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Peter Rahl über seine Erinnerungen an Colonia Dignidad-Arzt Hartmut Hopp

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Peter Rahl über seine Erinnerungen an Colonia Dignidad-Arzt Hartmut Hopp

Die juristische Strafverfolgung von Täter*innen der einstigen Colonia Dignidad bedeutet für den Heilungsprozess vieler Opfer mehr als nur Gerechtigkeit vor dem Gesetz. Sie ist ein Teil rückwirkender Wahrheitsfindung in einer von Lügen geprägten Vergangenheit. Zeitzeuge Peter Rahl hat in der Colonia Dignidad schwere Menschenrechtsverbrechen überlebt. Er fühlt sich inzwischen bereit, auch über die dunkelsten seiner Erfahrungen zu berichten, um die Aufarbeitung voranzubringen. Im folgenden Gesprächsausschnitt gibt er einen Einblick in diese Leidensgeschichte, die in Anbetracht jüngster Entscheidungen deutscher Justizbehörden im Fall Hartmut Hopp nicht aufzuhören scheint. Peter Rahl erzählt auch von einer Entschuldigung, die der einstige Colonia-Arzt ihm bis heute schuldig geblieben ist.

Gespräch mit Zeitzeuge Peter Rahl über die Unfähigkeit „Wahrheit zu erkennen und Versagen anzuerkennen“

Meike Dreckmann-Nielen: Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an Hartmut Hopp denken?

Peter Rahl: Nachdem ich zweieinhalb Jahre im Krankenhaus Villa Baviera in Einzelhaft festgehalten wurde (die Geschehnisse würden ein Buch füllen) kam Hopp im April 1985 in das dortige Isolierzimmer und sagte zu mir: „Wir müssen jetzt mal herausfinden, woran du wirklich leidest und eine Lösung suchen. Deshalb möchte ich dich mitnehmen nach Deutschland, um dort eine medizinische Untersuchung durchzuführen, die hier nicht möglich ist.“ Eine Woche später nahm er mich mit nach Santiago de Chile und ab ging es im Flieger nach Deutschland.

MDN: Wohin genau?

PR: Nach Siegburg, wo die „Private Sociale Mission“ ja noch ein gemietetes Haus hatte. Von dort fuhren wir in die Psychiatrische Klinik Bonn, um am Venusberg mit einem Psychiater namens Professor H. zu sprechen. Mit Elektroden übersätem Kopf kam ich dort zur Untersuchung in die Röhre. Saß danach im Wartezimmer vor dem Sprechzimmer des Professors und hörte das Gespräch zwischen Hartmut Hopp und dem Arzt mit. Hopps Frau war auch dabei. Sie werteten die vielen gefalteten Papierausdrücke der Röhre aus.

MDN: Und was kam dabei heraus?

PR: Schlussendlich sagte der Professor zu Hartmut Hopp: „Für Ihre Vermutungen gibt es keinen Hinweis. Ihr Patient ist vollkommen gesund.“ Und zu der Sekretärin: „Holen sie den Herrn Rahl doch mal herein.“

MDN: Was geschah, als Sie dann in das Zimmer gebeten wurden?

PR: Nachdem er mich begrüßte, sagte er sofort: „Ich kann Ihnen Ihre Angst nehmen. Sie sind gesund. Es liegen keinerlei Schäden oder Beeinträchtigungen vor.“ Da dachte ich mir damals: Meine Angst? Ich wusste doch, dass ich gesund bin. So hatte Hopp das also eingefädelt! „Vielleicht gibt es traumatische Belastungen aus der Kindheit“, sagte der Professor dann noch, „das müsste man in einer anderen Zusammensetzung erkunden. Aber ich kann ihnen versichern, Sie sind gesund.“ Und zu Hopp gewandt, meinte er schließlich: „Dr. Hopp, setzen Sie innerhalb von drei Tagen alle Medikamente ab und ich möchte Herrn Rahl in 14 Tagen noch einmal sehen.“

MDN: Hatte Hopp denn damit erreicht, was er mit diesem Klinikbesuch beabsichtigte?

PR: Das von Schäfer gewünschte Attest über mich, welches allen belegen sollte, dass ich, Peter Rahl, ein Geisteskranker wäre, konnte Hopp zumindest nicht mit nach Chile bringen.

MDN: Ich verstehe noch nicht ganz, was dieser ganze Aufwand bezwecken sollte.

PR: Dazu müssen Sie wissen, dass ich vor meiner Krankenhauseinlieferung Schäfer schriftlich mitgeteilt hatte, dass der sexuelle Übergriff auf mich 3 Tage nach meiner Ankunft aus Deutschland im Oktober 1973 eine Sünde ist – seine Sünde an mir. Und, dass ich eine Erklärung von ihm erwartete.

MDN: Was passierte im Anschluss an diesen Brief an Paul Schäfer?

PR: Daraufhin kam ich ins Krankenhaus und wurde über Jahre mit Elektroschocks und stärksten Medikamenten gequält. Ich lag bis zu 20 Tagen im Koma. Das Krankenhauspersonal, insbesondere Frau Dr. Gisela Seewald, hat mir dies im Nachhinein bestätigt. Mehrere Jahre später, bei einer Dokumentenvernichtungsaktion im Jahr 1999, entdeckte ich im Archiv von Dr. Gerd Seewald einen großen Umschlag mit meinem Namen drauf. Den habe ich weggeschmuggelt. Unter anderem war dort eine Kopie der Unterlagen drin, die Hartmut Hopp damals vor unserem Flug nach Deutschland per Post an den Professor in der Bonner Klinik geschickt hatte.

MDN: Und was stand in der Kopie dieser Unterlagen?

PR: Alleine 11 Seiten „Berichte“ über perverse Auffälligkeiten, sexuelle Gelüste, meine vermeintlich triebhafte Spionage über die Privatsphäre der Ehepaare und so weiter. Alle krankhaften Aktivitäten, die Paul Schäfer selbst und seine Komplizen seit Jahrzehnten lebten, wurden mir damit aufgestempelt. Das war Wahnsinn! Mit Zeugen und Uhrzeiten gelogen und erfunden – ganze 11 Seiten lang. Nie war ich dem Wunsch nach Sterben näher als in der Stunde, in der ich diesen verlogenen Bericht, von Hartmut Hopp unterschrieben, gelesen habe.

MDN: Haben Sie Hartmut Hopp selbst jemals damit konfrontieren können?

PR: Ich nicht, meine Frau Karin hatte das nach unserer Hochzeit in Chile versucht.

MDN: Und auf welche Reaktion ist sie gestoßen?

PR: Die üblichen Ausreden: „Ich musste gehorchen.“, „Ich habe nur den Auftrag ausgeführt.“, „Ich habe vieles nicht gewusst; damals hab ich das Krankenhaus noch nicht geleitet.“ und so weiter.

MDN: Hat er sich irgendwann im privaten Rahmen bei Ihnen entschuldigt?

PR: Nein, nie ein Wort der Entschuldigung. Stattdessen Sprüche wie: „Wer zurückschaut, ist nicht berufen zum Reich Gottes.“, oder „Lasst uns gemeinsam vorwärts gehen.“ Oder auch: „Alles Gewesene ist Vergeben und Vergessen.“ Oder Kurt Schnellenkamps Satz (er hatte mich in der Krankenhaus-Zeit besonders verprügelt und gefoltert): „Egal was ich dir auch alles angetan haben soll, du musst immer wissen, am Ende wollte ich nur dein Bestes!“ Er kam sich bei mir zu entschuldigen, weil er von vielen im Fundo 2003 angesprochen worden ist, ob er sich für seine Verbrechen an mir schon entschuldigt hatte. Und der Satz war das Ergebnis. Diese Menschen sind unfähig Wahrheit zu erkennen und Versagen anzuerkennen.

 

***Update*** (15. Februar 2021)

Nach der Veröffentlichung dieses Interviews, wandte sich eine ehemalige Mitarbeiterin des Krankenhauses der Colonia Dignidad an Peter Rahl. Sie hatte ihn damals auf der Station in schlechtem Zustand gesehen und anschließend ihrer Kollegin versprechen müssen, dass sie nie darüber sprechen würde. Nun hat sie ihre Erinnerungen doch aufgeschrieben und sie Peter Rahl mit der Bitte um Weiterleitung an diesen Blog geschickt.

Im Folgenden der Kommentar im Wortlaut:

Ich bin Alma Brückmann und teile hier mit, was mir bis heute Schreckliches im Herzen geblieben ist über eine Situation von Peter Rahl, als er noch ein junger Mann war. Damals lebten wir in der Colonia Dignidad in Chile. Ich war als Reinigungsfrau im alten Krankenhaus tätig. Auf der Station lag ein Mann als Patient in Zimmer 11. Dieses Zimmer durfte außer einigen gelernten Krankenschwestern niemand betreten. Einmal wurde ich von  der Stationsschwester Ingrid K. beauftragt, vor Zimmer 11 Wache zu stehen, weil sie zu dem „gefährlichen Patienten“ hineingehen wollte. Eine Weile später kam sie heraus und beauftragte mich: „Hole eine Schüssel Wasser, Seife und zwei Handtücher und komm sofort wieder zurück!“ Ich brachte die Sachen. Sie machte die Tür auf und holte mich ins Zimmer, trotz Verbot. Ich war entsetzt. Den jungen Mann kannte ich doch; es war Peter Rahl. Er lag da wie im Koma. Er hatte alle große und kleine Notdurft unter sich gemacht und ich musste helfen, ihn sauber zu machen und umzuziehen. Eigentlich durfte auch ich dieses Zimmer nie betreten, darum verlangte Ingrid K. von mir, dass ich niemals darüber spreche, was ich hier gesehen habe. Später erfuhr ich, das Peter Rahl nicht krank war, sondern – wie wir untereinander sagten –hier „verplommt“ wurde. Auch lange Zeit später, als man ihn schon mal außerhalb des Zimmers sah, benahm er sich wie ein psychisch Kranker, er seiberte dauernd aus dem Mund und lallte vor sich her.

 

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Weiterführende Links zu dem Thema Colonia Dignidad:

  • „Zeitzeuge Peter Rahl im Interview über sein Leben nach der Colonia Dignidad“ – hier entlang!
  • „Jurist Andreas Schüller über den aktuellen Stand im Fall Hartmut Hopp“ – Hier entlang!

  • “Rechtliche Stellungnahme des ECCHR zum Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf in Sachen Hartmut Hopp/ Colonia Dignidad” – Hier entlang!
  • “ECCHR-Stellungnahme zu der Rolle von Hartmut W. Hopp innerhalb der Colonia Dignidad” – Hier entlang!

Akteur*innen & Projekte/Interviews

Jurist Andreas Schüller über den aktuellen Stand im Fall Hartmut Hopp

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Jurist Andreas Schüller über den aktuellen Stand im Fall Hartmut Hopp

Der Fall Hartmut Hopp ist höchst kompliziert. In Chile wurde der einstige Arzt der Colonia Dignidad im Jahr 2013 wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch verurteilt. Durch seine Ausreise nach Deutschland konnte er sich dieser Haftstrafe entziehen. Seitdem lebt er straffrei in Nordrheinwestfalen. Denn Deutschland liefert eigene Staatsbürger nicht nach Chile aus. Auch von deutschen Justizbehörden wurden inzwischen Verfahren angestrengt. Jüngst bestätigte die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Krefeld, das Ermittlungsverfahren gegen Hartmut Hopp einzustellen. Der Jurist Andreas Schüller, der im Rahmen seiner Zuständigkeit für das European Center for Human and Constitutional Rights (ECCHR) zum Thema Colonia Dignidad arbeitet, hält dies für falsch.

Gespräch mit Andreas Schüller vom ECCHR über juristische Schritte im Fall des Colonia-Arztes Hartmut Hopp

Meike Dreckmann-Nielen: Herr Schüller, seit unserem letzten Interview ist Einiges passiert. Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf hat die Beschwerde der ECCHR-Partneranwältin Petra Schlagenhauf gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den ehemaligen Arzt der Colonia Dignidad zurückgewiesen. Bedeutet dies, dass Hartmut Hopp nach deutschem Rechtsverständnis unschuldig ist?

Andreas Schüller: Ja, denn natürlich gilt hier die Unschuldsvermutung, auch wenn es viele Hinweise darauf gibt, dass Hartmut Hopp zentral in die Straftaten der Colonia Dignidad verwickelt gewesen ist.

MDN: In dem umfangreichen Statement-Papier des ECCHR zu der jüngsten Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf im Falle Hartmut Hopp, heißt es, dass das ECCHR eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Behörde erwägt. Wozu? Was bringt das?

AS: Es gibt im Grunde genommen keine wirksamen Rechtsbehelfe gegen die Entscheidungen der Staatsanwaltschaften. Unsere Kooperationsanwältin Petra Schlagenhauf hat einen Antrag auf Ermittlungserzwingung an das Oberlandesgericht Düsseldorf gestellt. Dieses Verfahren hat jedoch hohe formale Voraussetzungen und ist in den allermeisten Fällen erfolglos. Es verstößt nach unserer Auffassung gegen die EU-Richtlinie zum Opferschutz von Straftaten, wonach Opfer die Möglichkeit haben sollen, staatsanwaltschaftliche Entscheidungen ohne hohe Hürden gerichtlich überprüfen zu lassen. Unsere Dienst- und Fachaufsichtsbeschwerde an das Justizministerium in NRW dient dazu, dass das Ministerium seine Fachaufsicht über die Staatsanwaltschaften des Landes ausübt. Wir kritisieren seit Langem, dass der Ermittlungsfokus im Tatkomplex „Colonia Dignidad“ viel zu eng ist. Es fehlt an Priorisierung dieses Tatkomplexes, an notwendigen Ressourcen und dem politischen Willen, die Taten aufzuarbeiten. So kann man einem Fall von jahrzehntelanger systemischer Kriminalität nicht gerecht werden.

Rechtsanwältin Petra Schlagenhauf, Copyright: Petra Schlagenhauf

MDN: Im Statement-Papier des ECCHR sind einige Aspekte genannt, mit denen Sie im Hinblick auf die Arbeit der nordrheinwestfälischen Justizbehörden nicht einverstanden sind. Ich habe die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen des ECCHR gebeten. Gerne würde ich die Auskunft mit Ihnen teilen und Sie schließlich um eine Einordnung der Position der Generalstaatsanwaltschaft aus Ihrem Blickwinkel bitten. In Ordnung?

AS: Ja, gerne.

MDN: Also, ich habe die Generalstaatsanwaltschaft gefragt, ob es zutrifft, dass potenzielle Zeug*innen der Hartmut Hopp zu Last gelegten Verbrechen nicht gehört wurden, obwohl seitens des ECCHR und Petra Schlagenhauf mehrfach über die Aussagebereitschaft informiert wurde.

AS: Ja, so hatten wir es in unserem Statement formuliert.

MDN: Genau. Darauf erhielt ich die Rückmeldung, dass „sämtliche erfolgversprechenden Ermittlungshandlungen vorgenommen worden“ seien. Zu der Befragung der von Ihnen benannten Zeug*innen heißt es: „Soweit einzelne – benannte – Zeugen nicht oder nicht wiederholt vernommen worden sind, beruht dies auf der Wertung, dass keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich sind, dass diese Vernehmungen den Nachweis strafbaren Verhaltens des vormals Beschuldigten ermöglichen könnten.“ Das klingt wie das Gegenteil von dem, was Sie im Statement-Papier formuliert haben. Wie passt das zusammen?

AS: Es geht um die Wahrnehmung dessen, was in der Colonia Dignidad passiert ist. Die Staatsanwaltschaften haben einen sehr eingeschränkten Blick auf den einen Fall und sehen den Kontext nicht, in dem die Verbrechen stattgefunden haben. Es ist aber wichtig, dies zunächst zu ermitteln, um sich dann mit den neuen Erkenntnissen wieder dem spezifischen Fall zuzuwenden. Wir werfen Hopp ja vor, als Teil des „Systems Colonia Dignidad“ und der Führungsriege, eine Verantwortung zu tragen und nur zum Teil als direkter Täter. Diese individuelle Verantwortung in einem Organisationsgefüge, aus dem heraus schwere Straftaten begangen werden, bedarf aufwendiger Ermittlungen. Die von uns benannten Zeug*innen und Expert*innen hätten dazu wertvolle Hinweise liefern können.

MDN: Als nächstes habe ich gefragt, ob es stimmt, dass die Ermittlungen sich nur auf wenige Täter*innen und Tatzeiten beschränkten, obwohl die Colonia Dignidad jahrzehntelang Ort einer Vielzahl schwerer Menschenrechtsverbrechen war. Seitens der Generalstaatsanwaltschaft heißt es: „Nach dem Ergebnis der umfassenden Ermittlungen bestand auch kein Anlass, Ermittlungen gegen andere Personen einzuleiten. Insoweit ergab sich nicht der hierfür erforderliche Anfangsverdacht (§§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1StPO) konkreter verfolgbarer strafbarer Handlungen.“ Wie ist das aus Ihrer Sicht zu verstehen?

AS: Die Staatsanwaltschaft Krefeld hat es in ihren Ermittlungen versäumt, den Tatkomplex „Colonia Dignidad“ den systematischen und über Jahrzehnte andauernden Verbrechen angemessen und umfassend zu ermitteln. Die Strukturen, Hierarchien, Befehlsketten und Systematik der Verbrechensbegehung und – verschleierung erfordern ähnlich wie in Bereichen der organisierten Kriminalität oder anderen Formen der Makrokriminalität, entsprechende Priorisierung, Ressourcen und spezifisches Wissen. Die Staatsanwaltschaft Krefeld, noch die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf, haben den Verbrechenskomplex Colonia Dignidad hinreichend erfasst und als solchen behandelt. Unsere Strafanzeige 2011 richtete sich allein gegen Hopp mit der Aufforderung, etwa dem Tatkomplex des Verschwindenlassens in Zusammenarbeit mit der DINA auf dem Gelände der Colonia Dignidad insgesamt nachzugehen, und nicht nur, wie geschehen, in drei Einzelfällen, um die Dimension sowie die Verantwortung der Colonia-Führungsriege zu erfassen. Dass Hopp der Mittelsmann der Colonia zur DINA gewesen ist, können mehrere Zeugen bestätigen.

Colonia-Arzt Hartmut Hopp (rechts) mit Diktator Augusto Pinochet (links), Quelle: Diario El Centro, Talca, vom 10.04.2001.; ECCHR

MDN: Das ECCHR hatte im Statement-Papier außerdem gefragt, warum weder Landes- noch Bundeskriminalamt in die Ermittlungen einbezogen wurde. Die Generalstaatsanwaltschaft hält diese „Aufgabenübertragung/-übernahme durch eine andere als die beteiligte Polizeibehörde“ nicht für notwendig. Warum sieht das ECCHR dies anders und warum sollte Ihrer Meinung nach das Landes- oder Kriminalamt eingeschaltet werden?

AS: Wir fordern, dass der Komplex „Schwere Straftaten in der Colonia Dignidad“ insgesamt hinsichtlich der noch nicht verjährten Delikte umfassend und erschöpfend ermittelt wird und die dafür notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Bei der Colonia Dignidad handelte es sich um eine verbrecherische Organisation, in der systematisch Straftaten begangen wurden. Diese richteten sich zum einen intern gegen die Bewohner*innen, um diese in dem kriminellen System gefügig zu machen und unter strikter Kontrolle zu halten. Zum anderen wurden in der Zusammenarbeit als zentraler Stelle im Süden Chiles mit der Militärdiktatur Augusto Pinochets und der Geheimpolizei DINA schwerste Straftaten und Menschenrechtsverletzungen verübt, wie Folter, Verschwindenlassen und Ermordungen von Oppositionellen. Die Ermittlungen müssen sich auf das System Colonia Dignidad, Funktionsweisen und Entscheidungswege, fokussieren sowie auf die Führungsspitze in den relevanten Tatzeiträumen (hinsichtlich der Militärdiktatur vor allem 1973 bis ca. 1976). Die Täter*innen waren allesamt deutsche Staatsangehörige, einige haben sich durch Flucht nach Deutschland, vor allem nach Nordrhein-Westfalen, chilenischen Strafverfahren entzogen. In anderen Fällen, in denen deutsche Staatsanwaltschaften zu Diktaturverbrechen in Lateinamerika ermitteln, ist das Bundeskriminalamt eingeschaltet, das durch die Zentralstelle für Kriegsverbrechen über eine besondere Expertise in diesem Bereich verfügt. Es wäre angezeigt gewesen, diese Expertise für Ermittlungen zum Gesamtkomplex Colonia Dignidad anzufordern und einzubeziehen.

MDN: Und wie geht es jetzt weiter?

AS: Wir warten auf die Ergebnisse der Fach- und Dienstaufsichtsbeschwerde sowie den Antrag auf Ermittlungserzwingung beim OLG Düsseldorf. Dann sehen wir weiter.

MDN: Danke für den Einblick in die komplexen juristischen Prozesse.

AS: Sehr gerne.

 


Weiterführende Links zu dem Thema Colonia Dignidad vom ECCHR (Auswahl):

  • “Rechtliche Stellungnahme des ECCHR zum Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf in Sachen Hartmut Hopp/ Colonia Dignidad” – Hier entlang!
  • “ECCHR-Stellungnahme zu der Rolle von Hartmut W. Hopp innerhalb der Colonia Dignidad” – Hier entlang!