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Jurist Andreas Schüller über den aktuellen Stand im Fall Hartmut Hopp

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Jurist Andreas Schüller über den aktuellen Stand im Fall Hartmut Hopp

Der Fall Hartmut Hopp ist höchst kompliziert. In Chile wurde der einstige Arzt der Colonia Dignidad im Jahr 2013 wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch verurteilt. Durch seine Ausreise nach Deutschland konnte er sich dieser Haftstrafe entziehen. Seitdem lebt er straffrei in Nordrheinwestfalen. Denn Deutschland liefert eigene Staatsbürger nicht nach Chile aus. Auch von deutschen Justizbehörden wurden inzwischen Verfahren angestrengt. Jüngst bestätigte die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Krefeld, das Ermittlungsverfahren gegen Hartmut Hopp einzustellen. Der Jurist Andreas Schüller, der im Rahmen seiner Zuständigkeit für das European Center for Human and Constitutional Rights (ECCHR) zum Thema Colonia Dignidad arbeitet, hält dies für falsch.

Gespräch mit Andreas Schüller vom ECCHR über juristische Schritte im Fall des Colonia-Arztes Hartmut Hopp

Meike Dreckmann-Nielen: Herr Schüller, seit unserem letzten Interview ist Einiges passiert. Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf hat die Beschwerde der ECCHR-Partneranwältin Petra Schlagenhauf gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den ehemaligen Arzt der Colonia Dignidad zurückgewiesen. Bedeutet dies, dass Hartmut Hopp nach deutschem Rechtsverständnis unschuldig ist?

Andreas Schüller: Ja, denn natürlich gilt hier die Unschuldsvermutung, auch wenn es viele Hinweise darauf gibt, dass Hartmut Hopp zentral in die Straftaten der Colonia Dignidad verwickelt gewesen ist.

MDN: In dem umfangreichen Statement-Papier des ECCHR zu der jüngsten Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf im Falle Hartmut Hopp, heißt es, dass das ECCHR eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Behörde erwägt. Wozu? Was bringt das?

AS: Es gibt im Grunde genommen keine wirksamen Rechtsbehelfe gegen die Entscheidungen der Staatsanwaltschaften. Unsere Kooperationsanwältin Petra Schlagenhauf hat einen Antrag auf Ermittlungserzwingung an das Oberlandesgericht Düsseldorf gestellt. Dieses Verfahren hat jedoch hohe formale Voraussetzungen und ist in den allermeisten Fällen erfolglos. Es verstößt nach unserer Auffassung gegen die EU-Richtlinie zum Opferschutz von Straftaten, wonach Opfer die Möglichkeit haben sollen, staatsanwaltschaftliche Entscheidungen ohne hohe Hürden gerichtlich überprüfen zu lassen. Unsere Dienst- und Fachaufsichtsbeschwerde an das Justizministerium in NRW dient dazu, dass das Ministerium seine Fachaufsicht über die Staatsanwaltschaften des Landes ausübt. Wir kritisieren seit Langem, dass der Ermittlungsfokus im Tatkomplex “Colonia Dignidad” viel zu eng ist. Es fehlt an Priorisierung dieses Tatkomplexes, an notwendigen Ressourcen und dem politischen Willen, die Taten aufzuarbeiten. So kann man einem Fall von jahrzehntelanger systemischer Kriminalität nicht gerecht werden.

Rechtsanwältin Petra Schlagenhauf, Copyright: Petra Schlagenhauf

MDN: Im Statement-Papier des ECCHR sind einige Aspekte genannt, mit denen Sie im Hinblick auf die Arbeit der nordrheinwestfälischen Justizbehörden nicht einverstanden sind. Ich habe die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen des ECCHR gebeten. Gerne würde ich die Auskunft mit Ihnen teilen und Sie schließlich um eine Einordnung der Position der Generalstaatsanwaltschaft aus Ihrem Blickwinkel bitten. In Ordnung?

AS: Ja, gerne.

MDN: Also, ich habe die Generalstaatsanwaltschaft gefragt, ob es zutrifft, dass potenzielle Zeug*innen der Hartmut Hopp zu Last gelegten Verbrechen nicht gehört wurden, obwohl seitens des ECCHR und Petra Schlagenhauf mehrfach über die Aussagebereitschaft informiert wurde.

AS: Ja, so hatten wir es in unserem Statement formuliert.

MDN: Genau. Darauf erhielt ich die Rückmeldung, dass “sämtliche erfolgversprechenden Ermittlungshandlungen vorgenommen worden” seien. Zu der Befragung der von Ihnen benannten Zeug*innen heißt es: “Soweit einzelne – benannte – Zeugen nicht oder nicht wiederholt vernommen worden sind, beruht dies auf der Wertung, dass keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich sind, dass diese Vernehmungen den Nachweis strafbaren Verhaltens des vormals Beschuldigten ermöglichen könnten.“ Das klingt wie das Gegenteil von dem, was Sie im Statement-Papier formuliert haben. Wie passt das zusammen?

AS: Es geht um die Wahrnehmung dessen, was in der Colonia Dignidad passiert ist. Die Staatsanwaltschaften haben einen sehr eingeschränkten Blick auf den einen Fall und sehen den Kontext nicht, in dem die Verbrechen stattgefunden haben. Es ist aber wichtig, dies zunächst zu ermitteln, um sich dann mit den neuen Erkenntnissen wieder dem spezifischen Fall zuzuwenden. Wir werfen Hopp ja vor, als Teil des “Systems Colonia Dignidad” und der Führungsriege, eine Verantwortung zu tragen und nur zum Teil als direkter Täter. Diese individuelle Verantwortung in einem Organisationsgefüge, aus dem heraus schwere Straftaten begangen werden, bedarf aufwendiger Ermittlungen. Die von uns benannten Zeug*innen und Expert*innen hätten dazu wertvolle Hinweise liefern können.

MDN: Als nächstes habe ich gefragt, ob es stimmt, dass die Ermittlungen sich nur auf wenige Täter*innen und Tatzeiten beschränkten, obwohl die Colonia Dignidad jahrzehntelang Ort einer Vielzahl schwerer Menschenrechtsverbrechen war. Seitens der Generalstaatsanwaltschaft heißt es: „Nach dem Ergebnis der umfassenden Ermittlungen bestand auch kein Anlass, Ermittlungen gegen andere Personen einzuleiten. Insoweit ergab sich nicht der hierfür erforderliche Anfangsverdacht (§§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1StPO) konkreter verfolgbarer strafbarer Handlungen.“ Wie ist das aus Ihrer Sicht zu verstehen?

AS: Die Staatsanwaltschaft Krefeld hat es in ihren Ermittlungen versäumt, den Tatkomplex “Colonia Dignidad” den systematischen und über Jahrzehnte andauernden Verbrechen angemessen und umfassend zu ermitteln. Die Strukturen, Hierarchien, Befehlsketten und Systematik der Verbrechensbegehung und – verschleierung erfordern ähnlich wie in Bereichen der organisierten Kriminalität oder anderen Formen der Makrokriminalität, entsprechende Priorisierung, Ressourcen und spezifisches Wissen. Die Staatsanwaltschaft Krefeld, noch die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf, haben den Verbrechenskomplex Colonia Dignidad hinreichend erfasst und als solchen behandelt. Unsere Strafanzeige 2011 richtete sich allein gegen Hopp mit der Aufforderung, etwa dem Tatkomplex des Verschwindenlassens in Zusammenarbeit mit der DINA auf dem Gelände der Colonia Dignidad insgesamt nachzugehen, und nicht nur, wie geschehen, in drei Einzelfällen, um die Dimension sowie die Verantwortung der Colonia-Führungsriege zu erfassen. Dass Hopp der Mittelsmann der Colonia zur DINA gewesen ist, können mehrere Zeugen bestätigen.

Colonia-Arzt Hartmut Hopp (rechts) mit Diktator Augusto Pinochet (links), Quelle: Diario El Centro, Talca, vom 10.04.2001.; ECCHR

MDN: Das ECCHR hatte im Statement-Papier außerdem gefragt, warum weder Landes- noch Bundeskriminalamt in die Ermittlungen einbezogen wurde. Die Generalstaatsanwaltschaft hält diese „Aufgabenübertragung/-übernahme durch eine andere als die beteiligte Polizeibehörde” nicht für notwendig. Warum sieht das ECCHR dies anders und warum sollte Ihrer Meinung nach das Landes- oder Kriminalamt eingeschaltet werden?

AS: Wir fordern, dass der Komplex “Schwere Straftaten in der Colonia Dignidad” insgesamt hinsichtlich der noch nicht verjährten Delikte umfassend und erschöpfend ermittelt wird und die dafür notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Bei der Colonia Dignidad handelte es sich um eine verbrecherische Organisation, in der systematisch Straftaten begangen wurden. Diese richteten sich zum einen intern gegen die Bewohner*innen, um diese in dem kriminellen System gefügig zu machen und unter strikter Kontrolle zu halten. Zum anderen wurden in der Zusammenarbeit als zentraler Stelle im Süden Chiles mit der Militärdiktatur Augusto Pinochets und der Geheimpolizei DINA schwerste Straftaten und Menschenrechtsverletzungen verübt, wie Folter, Verschwindenlassen und Ermordungen von Oppositionellen. Die Ermittlungen müssen sich auf das System Colonia Dignidad, Funktionsweisen und Entscheidungswege, fokussieren sowie auf die Führungsspitze in den relevanten Tatzeiträumen (hinsichtlich der Militärdiktatur vor allem 1973 bis ca. 1976). Die Täter*innen waren allesamt deutsche Staatsangehörige, einige haben sich durch Flucht nach Deutschland, vor allem nach Nordrhein-Westfalen, chilenischen Strafverfahren entzogen. In anderen Fällen, in denen deutsche Staatsanwaltschaften zu Diktaturverbrechen in Lateinamerika ermitteln, ist das Bundeskriminalamt eingeschaltet, das durch die Zentralstelle für Kriegsverbrechen über eine besondere Expertise in diesem Bereich verfügt. Es wäre angezeigt gewesen, diese Expertise für Ermittlungen zum Gesamtkomplex Colonia Dignidad anzufordern und einzubeziehen.

MDN: Und wie geht es jetzt weiter?

AS: Wir warten auf die Ergebnisse der Fach- und Dienstaufsichtsbeschwerde sowie den Antrag auf Ermittlungserzwingung beim OLG Düsseldorf. Dann sehen wir weiter.

MDN: Danke für den Einblick in die komplexen juristischen Prozesse.

AS: Sehr gerne.

 


Weiterführende Links zu dem Thema Colonia Dignidad vom ECCHR (Auswahl):

  • “Rechtliche Stellungnahme des ECCHR zum Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf in Sachen Hartmut Hopp/ Colonia Dignidad” – Hier entlang!
  • “ECCHR-Stellungnahme zu der Rolle von Hartmut W. Hopp innerhalb der Colonia Dignidad” – Hier entlang!

Akteur*innen & Projekte/Interviews

Die Broschüre von Amnesty International über die Colonia Dignidad von 1977

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Die Broschüre von Amnesty International über die Colonia Dignidad von 1977

Zur Broschüre “Colonia Dignidad – deutsches Mustergut in Chile – ein Folterlager der DINA”

Im März 1977 publizierte die bundesdeutsche Sektion von Amnesty International (ai) eine Broschüre mit dem Titel “Colonia Dignidad – deutsches Mustergut in Chile – ein Folterlager der DINA*”. Zeitgleich veröffentlichte die Zeitschrift der STERN einen Artikel über die Colonia Dignidad. Die Autoren der Amnesty-Broschüre waren Jürgen Karwelat und die Chile-Koordinationsgruppe von Amnesty International (deutsche Sektion), darunter Dieter Maier. In dieser Schrift wurden zum ersten Mal die Folterberichte der chilenischen politischen Gefangenen Erick Zott, Luis Peebles und Adriana Bórquez wiedergegeben. Die Publikation schlug entsprechend große Wellen und ist für die Geschichte der Colonia Dignidad von großer Bedeutung. Im folgenden Interview berichtet Dieter Maier von den Umständen dieser Veröffentlichung und gibt einen Einblick in seine persönlichen Erfahrungen zu der Zeit. Weil die Broschüre heute nicht mehr zu erwerben ist, hat Dieter Maier außerdem eine Kopie zum Download bereitgestellt.

Meike Dreckmann-Nielen: Wie kam es zu der Publikation der berühmten Amnesty-Broschüre?

Dieter Maier: Amnesty International hatte über einen Exilchilenen von der Foltersiedlung erfahren, die der Organisation bis dahin unbekannt war. Die ai-Gruppe lud Zott und Peebles getrennt ein, nahm ihre Aussagen auf, und lud sie dann gemeinsam ein. Parallel recherchierte Jürgen Karwelat zur Entstehung der Sekte in Chile.

MDN: Was geschah dann?

DM: Das Presseecho auf die ai-Publikation war unerwartet groß. Die Sekte brauchte sechs Wochen, ehe sie darauf reagierte. Offenbar gingen Colonia Dignidad und Diktatur davon aus, dass ai noch mehr wusste, und sondierten erst einmal die Lage. Die Pinochet-Diktatur nahm ai als Teil einer Chile-Solidaritätsbewegung wahr, die damals in vielen Ländern Einfluss auf die staatliche Politik hatte. Die von einem Geheimdienstler Jahrzehnte später in einem Gespräch mit Carlos Liberona kolportierte Version, ai sei eine Art Regierung gewesen, war aber schon damals, als ai auf dem Höhepunkt seines Ansehens stand, falsch. Die Menschenrechtsorganisation hatte ihre spezifischen Schwachpunkte. Ihr internationales Sekretariat in London, das aus Unachtsamkeit den Entwurf der Broschüre nicht gelesen hatte, war von Anfang an strikt gegen die Initiative der deutschen Sektion, von der sie aus der Presse erfuhr.

MDN: Was bedeutete das dann?

DM: DINA-Chef Manuel Contreras, der überall seine Spitzel hatte, wusste das. Er kannte auch bald die tatsächlichen Kräfteverhältnisse: “Mitarbeiter der Regierung Pinochets in Frankfurt informierten uns, dass es eine Gruppe von nicht mehr als drei Personen ist, die die Kampagne begann, und dass sie mit einer wenig bedeutsamen Unterstützung der SPD rechnen” (Heller 1993 S. 156). Zwar ist die Angabe von drei Personen untertrieben, aber die Wirkung der Broschüre lag nicht in ihrer politischen Rückendeckung, sondern darin, dass sie unbeabsichtigt das geheimste aller geheimen Folterlager der DINA aufgedeckt und eine Verbindung zwischen der Pinochet-Diktatur und Deutschland nachgewiesen hatte.

Zum Download der Broschüre als PDF hier entlang:

Broschüre Colonia Dignidad – ein Folterlager der DINA 19 77

MDN: Und was unternahm die Colonia Dignidad?

DM: Nach hektischen Sondierungen in Santiago ging die Colonia Dignidad presserechtlich gegen ai vor. Wegen der kurzen Verjährungsfristen des Presserechts drängte die Zeit. Der für Staatsschutz zuständige Frankfurter Staatsanwalt Klein konstruierte eine Unterbrechungshandlung. Er wollte dazu das Frankfurter ai-Büro durchsuchen lassen, das aber zu diesem Zeitpunkt nicht besetzt war. Er vernahm mich und begründete in dieser Vernehmung seine Zuständigkeit damit, die ai-Broschüre habe die BRD angegriffen. Es ging dabei um einen knappen Satz zum Deutschlandbezug der Colonia Dignidad. Die „Private Sociale Mission“ erkundigte sich zu ai über den Waffenhändler Gerhard Mertins und den Frankfurter Rechtsanwalt und unentwegten Nazi-Verteidiger Dr. Steinacker zu Klein.

MDN: Wie ging es dann weiter?

DM: Die deutsche Colonia-Niederlassung „Private Sociale Mission“ erwirkte schließlich eine einstweilige Verfügung gegen ai und klagte im Hauptsacheverfahren vor dem Landgericht Bonn stellvertretend für die Colonia Dignidad gegen ai wegen Verleumdung. Hans Jürgen Blanck, studierter Jurist und Colonia Dignidad-Mitglied, übernahm die Prozessführung. Obwohl Steinacker auf ihn einen “korrekten, rechtsdenkenden Eindruck” machte, überließ er dem unverdächtigen CDU-Rechtsanwalt Felix Busse die Rechtsvertretung. Dem waren die Barzahlungen aus dem Aktenkoffer und die Ausflüchte der Colonia-Leute nicht geheuer und er legte sein Mandat nieder. Die Colonia sagte über ihn, ihm habe „Flexibilität gefehlt“; er war also nicht bereit, die Lügen des Folterlagers mitzutragen.

MDN: Und wer hat den Prozess schließlich gewonnen?

DM: Amnesty International gewann den Bonner Prozess nach 20 Jahren, blieb aber auf den Kosten sitzen, denn die Klägerin Private Sociale Mission gab es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Da die Klägerin weggefallen war, konnten die Bonner Richter den Prozess ohne inhaltliche Bewertung der Zeugenvernehmungen und Protokolle von Ortsterminen beenden. Ein inhaltlich begründetes Urteil zu einem früheren Zeitpunkt hätte Rückwirkungen auf die Verfahren in Chile gehabt und womöglich Schäfers Herrschaft verkürzt. Die lange Prozessdauer wurde mehrfach von deutschen Behörden und Politikern als willkommenes Argument benutzt, sich nicht in ein “schwebendes Verfahren” einmischen zu können. In einer Akte des Auswärtigen Amtes (AA) heißt es, das AA solle „weiterhin Zurückhaltung üben“ und sich „jedweder Stellungnahme zu den Vorwürfen strikt enthalten“. Eine handschriftliche Notiz am Schluss dieses Textes lautet: „Wir haben ein objektives Interesse an der Aufklärung der Vorwürfe, können diese Aufklärung aber keinesfalls selbst vornehmen. Wir sollten uns auch nicht in die Auseinandersetzung zwischen der Colonia Dignidad einerseits und Amnesty International andererseits hineinziehen lassen.“ Die Unterschrift „Ge“ stammt offenbar vom damaligen Staatssekretär Dr. Gehloff. Die Lesart von der gebotenen Zurückhaltung bestand für viele Jahre fort.

Zum Download der Broschüre als PDF hier entlang:

Broschüre Colonia Dignidad – ein Folterlager der DINA 19 77

MDN: Wie würdest du die Bedeutung der Broschüre resümieren?

DM: Die Broschüre “Colonia Dignidad – deutsches Mustergut in Chile – ein Folterlager der DINA” enthält nur einen Bruchteil dessen, was heute über die Siedlung bekannt ist. Immerhin dokumentiert sie fehlerlos zwei zentrale Punkte: Die Misshandlungen an Chilen*innen und Deutschen. Mit ihr begann die Auseinandersetzung mit diesem Thema, die bis heute nicht abgeschlossen ist. Die Broschüre beweist, dass gut recherchierte Dokumentionen die Sache der Menschenrechte nutzen können. Das Leiden vieler deutscher Sektenmitglieder und der (zwangs)adoptierten und sexuell missbrauchten Chilenen konnte ai nicht lindern. Spätestens aber seit 1977 konnte niemand mehr sagen, sie oder er habe von nichts gewusst.

*Die DINA war Pinochets 1974 gegründeter Geheimdienst

 

Literatur:

  • Friedrich Paul Heller(=Dieter Maier), Colonia Dignidad. Von der Psychosekte zum Folterlager, Schmetterlingverlag, Stuttgart, 1993, (2. Auflage) 2016.
  • Dieter Maier, Colonia Dignidad. Auf den Spuren eines deutschen Verbrechens in Chile, Stuttgart, Schmetterlingverlag (2. aktualisierte Aufl.) 2017.

 

Zeitzeugenberichte

Bericht über das Leben in der Colonia Dignidad von Friedhelm Bensch

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Bericht über das Leben in der Colonia Dignidad von Friedhelm Bensch

Über den Bericht des Zeitzeugen Friedhelm Bensch

Friedhelm Bensch wurde 1953 in Deutschland geboren. Als er acht Jahre alt war, wanderte er mit 29 anderen Kindern und 8 Erwachsenen nach Chile aus. Seine eigene Mutter kam erst ein Jahr später nach. In seinem Bericht erzählt Friedhelm Bensch von dem Alltag in der Colonia Dignidad, von der Willkür Paul Schäfers und seinen Unterstützern, sowie den unsäglichen Prügelstrafen und einem Druck, dem er gegen Ende kaum standhalten konnte.

Seit 2007 lebt Friedhelm Bensch mit seiner Frau und seinem Sohn in Nordrhein-Westfalen. Dort beschloss er im Jahr 2012 seine Erinnerungen an das Leben in der Colonia Dignidad aufzuschreiben. Mit dem Wunsch, seine Erinnerungen frei zugänglich zu veröffentlichen, wandte er sich schließlich an Dieter Maier. Dieser schlug diesen Blog als Plattform vor. Der Bericht wird im Wortlaut veröffentlicht und er wurde lediglich geringfügig redigiert.

Die Erinnerungen an vergangene Zeiten sind immer höchst subjektiv und sollten nie alleinstehend als ausschließliche faktenbasierte Quelle gelesen werden. Bei dem Bericht von Friedhelm Bensch handelt sich demnach um ein Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Geschichte der Colonia Dignidad. Eine Geschichte, die viele Menschen unterschiedlich erlebt haben.

 

Klicken Sie einfach auf dieses Bild, um zu dem PDF-Dokument zu gelangen:

 

(Hinweis: Der CDPHB versteht sich ausschließlich als Plattform; er macht sich den Bericht des Autors weder zu Eigen, noch übernimmt er Verantwortung für die geschilderten Erzählungen.)

 

Akteur*innen & Projekte/Interviews

Colonia Dignidad und Strafverfolgung – Interview mit Andreas Schüller

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Colonia Dignidad und Strafverfolgung – Interview mit Andreas Schüller

Andreas Schüller, Foto: ECCHR, Schüller

Die Strafverfolgung von in der Colonia Dignidad begangenen Menschenrechtsverbrechen zeigte sich in den vergangenen Jahrzehnten als zäher und mühseliger Prozess. Immer wieder wird seitens Opferverbänden eine andauernde Straflosigkeit von einstigen Täter*innen beklagt. Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) nimmt die juristische Aufarbeitung der durch die Colonia Dignidad begangenen Menschenrechtsverbrechen bereits seit seiner Gründung 2008 in den Blick. Im Interview erzählt der Jurist Andreas Schüller von den Schwierigkeiten, welche die juristische Verfolgung der zahlreichen Verbrechen heute mit sich bringt. Er geht dabei auch auf den komplizierten Fall des ehemaligen Colonia-Arztes Hartmut Hopp ein. 

Interview von Meike Dreckmann-Nielen mit Andreas Schüller vom ECCHR 

Meike Dreckmann-Nielen: Wer sich mit der juristischen Aufarbeitung der Colonia Dignidad beschäftigt, kommt an der Arbeit des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) nicht vorbei. Können Sie unseren Leser*innen erklären, was das ECCHR genau ist und wie es arbeitet?

Andreas Schüller: Das ECCHR ist eine Menschenrechtsorganisation aus Berlin, die sich vor allem mit rechtlichen Mitteln für eine Durchsetzung der Menschenrechte einsetzt. Wir reichen dort Klagen, Anzeigen oder Schriftsätze ein oder fertigen Rechtsgutachten an, wo wir eine Chance sehen, etwas verändern zu können. Dies betrifft zum Beispiel unser Vorgehen gegen europäische Unternehmen, wenn diese Menschenrechte im Ausland verletzen und wir über unsere Netzwerke gemeinsam mit Betroffenen überlegen, wie wir die Rechtsverletzungen adressieren und vor Gerichte bringen können. Gleiches gilt für Folter, Kriegsverbrechen und sexualisierte Gewalt. Oftmals können diese Fälle nicht vor Gerichte in dem Land gebracht werden, in dem sie begangen werden, da staatliche Sicherheitskräfte die Täterinnen sind.

Meike Dreckmann-Nielen: Und was können Sie dann tun?

Andreas Schüller: Wir suchen dann nach Wegen in anderen Ländern oder vor internationalen Gerichten, die Völkerstraftaten verfolgen zu lassen. Unsere Organisation arbeitet in vielen Netzwerken mit anderen Jurist*innen, Researcher*innen, NGOs, Betroffenen und vielen anderen, um Fälle aufzuarbeiten, einzureichen und zu unterstützen. Auch wenn unser Sitz in Berlin ist, arbeiten wir sehr transnational und verbunden mit vielen anderen, die dieselben Ziele wie wir verfolgen. Rechtliche Prozesse und Entscheidungen haben eine große Tragkraft, die wiederum andere politische Prozesse beeinflussen oder umleiten kann. Staatliche Akteur*innen oder Unternehmen werden gezwungen, ihr Verhalten zu verändern. Wichtig ist vor allem, die einzelnen Fälle zu kontextualisieren und politisch zu begleiten, um eine größtmögliche Wirkung zu entfalten und Veränderung zu bewirken.

Meike Dreckmann-Nielen: Wie sind Sie denn persönlich zum ECCHR gekommen und welche der Themen gehören schwerpunktmäßig zu Ihrem Aufgabenbereich?

Andreas Schüller: Ich habe in drei Ländern Jura studiert und mich auf Völkerrecht und Völkerstrafrecht spezialisiert. Beim ECCHR arbeite ich seit 2009, was sehr lange klingt, aber viele Fälle und Themen begleiten unsere Arbeit über viele Jahre und erst durch die langjährige Befassung mit bestimmten Fällen schafft man auch Veränderungen. Mein Fokus liegt auf Völkerstraftaten und rechtlicher Verantwortung. Das reicht von Folter in Guantanamo und Drohnenangriffe über Völkerstraftaten in Syrien bis hin zu lateinamerikanischen Diktaturverbrechen.

Meike Dreckmann-Nielen: Wie kam es dazu, dass sich das ECCHR des Themas Colonia Dignidad angenommen hat und welchem Teil dieses komplexen Themas widmet sich das ECCHR schwerpunktmäßig?

Andreas Schüller: Das Thema Colonia Dignidad hat das ECCHR seit seiner Gründung 2008 verfolgt, da es um schwerste Menschenrechtsverletzungen geht, die immer noch nicht hinreichend aufgearbeitet wurden und in denen es einen engen Bezug zu Deutschland gibt. Die Unterstützung einer verbrecherischen Diktatur durch eine deutsche Siedlung ist an sich schon ungewöhnlich. Umso skandalöser ist es, dass der deutsche Staat und die Justiz bis heute ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden ist, die begangenen Straftaten aufzuarbeiten und zu verfolgen. Aus diesem Grund haben wir Strafanzeigen gegen in Deutschland lebende ehemalige Führungsmitglieder der Colonia Dignidad eingereicht und fordern seit mehreren Jahren, dass die deutsche Justiz die Verbrechen umfassend ermittelt und strafrechtlich verfolgt.

Meike Dreckmann-Nielen: Haben Sie im Kontext Ihrer Arbeit über die Jahre einen Fall bearbeitet oder kennengelernt, der mit dem der Colonia Dignidad vergleichbar wäre?

Andreas Schüller: Wirklich vergleichbar sind die meisten Fälle nicht. Was im Fall der Colonia Dignidad auffällt, ist das totale Versagen auf deutscher Seite, das Geschehene rechtlich aufzuarbeiten, trotz der vielen Bezüge nach Deutschland und des langen Zeitraums, in dem bekannt ist, was in der Siedlung geschah. Vergleichbar zu anderen Fällen ist, dass es gut organisierte kleine Täterkreise gibt, die über Jahre ein perfides Verbrechenssystem aufbauen und betreiben konnten. Vergleichbar ist auch, dass sie es mehrheitlich geschafft haben, davonzukommen – mit Ausnahme derer, die in hohem Alter letztlich von der chilenischen Justiz verurteilt wurden.

Meike Dreckmann-Nielen: Wann würden Sie davon sprechen, dass die Verbrechen der Colonia Dignidad juristisch aufgearbeitet wurden?

Andreas Schüller: Es muss umfangreich ermittelt werden. Das heißt, dass vor allem diejenigen Zeug*innen, die in Deutschland leben, vernommen werden müssen. Und zwar von erfahrenen Ermittler*innen, die sich mit der Colonia Dignidad auskennen. Jetzt ist die Zeit dafür, denn der Druck auf Zeug*innen ist nicht mehr so hoch wie früher und es gibt mehr Kenntnis darüber, was geschah. Einige sind dabei, sich mehr und mehr zu öffnen. Es geht uns nicht primär um Verurteilungen, sondern darum, dass die Vorwürfe und Beweise vor Gericht verhandelt werden. Nur so ist eine juristische Aufarbeitung möglich.

Meike Dreckmann-Nielen: Hartmut Hopp wurde in Chile verurteilt, weil er Beihilfe zu der sexualisierten Gewalt an Kindern durch Paul Schäfer geleistet haben soll. Wie genau kam es zu der Verurteilung?

Andreas Schüller: Hartmut Hopps Rolle und Funktion innerhalb der Führungsriege wurden in Chile aufgearbeitet. Er hat sich an dem Verfahren beteiligt und dagegen verteidigt. Am Ende waren die Richter aber von seiner Mitverantwortlichkeit aufgrund seiner Stellung und Nähe zu Paul Schäfer überzeugt, weshalb er verurteilt wurde.

Meike Dreckmann-Nielen: Hartmut Hopp entzog sich dieser Strafe ja schließlich, indem er 2013 nach Deutschland ausreiste. Das ist möglich, weil Deutschland und Chile kein Auslieferungsabkommen vereinbart haben. Im Jahr 2014 beantragte die chilenische Justiz schließlich, die Haft in Deutschland zu vollstrecken. Warum ist das bis heute nicht geschehen?

Andreas Schüller: Das ist wahr. Deutschland liefert keine eigenen Staatsbürger aus, das ist im Grundgesetz garantiert. Aber es ist möglich, ausländische Verurteilungen in Deutschland anerkennen zu lassen, so dass eine Freiheitsstrafe hier vollstreckt wird. Im Fall von Hartmut Hopp hat das Oberlandesgericht Düsseldorf jedoch sehr hohe, aus unserer Sicht zu hohe, Maßstäbe an das Urteil der chilenischen Justiz angelegt. Zudem fehlte das Verständnis dafür, wie die Colonia Dignidad funktionierte. Andererseits haben es die Staatsanwaltschaften in Deutschland unterlassen, selbst die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. So entsteht Straflosigkeit für schwerste systematische Verbrechen.

Meike Dreckmann-Nielen: Es klingt förmlich so, als gäbe es handfeste Beweise, die einfach nicht gesehen werden (wollen). Was macht den Fall Hartmut Hopp denn so kompliziert?

Andreas Schüller: Das lange Abwarten der deutschen Justiz hat zum einen dazu geführt, dass viele Taten schon verjährt sind. Außerdem geht es um Hartmut Hopps Verantwortlichkeit aufgrund seiner Stellung und Position in einer Organisationsstruktur, die Verbrechen begangen und ermöglicht hat. Die chilenischen Ermittlungen sind logischerweise im Hinblick darauf geführt worden, was vor chilenischen Gerichten Standard ist, um zu einer Verurteilung zu gelangen. Da sich das deutsche Strafrecht schon unterscheidet, können die Zeugenbefragungen aus Chile hier nur Anhaltspunkte geben. Für ein deutsches Verfahren müssten im Grunde genommen alle Zeug*innen erneut befragt werden. Das ist aufwendig und bedarf des entsprechenden politischen Willens, dies zu priorisieren und die erforderlichen Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Meike Dreckmann-Nielen: Es gibt einige ehemalige Anhänger*innen der Colonia Dignidad, die Hartmut Hopp bis heute als Opfer Paul Schäfers verteidigen. Wie gehen Sie beim ECCHR mit den Kategorien Opfer und Täter*in um?

Andreas Schüller: Das ist ein wichtiger Punkt, der in einem Strafverfahren auch Berücksichtigung finden würde. Dennoch entschuldigt erlittenes Unrecht nicht, selbst anderen Menschen Leid zuzufügen oder andere dabei zu unterstützen, dies tun zu können. Dies betrifft vor allem auch die Kollaboration mit der Pinochet-Diktatur.

Meike Dreckmann-Nielen: Viele Leser*innen kontaktieren mich und fragen, was sie tun können für die Unterstützung von Opfergruppen und die Aufarbeitung. Haben Sie konkrete Anknüpfungsstellen, an denen eine engagierte Öffentlichkeit Sie und Ihre Arbeit unterstützen kann?

Andreas Schüller: Wichtig ist, dass das Thema präsent bleibt. Es muss allen Verantwortlichen in Justiz und Politik klar sein, dass dies die letzten Jahre sind, noch etwas zu ändern. Ansonsten wird ein historisches Versagen der deutschen Justiz, die seit 1965 Hinweise auf von deutschen Staatsbürger*innen im Ausland begangene Straftaten hat, in die Geschichtsbücher eingehen. Hilfe ist vor allem für die Betroffenen dringend erforderlich, hier und in Chile, die oftmals in sehr prekären Verhältnissen leben müssen. Sie verdienen jede Art der Unterstützung.

Meike Dreckmann-Nielen: Vielen Dank für den Einblick in Ihre Arbeit.

 


Weiterführende Links zu dem Thema Colonia Dignidad vom ECCHR (Auswahl):

  • “Rechtliche Stellungnahme des ECCHR zum Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf in Sachen Hartmut Hopp/ Colonia Dignidad” – Hier entlang!
  • “ECCHR-Stellungnahme zu der Rolle von Hartmut W. Hopp innerhalb der Colonia Dignidad” – Hier entlang!

 

 

den Blog

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Der Colonia Dignidad Public History Blog (CDPHB) versteht sich als Plattform für Information, Netzwerk und Diskussion. Der Blog zur Geschichte der Colonia Dignidad möchte Forschung und die interessierte Öffentlichkeit näher zusammenbringen. Er entsteht begleitend zu der Dissertation von Meike Dreckmann-Nielen, im Rahmen derer sie die Erinnerungskultur/Geschichtskultur an die Colonia Dignidad untersucht. 

Mit dem Blog möchte Meike Dreckmann-Nielen einen Beitrag zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Geschichte der Colonia Dignidad leisten und Unterschiedliche Themenkomplexe werden im Rahmen von Interviews, Forschungseinblicken, aber auch im Rahmen von interdisziplinären Gastbeiträgen anderer Akteur*innen lesbar und auch diskutierbar. 

Gleichermaßen ist es ihr ein Anliegen, zur besseren Vernetzung der bereits zahlreichen aktiven Akteur*innen in der geschichtskulturellen Auseinandersetzung und denjenigen, die es noch werden möchten, beizutragen.

Deshalb werden hier aktive, erst beginnende und auch abgeschlossene Projekte und ihre Initiator*innen und Mitarbeiter*innen vorgestellt und wenn dies gewünscht ist, auch Kontaktmöglichkeiten zur Vernetzung angeboten.