonia/heutigen Villa Baviera kennen. In den Gesprächen wurden die nachvollziehbar verhärteten Fronten deutlich. So entstand die Idee, unterschiedliche Betroffene nach Berlin zu holen und dort zu einem ganz anderen Kontext, dem Umgang mit der NS-Vergangenheit, ins Gespräch zu bringen. In der Regel nehmen die Besucher*innen in Gedenkstätten das ihnen Präsentierte vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen wahr. Ausschlag für den Zeitpunkt des Seminars gab dann die Premiere des Films „Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück“ von Florian Gallenberger. Bei dem Seminar sollten die Eingeladenen soweit möglich ins Gespräch kommen, sie sollten Erinnerungsorte in Berlin und Umgebung kennenlernen, anhand derer man strukturell vergleichbare Herausforderungen würde diskutieren können, wie sie in der heutigen Villa Baviera existieren. Zum Beispiel besuchten wir das Museum und die Gedenkstätte Sachsenhausen, weil der Direktor Prof. Günter Morsch den Teilnehmenden von seinem dezentralen Ausstellungskonzept berichten konnte. Ein Konzept, das entstanden war vor dem Hintergrund zweiter Opfergruppen am historischen Ort und den sich daraus ergebenden Erinnerungskonkurrenzen. Im Rahmen des Seminars sprach außerdem auch der Leiter der Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten, Dr. Jens-Christian Wagner, über die Funktion von und den Umgang mit Zeitzeug*innen im Rahmen von Gedenkstättenarbeit.

Damit der Erfolg dieser Veranstaltung sich nicht in Frustration umwandelt, ist wichtig, dass wir bei unserem nächsten Besuch konkrete Ideen zur Diskussion stellen können.

MD: Wie ging es danach weiter?

EG: Bei dem Seminar wurde deutlicher, was man sich vorher schon hätte denken können – dass wir es mit einem in hohem Maße komplexen Prozess zu tun haben würden. Dennoch gelangen erste Gespräche, die Grundlage für die Seminare in den folgenden Jahren waren. Es ist nie ein Prozess gewesen, der sich stetig nach vorne entwickelt hat. Eher haben wir uns immer fünf Schritte nach vorne und dann wieder zwei oder drei zurückbewegt. Ganz bei Null sind wir nie wieder gelandet. Seither haben wir jedes Jahr eine etwa einwöchige Veranstaltungsreihe von Workshops und Seminaren durchgeführt. Ziele dieser Veranstaltungen waren immer, Transparenz zu schaffen für alle Beteiligten, die Meinungen der Betroffenen einzuholen und die unterschiedlichen Betroffenen miteinander ins Gespräch zu bringen. Im Dezember 2018 haben wir es im Rahmen eines OpenSpace/eines Weltcafés in Talca tatsächlich geschafft, alle unterschiedlichen Gruppen (ehemalige und aktuelle Bewohner*innen der Colonia Dignidad/Villa Baviera, chilenische Adoptivkinder, chilenische Missbrauchsopfer, Angehörige der Verschwundenen und ehemalige politische Häftlinge) in ein Gespräch zu bringen. Damit der Erfolg dieser Veranstaltung sich nicht in Frustration umwandelt, ist wichtig, dass wir bei unserem nächsten Besuch konkrete Ideen zur Diskussion stellen können.

MD: Als Expertin für Gedenkstättenarbeit kennen Sie den komplexen Aushandlungsprozess, den ein solches Entstehungsverfahren in der Regel auch an anderen Gedenkorten begleitet hat. Wie unterscheidet sich diese Transitionsphase in der Villa Baviera von anderen Orten? Inwiefern ist sie vergleichbar mit anderen?

EG: Vergleichbar zu anderen Orten ist die Komplexität der Situation: unterschiedliche Opfergruppen, die bis zu einem bestimmten Grad zueinander in Konkurrenz stehen. Vergleichbar ist auch, wenn man an die 1950er/1960er-Jahre in der Bundesrepublik denkt, dass es zahlreiche Stimmen gibt, die darauf drängen, nicht an die Vergangenheit zu denken. Sie möchten den Ort eher mit neuen, vermeintlich positiven Narrativen und Bildern in Verbindung bringen.

Der Unterschied liegt meines Erachtens vor allem darin, dass die Sozialisation der Bewohner*innen (auch der ehemaligen) der Villa Baviera unterschwellig immer eine Rolle spielt. Bis wir in der Villa übernachtet haben, war uns beispielsweise nicht klar, wie stark die frühen Nachkriegsdiskurse die Sichtweise der Bewohner*innen beeinflussen. Traditionen des Antikommunismus wurden nicht nur von Schäfer genutzt, um die Bewohner*innen der Colonia gegen die chilenische Linke aufzuhetzen, sie hatten auch Auswirkungen darauf, wie einzelne Männer in unserem Team betrachtet wurden. Also zum Beispiel: Wer Bart trägt, ist Kommunist. Auf der Ebene von Kommunikation hat die Sozialisation eine immense Auswirkung: Ihr Leben lang sind die Bewohner*innen dazu angehalten worden, andere zu denunzieren, um sich selber zu schützen. Dieses System von Gerüchten, über andere zu sprechen und vermeintliche Informationen weiterzugeben – das erschwert eine Arbeit für einen Erinnerungsort erheblich.

MD: Wie konnte Ihnen die langjährige Berufserfahrung in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz für Ihre Arbeit mit den Opfergruppen der Colonia Dignidad helfen?

EG: Hilfreich war mit Sicherheit das Wissen um die Schwierigkeit bis hin zu Unwillen, sich mit einer gewaltbelasteten Vergangenheit auseinanderzusetzen. Das hat mich, glaube ich, an manche Situationen weniger aufgeregt herangehen lassen und letztlich auch die Betroffenen/Beteiligten merken lassen, dass es möglich ist, unterschiedliche Positionen zu einer Frage zu haben, sie kontrovers zu diskutieren (gerne auch emotional) und dennoch an einem Tisch zu sitzen. Hilfreich war außerdem die Erfahrung aus der Anti-bias-Arbeit. Wir haben sehr viele Methoden der Gestaltpädagogik und Anti-bias-Arbeit genutzt. Alle Gruppen empfanden es als hilfreich, wegzugehen von den herkömmlichen Gesprächsrunden, in denen manche nicht aufhörten zu sprechen und sie das Gefühl hatten, alles drehe sich im Kreis. Besonders wichtig waren die Erfahrungen durch die Seminare von „Verunsichernde Orte“, einem Modellprojekt, im Rahmen dessen Übungen entwickelt wurden, anhand derer Gedenkstättenmitarbeitende ihre Arbeit reflektieren können. Ich habe mit Erlaubnis der Autor*innen einige der Übungen für unsere Zwecke abgewandelt.

MD: Wie würden Sie die Villa Baviera als Erinnerungsort charakterisieren?

EG: Die Villa Baviera ist kein Erinnerungsort – oder höchstens in dem Sinne, wie Berlin einer ist. Die besonders geschichtsträchtigen Gebäude wird man von dem Rest der Siedlung abgrenzen (auch organisatorisch), dann kann man von der Gedenkstätte Colonia Dignidad in dem Ort Villa Baviera sprechen. Dass es in dem Dorf Villa Baviera dann auch Restaurants/Bistros/Cafés geben muss, wo sich Besucher*innen verpflegen können, scheint mir logisch. Alternativ wäre ein von der Gedenkstätte betriebenes Café/Restaurant, was aber nicht in einem der historisch bedeutsamen Gebäude sein könnte.

Die Mehrheit der Besucher*innen möchte historische Informationen und Emotionen – in der Regel in einem vertretbaren Verhältnis.

MD: Könnte man Ihrer Meinung nach von einem Tourismusbetrieb mit Gedenkorten oder von einem Gedenkort mit Tourismusbetrieb sprechen?

EG: Natürlich sind Besucher*innen von Gedenkstätten vielfach auch Tourist*innen. Nehmen wir die großen KZ-Gedenkstätten in Deutschland oder auch die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, wo die ausländischen Besucher*innen einen größeren Anteil ausmachen, als die Gäste aus Deutschland. Aber da die Häftlinge an diesen Orten sehr international zusammengesetzt waren, oder die Wannsee-Konferenz alle Jüdinnen und Juden Europas im Blick hatte, ist das auch logisch. Entscheidender ist, was die Gäste erwarten. Erwarten sie historische Informationen in für sie nachvollziehbar aufbereiteten Ausstellungen oder erwarten sie ein Gruselkabinett? Die Mehrheit der Besucher*innen möchte historische Informationen und Emotionen – in der Regel in einem vertretbaren Verhältnis. Vor allem aber lassen sie sich von den Mitarbeitenden der Gedenkstätten so betreuen, dass die Geschichte des Ortes und die Würde der Opfer berücksichtigt werden. So wie aktuell der Tourismus in der Villa Baviera gestaltet ist, ist das noch nicht möglich – es wäre aber auch eine Überforderung, das von den Bewohner*innen zu erwarten. Dazu bedarf es unterschiedlicher beruflicher Kompetenzen und vor allem richtige Rahmenbedingungen.

MD: In der medialen Berichterstattung wird der Tourismus- und Restaurantbetrieb in der Villa Baviera häufig scharf als Opferverhöhnung kritisiert. Wie kam es Ihres Erachtens dazu, dass sich mit dem „Zippelhaus“ einer der Schauplätze der Schäfer’schen Gewaltexzesse in ein Restaurant verwandelte?

EG: Meines Wissens ist den Bewohner*innen der Villa Baviera empfohlen worden, hier ein Restaurant einzurichten – mit dem Argument, die Chilen*innen lieben dieses Klischee der Deutschen. Also Bier, Sauerkraut, Lederhosen und solche Dinge.

MD: Auch unter den Bewohner*innen der Villa Baviera gehen die Meinungen auseinander: Während die einen sich eine Schließung des Restaurantbetriebes wünschen, sehen andere darin ein Symbol für wieder- oder neugewonnene Gestaltungsfreiheit von der Schäfer-Diktatur. Wo stehen Sie in diesem Diskurs?

EG: Seitdem ich mit den Bewohner*innen im Gespräch bin, habe ich immer deutlich gemacht, dass ich es für problematisch halte, das Restaurant im “Zippelhaus” zu führen. Für sie selber ist es ein Ort, der mit schwierigen Erinnerungen verbunden ist. Ich habe in den letzten vier Jahren fast von jedem/jeder Gesprächspartner*in Erfahrungen von Demütigung und Schlägen gehört, die an diesen Ort gekoppelt sind. Neugewonnene Freiheit ist ausgesprochen wichtig. Sie sollte aber an anderen Dingen festgemacht werden können.

Das größte Konfliktpotential besteht in der Sorge, der Ort könnte von der Villa Baviera verantwortet werden und nicht frei zugängig sein.

MD: Wo sind sich die chilenischen und deutschen Opfergruppen einig; wo herrscht das größte Konfliktpotenzial?

EG: Sie sind sich darin einig, dass sie wollen, dass aus der Geschichte der Colonia Dignidad gelernt wird. Alle wollen einen Ort, wo sie ihre Angehörigen (die Fosas (dt.: Massengräber)) oder ihr Leid (das “Zippelhaus” oder der Kartoffelkeller) betrauern/erinnern können. Sie waren sich auch einig darin, dass ihre Geschichte nicht zusammen erzählt, sondern an den spezifischen Orten präsentiert werden soll. Das größte Konfliktpotential besteht in der Sorge, der Ort könnte von der Villa Baviera verantwortet werden und nicht frei zugängig sein.

MD: Wie ist es Ihnen überhaupt gelungen, die Gruppen an einen Tisch zu bringen?

EG: Es ist gelungen, die unterschiedlichen Gruppen an einen Tisch zu bekommen, weil es eben keine homogenen Gruppen sind. Innerhalb der Gruppen gibt es auch Meinungsunterschiede – und darin liegt die Chance: die Schnittmengen manchmal anders zu definieren und eben nicht nur über die Frage, zu welcher Gruppe jemand gehört.

MD: Welche Themenbereiche zur Colonia Dignidad sollten Ihrer Meinung nach stärker in den Fokus wissenschaftlicher Forschung gelangen, um damit gegebenenfalls auch das inhaltliche Fundament der geplanten Gedenkstätte zu stärken?

EG: Mein Eindruck ist, dass aktuell einige gute und wichtige Arbeiten zur Colonia entstehen. Sie werden die Arbeit zur Gründung einer Gedenkstätte und zur Arbeit der Gedenkstätte selbst sicher unterstützen. So können die zusammengetragenen Quellen wichtiges Material für eine Ausstellung sein oder die geführten Interviews auch in die Ausstellungen aufgenommen werden. Darüber hinaus ist aber mein Eindruck, dass eine Gedenkstätte wichtig wäre, um die Diskurse in der Gesellschaft voranzubringen. Das können nämlich nicht die wissenschaftlichen Arbeiten.

MD: Was ist der nächste Schritt im Planungsprozess der Gedenkstätte?

EG: Eigentlich soll jetzt von zwei deutschen und zwei chilenischen Expert*innen ein Konzept für eine Gedenkstätte geschrieben werden. Als Expert*innen stehen im Moment aber nur Dr. Jens-Christian Wagner, Diego Matte und ich fest. Ich hoffe, dass die zweite chilenische Person bald gefunden wird und wir im September/Oktober unser Konzept formulieren können.

MD: Vielen Dank für Ihre Zeit.

Dr. Elke Gryglewski beantwortete die Fragen schriftlich via Email.